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Der Stoff, mit dem der Gegner hisst. Grußadresse aus Kreuzberg.

© Bock

WM 2014 - Schland flaggt auf: Widerstand gegen deutsche Fahnen

Schland flaggt wieder auf: passend zur Fußball-WM, an Autos, an Balkonen. Doch nicht alle machen mit. Ein Besuch in einem Haus des Widerstands in Berlin-Kreuzberg.

Hannelore S. findet Schland voll in Ordnung. Warum auch nicht, sagt sie, immerhin ist sie Deutsche, Berlinerin schon imma, wa, Kreuzbergerin seit 30 Jahren. „Hab hia allet jesehn!“, sagt sie.

Vor großen Fußballturnieren dekoriert sie mit ihren Nachbarn die Fassade ihres Wohnhauses in der Berliner Schönleinstraße. Über drei Balkone ziehen sie dann an die 25 Deutschland-Flaggen in allen Größen, dazu Wimpel und Schals, und am Ende weht und klatscht der schwarz-rot-goldene Stoff an der Balustrade wie Wellen am Bug eines Dreimasters.

Es könnte alles so schön sein, wären da nicht die Nachbarn R., die direkt zwischen Hannelore S. und ihrem Sohn wohnen. Denn die Nachbarn R. wollen bei der großen Nachbarschafts-Schland-Party einfach nicht mitmachen. Im Gegenteil: Bei jedem Turnier hängen sie eine Fahne an ihren Balkon, auf der ebenfalls eine Botschaft steht. „Vorrundenaus“, war da während der EM 2012 zu lesen. Dieses Mal verkünden sie: „Wer sonst nichts hat zum Stolzsein, hat immer noch Patriotismus.“

2012 wanderte das Bild dieser Hausfassade durchs Internet und einige Leute begannen ihre Kommentare wie die Einleitung eines Asterix-Comics: „Flaggen an allen Balkonen? Nein, ein von unbeugsamen Kreuzbergern dekorierter Balkon hört nicht auf, den Nachbarn Widerstand zu leisten.“ Auch dieses Mal bleiben wieder Leute vor dem Haus stehen und machen Fotos, denn diese kleine Anti-Fahne sieht im tosenden schwarz-rot-goldenen Meer aus wie eine putzige Jolle. Und ganz nebenbei verhandelt diese Fassade auf engstem Raum wieder einmal die zwei Standpunkte der Diskussion über den sogenannten Partypatriotismus. Auf der einen Seite diejenigen, die sagen, dass die Türken oder Franzosen sich doch auch ihre Nationalfarben auf die Wangen schmieren und man sich mal entspannen sollte. Auf der anderen Seite die Leute, die Sätze sagen wie: „I can’t relax in Deutschland“ und das Schwarz-rot-gold-Bekenntnis als klebrige Deutschtümelei und Vorbote eines neuen Nationalismus kritisieren.

"Wer sonst nichts hat zum Stolzsein, hat immer noch Patriotismus."

Hannelore, die im Schlafkleid durch die Wohnung führt, versteht das alles nicht so recht. „Dit sind ja och Deutsche“, sagt sie, und ihr Mann glaubt: „Die freuen sich doch insgeheim ooch, wenn Deutschland jewinnt.“ Nur Jessica, Hannelores Schwiegertochter, sieht das anders: „Nee, nee“, sagt sie, Tarnhose, Kapuzenpullover, Kurzhaarfrisur. „Die sind irgendwas mit öko, hat mir mal jemand gesagt!“

Soll das die Botschaft sein: Öko? Jessica liest den Satz noch einmal laut vor. Dann zieht sie die Schultern hoch. „Nee, versteh ich nicht“, sagt sie. „Man soll doch stolz sein auf sein Land.“ Und auch Hannelore, nun auf dem Sofa sitzend, sagt: „Keene Ahnung! Wieso Patriotismus?“

Sie hat doch so vieles, auf das sie stolz ist. Ihren Detlev, der ist zwar gerade arbeitssuchend, aber eigentlich ein ziemlich guter Berufskraftfahrer. Außerdem sind da noch ihre Katzen und ihre Katzenbilder an der Wand. Und der BFC Dynamo und ihre Dart-Leidenschaft. Mit ihrer Mannschaft spielt sie in der Bezirksliga. Vielleicht steigen sie demnächst auf. Müssen wa gut spielen, sagt sie. Sie könnte stundenlang erzählen. Über Darts, Jobangebote aus Pforzheim, die vom Arbeitsamt abgelehnt wurden, über ihren Lieblingsspieler Marco Reus, den Mann aus dem dritten Stock, ebenfalls mit Deutschland-Fahnen, doch keiner von ihnen, denn er sei, nun ja, ein problematischer Typ. Alkohol und so. Und die anderen Nachbarn aus der Türkei, Frauen mit Kopftuch, alles nette Leute, findet sie. Manchmal nimmt sie auch Pakete an. Dann liest auch sie noch einmal: „Wer sonst nichts hat zum Stolzsein, hat immer noch Patriotismus.“ Hannelore S. sagt: „Frag sie doch mal!“

Klingeln bei R., doch R. macht nicht auf. Dabei ist R. zu Hause. In der Wohnung werden Stühle geschoben und Teller auf Tische gestellt. Neuer Versuch. Wieder Warten. Jessica sagt, dass R. doch ganz okay sei. Wenn man sich im Treppenhaus sehe, grüße man sich. Und dann sagt sie, dass R. vor WM-Start sogar gefragt hat, was sie sich dieses Mal ausgedacht haben. Und dann haben sie gemeinsam gelacht.

Doch heute hat R. keine Lust, über seine widerständige Fahne zu sprechen. Offenbar ist das alles ein bisschen viel geworden in den vergangenen Tagen, denn draußen stehen schon wieder Leute. Ein letzter Versuch. Nichts. Hannelore geht wieder rein, um 11.30 Uhr beginnt die Dokusoap „Unsere erste gemeinsame Wohnung“. Jessica holt Brötchen, denn gleich steht ihr Mann auf. Ein paar Feuerwehrleute trinken auf der gegenüberliegenden Seite einen Kaffee und heben den Daumen. R. hat seine Fahne inzwischen wieder eingerollt.

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