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Die Stimmung zwischen Polizei und Demonstranten ist aufgeheizt.

© dpa

Umstrittener Einsatz in Berlin-Kreuzberg: Polizei gegen Bürger - Wütende auf beiden Seiten

„Ausweis her!“, herrscht der Polizist den Mann mit der Clownsnase an. Wenig später beginnt beim umstrittenen Einsatz in Berlin-Kreuzberg das Tohuwabohu. Doch die Geschichte beginnt nicht hier - sie reicht weit zurück. Eine Debatte über Einsatzgewalt und ihre Grenzen.

Fast eine Million Menschen haben inzwischen gesehen, wie sich drei Polizisten auf den Mann mit der Clownsnase stürzen und ihn niederringen. Das Video zeigt, wie einer dem Clown in die Seite boxt, der andere ihm mit seinem Knie den Kopf fest auf den Asphalt drückt. Als der Dritte beginnt, das rechte Bein des am Boden Liegenden, sich aber immer noch aufbäumenden, hin und her rutschenden Clowns mit beiden Händen um einen stählernen Straßenpoller zu biegen, beginnen einige der umherstehenden Menschen hysterisch zu schreien, „hört auf, hört auf!“, andere greifen die Polizisten an. Von links fliegt ein Fahrrad auf die Beamten, sie werfen es zurück, es sind Sirenen zu hören, weitere Polizisten eilen herbei, aus dem Getümmel taucht ein Mann auf und läuft weg, sich hektisch die Augen reibend, als hätte er Tränengas abbekommen.

Das Video, aufgenommen am vergangenen Sonnabend in der Kreuzberger Falckensteinstraße, setzt ein mit den barschen Worten „Ausweis her“, mit denen sich der kräftigste der drei Polizisten plötzlich an den Mann mit der Clownsnase wendet. Sekunden später beginnt das Tohuwabohu. Aber die Geschichte, sie beginnt nicht hier, in diesem Moment. Sie reicht weit, ja: sehr weit zurück. Es ist weniger eine Geschichte von Missverständnissen, sondern: des Nichtverstehenwollens. Mit voller Wucht trifft Berlin eine Diskussion über Einsatzgewalt, deren Rechtfertigung und ihrer Grenzen. Es stehen Verbitterte, Wütende auf beiden Seiten: die Polizei und der Bürger.

Streit im Görli: Mit einer Holzlatte schlägt der eine auf den Kopf des anderen ein

Der eine Teil dieser Geschichte beginnt am Sonnabend vor einer Woche um zwanzig vor sechs im Görlitzer Park. Wolfgang Peters* geht mit seiner Freundin spazieren, als plötzlich ein Tumult ausbricht. Er sieht, wie zwei Schwarze erst heftig streiten, dann kämpfen. Mit einer Holzlatte schlägt der eine auf den Kopf des anderen ein, verletzt sein Ohr. Peters kann den offen liegenden Knorpel sehen. Während seine Freundin die Polizei ruft, wirft Peters seine Tasche zu Boden, läuft zu den Kämpfenden, versucht zu schlichten, „aber eher von der Seite, direkt da rein zu gehen, das ist nichts für mich“.

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Schnell bildet sich ein Pulk um die Streitenden, zehn, vielleicht fünfzehn Personen. Eine Gruppe von Schwarzen geht schließlich dazwischen, unter ihnen ist ein junger Mann mit heller Haut. Peters sieht, wie der Mann einen der Streitenden umarmt, ihn abschirmt, die Situation deeskaliert. An seinem Hals baumelt eine rote Clownsnase.

Zeuge macht sich Vorwürfe - weil er die Polizei rief

Im Polizeibericht ist später von einer Massenschlägerei die Rede. Peters sagt dazu: „Vollkommener Blödsinn!“. Aber dennoch ein Fall für die Polizei, dachten er und seine Freundin. Zehn Minuten nach ihrem ersten Anruf wählen sie ein zweites Mal die 110. Die Situation hat sich längst beruhigt, als Sirenen zu hören sind. Viele der Schwarzen flüchten. Zurück bleiben ein Verletzter, der sich Taschentücher ans Ohr hält, Peters und seine Freundin sowie der Mann mit der Clownsnase, Karim A., und seine Begleiterin. Beide wird man später im Video wiedersehen. „Das ist okay“, habe der Clown gesagt, als Peters ihm mitteilt, dass sie die Polizei gerufen hätten.

