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Kreuzberger Comic: Der 50-jährige Punk.

© Copyright: http://bert-henning-comics.blogspot.de/

Zu Besuch im Comicladen "Grober Unfug": Von 50-jährigen Punks und Kreuzberger Galliern

Der Comicladen "Grober Unfug“ ist eine Kreuzberger Institution. Dass er sich vor gut 30 Jahren gerade hier ansiedelte, ist kein Zufall. Ein Kiez-Besuch vom Comic-Experten.

Was ist bloß mit Kreuzberg los? „Überall kriegst Du Sushi… nirgends mehr Dope!“ Das sind so die Sorgen, die einen alten Kiezrebellen umtreiben. Nachzulesen ist das in den Comic-Strips, die Bert Henning (53) unter dem Titel „Der 50-jährige Punk“ veröffentlicht und von denen in Kürze zum Festival „Comicinvasion“ ein erster Sammelband erscheinen soll. Multitalent Henning – er ist Comiczeichner sowie Bassist und Texter der Band Kunstkraut -  ist nicht nur der Schöpfer der offensichtlich autobiografisch inspirierten Figur mit der schwarzen Lederjacke und dem losen Mundwerk, sondern er ist auch einer der drei Chefs einer Kreuzberger Institution: Des Comicladens „Grober Unfug“ in der Zossener Straße. Dieser ist seit gut 30 Jahren eine feste Anlaufstelle für Berliner Comicfans.

Ein Laden mit Geschichte und Charakter. Die Wände sind bis oben hin mit Regalen bedeckt, in denen sich zehntausende Comic-Bücher drängeln, dazwischen bedruckte T-Shirts, 3-D-Versionen von Tim, Struppi & Co., Tassen mit bekannten Figuren und ähnliche Souvenirs. Die Decke ist mit persiflierten Superheldenfiguren verziert, die der Cartoonist OL in seinem unverwechselbaren Strichmännchen-Stil gezeichnet hat. Ernie und Bert schweben da, Batman, Superman und Micky Maus – eine Sixtinische Kapelle der Pop- und Comickultur.

Potenzielle Kundschaft: "Hausbesetzer, Intellektuelle, linke Lehrer"

Dass es ausgerechnet Kreuzberg war, wo sich der Laden nach einer kurzen Anfangsphase in Friedenau 1983 niederließ, ist kein Zufall, sagen Bert Henning und Co-Chefin Margitta Fischer (64) beim Gespräch am Kassentresen.

Diese besondere Mischung rund um die nur wenige Meter entfernte Marheinekehalle, das unkonventionelle Flair, die zumindest damals einigermaßen bezahlbaren Mieten – da passte ein bunter Comicladen einfach gut in die Nachbarschaft, erst vier Jahre lang in der Gneisenaustraße und seit 1986 in der Zossener. „Hausbesetzer, Intellektuelle, linke Lehrer – das war potenziell unsere Klientel“, sagt Henning.

Die Besitzer des Comicladens Grober Unfug stehen zwischen den Bücherregalen.
Mitten im Groben Unfug. Bert Henning und Margitta Fischer betreiben den Comicladen in der Zossener Straße in Kreuzberg.

© Lars von Törne

Allerdings sind die Veränderungen Berlins in den vergangenen Jahrzehnten auch am „Groben Unfug“ nicht spurlos vorbeigegangen: Das in der Zossener Straße einst auf zwei Ladengeschäfte mit Galerie verteilte Comicimperium schrumpfte an diesem Ort zurück auf einen Laden, beflügelt auch durch einen Streit mit dem Vermieter.

Zudem wanderte ein Teil der Szene nach dem Mauerfall Richtung Osten, da durfte auch ein Comicladen in den neuen In-Vierteln nicht fehlen. Also eröffneten Henning, Fischer und Mitbetreiber Torsten Alisch 1997 eine weitere Filiale in Mitte, wo der Fokus stärker auf internationalen Comics in der jeweiligen Originalsprache liegt. Acht Mitarbeiter gehören heute zu den beiden Läden.