Für Peters selbst ist ein paar Tage später nichts mehr okay. Da sitzt der 51-Jährige mittags in einem Restaurant in der Nähe vom Bahnhof Zoo. Er arbeitet als Diplomkaufmann in der Geschäftsstelle eines großen Berliner Interessenverbandes. Peters, geboren in Berlin, ist vor ein paar Monaten nach Kreuzberg gezogen, direkt an den Görlitzer Park. Ein Mann mit weißem Hemd und lichtem Haar, der in das Kreuzberg-Klischee vom Irgendwie-anders-Stadtteil so gut passt wie ein Rudel Punks mit Kötern auf einen Bankettabend im Golfklub Wannsee. Peters sagt, so eine brutale Polizeiaktion habe er noch nie gesehen. Jetzt macht er sich Vorwürfe, weil er die Polizei doch selbst gerufen hat, „wie man als Staatsbürger eben so ist“: Personalien angeben, sich als Zeuge anbieten. Er wirkt noch immer erschüttert.

"Wow, das sind ja Polizisten"

Peters und seine Freundin verlassen den Park, als die Beamten eintreffen, zu sechst sind sie. Das Paar geht in seine Wohnung, direkt an der Ecke Falckensteinstraße. Es ist derselbe Weg, den ein paar Minuten später Martin Wendel nimmt. Er kommt aus dem Park von einer Geburtstagsfeier und will zu einem Laden in der Wrangelstraße gehen. Wendel sieht, wie auf der Straße ein Mann zu Boden gestoßen wird. Er glaubt an einen Streit unter Dealern. Sein erster Gedanke ist, die Polizei zu rufen. Sein zweiter Gedanke: „Wow, das sind ja Polizisten.“

Wendel nimmt sein Handy und filmt. Sein Video wird etwas später ins Netz gestellt, nach der Erklärung der Polizei zum ersten. Darin hieß es, die Festnahme von Karim A. sei rechtskonform und notwendig gewesen. Er habe die Beamten beim Einsatz gestört, habe einen Platzverweis ignoriert und dann mit Gewalt die Feststellung seiner Personalien verweigert. Mehrere Polizisten seien verletzt worden, eine Gehirnerschütterung, ein Biss in die Hand, auch seien die Beamten mit Tränengas attackiert worden.

Der Mann mit der Clownsnase schweigt

Auf dem zweiten Video sind Nierenschläge eines Polizisten gegen den Mann mit der Clownsnase zu erkennen, und auch, wie der Beamte nach seinem Pfefferspray greift, es schüttelt, dem Clown an den Kopf hält. Der am Boden Liegende bäumt sich auf, es sieht aus, als wolle er sich sein Gesicht an den Armen reiben. Die Polizei bestreitet, selbst Tränengas benutzt zu haben. Hat jemand anderes es dem Beamten entwendet? Wird er von seinen Kollegen geschützt?

Vor dem umstrittenen Einsatz gab es am vergangenen Samstag in Kreuzberg eine Demonstration gegen die Flüchtlingspolitik.
Vor dem umstrittenen Einsatz gab es am vergangenen Samstag in Kreuzberg eine Demonstration gegen die Flüchtlingspolitik.

© DAVIDS

Karim A., der Mann mit der Clownsnase, sagt dazu nichts. Er schweigt. Eine Anfrage beantwortet er schriftlich, auf den Rat seiner Rechtsanwältin. Er könnte sich strafbar gemacht haben, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung. Karim A. schreibt: „Es ist für den Prozess in der Regel besser, so viele Informationen wie möglich unter Verschluss zu halten (...), daher ist es gerade fast schon unwahrscheinlich, dass ich mit der Presse sprechen werde.“ Seine Abschiedsfloskel lautet: „Liebe und mehr“.

In seinem Freundeskreis heißt es, als Krawallmacher sei Karim A. nicht bekannt. Seine Facebook-Seite weist ihn als Liebhaber von Rohkost und Yoga aus. Er hat eine Ausbildung an der Schule für Tanz, Improvisation und Performance gemacht. Lockiges dunkles Haar. Private Bilder zeigen ihn mit einer Art Turban um den Kopf auf dem Sofa sitzend. Sonnenbrille, Sommergewand. Neben ihm spielt eine Freundin Gitarre, im Hintergrund wird geknutscht.

Karim A. soll die Beamten hartnäckig gestört haben

Und doch ist dieser Tage zu hören, es sei nicht das erste Mal, dass Karim A. in einer solchen Situation war. In Dortmund soll er unter ähnlichen Umständen schon einmal festgenommen worden sein. Was also ist vor der Festnahme hier in Kreuzberg geschehen, wie hat er sich da verhalten? Die Polizei schreibt, Karim A. habe die Beamten hartnäckig gestört: „Der in dem Video zu sehende Mann, ein 22-Jähriger, behinderte die Beamten mehrfach bei ihrer Arbeit und verhinderte, dass die Beteiligten der Schlägerei ermittelt werden.“

In den Cafés rund um die Falckensteinstraße wird über den Einsatz auch Tage später noch diskutiert. Skeptisch gegenüber der Polizei sind hier ohnehin immer schon viele gewesen. Jetzt aber ist die Haltung so aggressiv geworden, wie es viele Polizisten seit langem in Kreuzberg empfinden. Niemand will eine Provokation von Karim A. gegenüber der Polizei gesehen haben, nicht die Kellnerin, die hier arbeitet, nicht die Dealer, die immer hier stehen. Will niemand etwas gesehen haben? Oder hat niemand etwas gesehen, weil es nichts zu sehen gab?

„Man macht seinen Job, wird verletzt und auch noch beschimpft.“

Manchmal sind sich die Lager in Kreuzberg ähnlicher, als sie selbst glauben. Für viele ist die Polizei ein verschworenes Corps, bei dem jeder den anderen schützt. Für die Polizei ist es genau anders herum. Ein Beamter, der ständig rund um den Görlitzer Park eingesetzt ist, fasst die Stimmung unter seinen Kollegen so zusammen: „Man macht seinen Job, wird verletzt und anschließend auch noch beschimpft.“ Das Video analysiert er so: „Die Kollegen probieren mit Hebeltechniken den Störer möglichst gewaltfrei zu Boden zu bringen und festzunehmen.“ Dass das im Video ganz anders wirkt, ist auch ihm klar. Er sagt: „Weniger aufwändig wäre es vermutlich gewesen, ihn mit zwei gezielten Schlägen zu Boden zu bringen.“

So aber dauerte es, der Tumult schwoll an. Auf dem Video ist zu sehen, wie immer wieder Passanten versuchen Karim A. zu befreien. Sie reißen an den Beamten, einer wirft ein Fahrrad. Es sind, so sieht es auch die Polizei, keine Linksautonomen, die da versuchen, einem der ihren zu helfen. Es sind Bürger, die entsetzt sind über das, was sie da sehen, die das Gefühl haben, helfen zu müssen – gegen die Polizei.

Man ist entweder für die Polizei – oder gegen sie

Der Beamte, Mitglied der Gewerkschaft der Polizei, der den Fall nur anonym besprechen will, sagt, dass solche Übergriffe von Passanten auf die Polizei für ihn Alltag seien. Besonders schlimm sei es zuletzt rund um die Ohlauer Straße gewesen, wo Flüchtlinge die Gerhart-Hauptmann-Schule besetzt hielten. Der Beamte sagt, etliche der Passanten, die in der Falckensteinstraße seine Kollegen attackiert hatten, seien direkt von einer Unterstützer-Demo für die Flüchtlinge gekommen.

Leicht hatte es die Polizei nie in Kreuzberg. Seit den 80er Jahren kommt es nicht nur am 1. Mai zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Aber seit vor anderthalb Jahren die ersten Flüchtlinge auf Einladung des damaligen grünen Bezirksbürgermeisters Franz Schulz den Oranienplatz und bald darauf die Schule besetzten, hat sich die Stimmung immer mehr aufgeheizt. Seit der Teilräumung und der anschließenden Polizeidauersperren scheint es hier nur noch eins zu geben: Man ist entweder für die Polizei – oder gegen sie. Diese Erfahrung machte auch der Kreuzberger Klaus Förster. Er beobachtete, wie vor Kurzem in der Nähe der Ohlauer Straße zwei Polizisten angefahren wurden. Wenige hundert Meter weiter stoppten andere Beamte den Wagen, der Fahrer sollte festgenommen werden. Aber schon wurde der Wagen umringt, „Bullenschweine“ und „Faschisten“ gerufen. Als sich Ramm einmischen und erklären wollte, was zuvor passiert ist, wurde ihm gesagt, dass es um die „Bullenschweine“ nicht schade sei und auch nicht um ihn, denn er sei ja offenbar selbst ein „Faschistenschwein“.