Die meisten Anekdoten rund um den „Groben Unfug“ ranken sich aber um das Kreuzberger Geschäft, in dem anfangs auch Second-Hand-Platten und Poster verkauft wurden. Die Liste der Mitarbeiter, die im Laufe der Jahre hier ihr Comicwissen einbrachten, ist fast ebenso prominent wie die der Szene-Stars, die hier ihre Werke signierten und in der bis 2010 zum Laden gehörenden Galerie ausstellten.

Als der „Grober Unfug“ in den 80ern anfing, waren Comics noch eine Kunstform für wenige Eingeweihte.

Der Comicladen "Grober Unfug" in der Zossener Straße in Kreuzberg. Seit 1983 ist er hier angesiedelt.
Der Comicladen "Grober Unfug" in der Zossener Straße in Kreuzberg. Seit 1983 ist er hier angesiedelt.

© imago

„Didi und Stulle“-Zeichner Fil zum Beispiel stand hier einst als Verkäufer hinterm Tresen, heute ist er auch dank seines Comedy-Programms landesweit bekannt. Der Künstler Atak, heute Hochschulprofessor, stand ebenso auf der Lohnliste wie Dirk Rehm, mit seinem Reprodukt-Verlag inzwischen selbst einer der wichtigsten Lieferanten anspruchsvollen Comic-Nachschubs. Und Thomas Körner alias Tom verdiente hier lange Zeit mit Samstagsdiensten seine Schrippen, während er nebenbei Strips für seine Reihe „Touché“ zeichnete. Als dann immer mehr Kunden nach einem Sammelband der Zeitungs-Strips fragten, kam irgendwann mit Hilfe des damals auch verlegerisch tätigen „Unfug“-Co-Chefs Torsten Alisch Toms erstes Buch heraus, dem inzwischen viele weitere gefolgt sind.

Ins Schwärmen kommen Bert Henning und Margitta Fischer vor allem, wenn sie an die prominenten Künstler denken, die hier zu Besuch waren. Will Eisner zum Beispiel, der von Comicfans verehrte und 2005 gestorbene Vorkämpfer der langen Comicerzählung: Als der US-Zeichner 1989 im „Groben Unfug“ signierte, reichte die Warteschlange bis auf die Straße, mit Sekt in Plastikbechern wurde der Stargast gefeiert. Auch Underground-Pionier Gilbert Shelton („The Fabulous Furry Freak Brothers“) war hier, Walter Moers („Das kleine Arschloch“) und Ralf König („Der bewegte Mann“). Und Dan Clowes, dessen Comic „Ghost World“ auch als Kinofilm erfolgreich war, bemalte mal für eine Ausstellung die Wand zur Galerie des Comicladens mit seinen Figuren, ebenso zahlreiche andere Künstler, die zu Besuch waren. Solle eines Tages mal jemand die Wand im Hofeingang neben dem Laden abtragen, kämen Schicht um Schicht an wertvoller Comic-Kunst ans Tageslicht.

Kreuzberger Comic: Der 50-jährige Punk.
Kreuzberger Comic: Der 50-jährige Punk.

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Der rebellische Geist der Kreuzberger

Als der „Grober Unfug“ in den 80ern anfing, waren Comics noch eine Kunstform für wenige Eingeweihte und wurden nicht wie heute regelmäßig im Feuilleton gewürdigt. Der Laden in der Zossener Straße hat mit den Jahren seine Schwerpunkte den wechselnden Trends angepasst, wie Bert Henning und Margitta Fischer berichten: Anfangs liefen vor allem französische und amerikanische Comic-Alben und Hefte gut, auch dank der alliierten Besatzer in West-Berlin. Nach den Superheldenheften kamen die Mangas, und in letzter Zeit stehen vor allem Graphic Novels hoch im Kurs, also lange, abgeschlossene Comicerzählungen in Buchform. Der Bestseller ist allerdings ein Klassiker, der auch zu Anfangszeiten des Ladens schon dazugehörte: Der neue Asterix-Band wird derzeit besonders oft gekauft. Irgendwie passt auch das zum Umfeld des Ladens. Wird doch der rebellische Geist der Kreuzberger gerne mal mit dem der Gallier verglichen.

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels. Mehr rund ums Thema Comics finden Sie auch auf unserer Comic-Seite.

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