Piratenchef Lauer - der "Polizeiversteher"

Christopher Lauer, Vorsitzender der Berliner Piraten, hat in der letzten Zeit ebenfalls seltsame Erfahrungen gemacht. Eigentlich nervt er als kritischer Abgeordneter Polizei und Innenverwaltung mit seinen ständigen parlamentarischen Fragen. Er will alles wissen: über Einsatzverläufe, Kameraeinsätze, Überwachung, Datenerfassung, Datenbanken, Personenspürhunde, Geruchsprobenentnahme, „Stille sms“, Staatsschutz, Ausrüstung – er ist der Polizei lästig, hinter jeder Frage steckt eine kleine Unterstellung.

Lauer ist, nach dem Kreuzberger Schema, ein Gegner der Polizei – jedenfalls bis vor Kurzem gewesen. Aber nach einem Leitstellenbesuch bei der twitternden Polizei schrieb er beeindruckt in einem Bericht: „Das ist ja das Absurde: Lauter gestresste Menschen am Limit, die trotzdem versuchen, so diszipliniert, wie es nur geht, ihren Job zu machen, da jeder Fehler doppelt und dreifach bestraft wird.“ Seitdem ist er auch bei den eigenen Leuten durch, er gilt jetzt als „der Polizeiversteher“, was als Schimpfwort gemeint ist.

"Ständig als Arschloch und Rassist beschimpft"

Die Polizei selbst versucht, sich verständlich zu machen – und macht sich in den Augen mancher dabei mit einigen Tweets eher lächerlich. „Bitte unterlassen Sie für eine entspanntere Zwischenkundgebung am #Oplatz die Flaschenwürfe auf unsere Einsatzkräfte. #Ohlauer“. Lauer findet das richtig, für ihn trägt das zur Deeskalation bei, auch weil so falschen Gerüchten entgegengewirkt werden kann. „Zur Zeit machen wir einen Schichtwechsel. Daher die Fahrzeugbewegungen. Eine Räumung steht nicht unmittelbar bevor. #Ohlauer.“, lautet so ein typischer Polizeitweet.

Viele Beamte sehen diese neue Art der Transparenz eher zwiespältig. Ein hoher Beamter, seit langem in Kreuzberg im Einsatz, auch in der besetzten Schule, wünscht sich statt dessen eine deutlichere Unterstützung durch die Politik. Die Ankündigung des Polizeipräsidenten auf dem vorläufigen Höhepunkt des Flüchtlingsdramas in der besetzten Schule, von der Ohlauer Straße abzuziehen, wenn die Politik sich nicht entscheidet, was sie will, hält er auch aus heutiger Sicht für die Rettung der Situation. Die Polizeiführung habe es nach Tagen der Ungewissheit und der ständigen verbalen und körperlichen Angriffe immer schwerer gehabt, die auch aus anderen Bundesländern herbeigebetenen Kräfte ruhig zu halten. „Wenn man ständig als Arschloch und Rassist beschimpft wird und nicht weiß, wie das weitergeht, dann gibt es in einer Einheit schon den einen oder anderen, der sich dann auch genau so benehmen möchte.“

Er selbst hat bisher kühlen Kopf bewahrt, sagt er, aber es brodelt in ihm, ganz offensichtlich. Eine typische Situation aus den vergangenen paar Monaten? Sie werden in die Schule gerufen, von den Flüchtlingen selbst. Drinnen steht ein Mann, wütet, schlägt mit einer langen Eisenstange wild um sich. Die anderen rufen: „Take him away, take him away!“ Die Polizisten nähern sich vorsichtig, reden auf den Mann ein. „Da kommen von draußen Unterstützer rein, Typ Abiturient aus Lichterfelde West, rennen auf uns zu und brüllen: Ihr Rassisten, haut ab, ihr verletzt seine Rechte, fasst ihn nicht an!“.

Die Geschichte von Kreuzberg und der Polizei, sie hat einen langen Anfang. Und noch lange kein Ende.

* Namen der Zeugen geändert

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