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Helga Balkie ist blind - und dreifache Weltmeisterin in Karate / Credit: Steffi Bey

© Steffi Bey

Kampfkunst ohne Augenlicht: Wie eine blinde Karate-Weltmeisterin aus Berlin ihre Gegner schlägt

Vor fast 30 Jahren erblindete die Berlinerin Helga Balkie durch eine Erkrankung. Hier erzählt sie, wie sie Treffer landet, ohne zu sehen, wohin sie zielt.

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Den Satz „das kann ich nicht“ hat die Berlinerin Helga Balkie aus ihrem Wortschatz gestrichen. Sie lässt ihn nicht zu, aber genau das macht die blinde Sportlerin so stark. Dreimal wurde sie Weltmeisterin im Blindenkarate und einmal Europameisterin.

Ob sie schon immer so hart zu sich selbst war, kann sie nicht genau sagen. Auf jeden Fall hat sie das vor dem Rollstuhl bewahrt, davon ist sie überzeugt. Denn bei der 67-Jährigen wurde in ihrer Jugend Multiple Sklerose festgestellt. Damals hatte sie schon mit dem Karatesport begonnen.

Berliner Kampfsportlerin erblindete vor 30 Jahren

„Eigentlich, weil ich mich gegen meine vier Brüder durchsetzen musste“, sagt sie und lacht. Aus heutiger Sicht war das wohl die wichtigste Grundlage für ihre Mobilität im Alter, auch wenn die durch das Fortschreiten der Krankheit eingeschränkt ist. Denn das Erblinden konnte sie als Folge der MS vor fast 30 Jahren nicht verhindern.

Sie arbeitete zu diesem Zeitpunkt im öffentlichen Dienst bei der Polizei, wurde dann aber berentet. Ihr Sohn Tobias war zehn Jahre alt. Er merkte, wie schlecht es seiner Mutter ging. Plötzlich war sie nur zu Hause, grübelte viel und wusste nicht, wie es weitergehen soll. „In dieser Situation forderte mich mein Sohn auf, wieder mit zum Training zu kommen“, erinnert sich die Hellersdorferin.

Das kostete sie Überwindung. Auch, weil sie nicht wusste, wie die anderen reagieren würden, die die Karatesportlerin bisher als Sehende kannten. Doch es ging, weil Helga es unbedingt wollte. Obwohl die durchtrainierte Frau mit den kurzen, grauen Haaren nicht so gerne über diese Zeit redet. Denn sie spürte, dass einige aus der Gruppe ihr nicht mehr viel zutrauten.

Zum Glück gehört dieses Kapitel zur Vergangenheit. Gemeinsam mit Tobias wechselte sie den Verein und gehört seit 2011 zum Hellersdorfer Athletik-Club Berlin. Und das war wieder eine neue Herausforderung: Für Helga, weil sie nun als Blinde neue Angriffs- und Abwehrtechniken, sogenannte Katas, erlernen musste. Für Trainer Heiko Kuppi, weil Helga die erste blinde Karateka war, die er ausbildete.

Sie zählt die Schritte vom Mattenrand

Dabei steht er dicht hinter oder vor ihr, erklärt viel, berührt ihre Arme und deutet die Richtung an. Schnippst er mit den Fingern, weiß Helga, dass sie genau dorthin laufen muss. Auch zu den Wettkämpfen kam der Trainer immer mit. Er führte die Karatekämpferin in die Startposition auf die Matte.

Helga verließ sich bei solchen Turnieren besonders auf ihr „bildhaftes Gedächtnis“ und arbeitete die einstudierten Schlag-, Stoß- und Tritttechniken nacheinander ab. „Zur besseren Orientierung habe ich die Schritte vom Mattenrand bis zur Mitte gezählt“, sagt sie. Sprünge wurden nur angedeutet, weil die Verletzungsgefahr zu groß ist.

Am schwersten fällt es ihr nach wie vor, gerade zu laufen und den Körper zu drehen. Aber wer sie beim Training in der Sporthalle an der Maxi-Wander-Straße 51 beobachtet, merkt das kaum: Hoch konzentriert, kraftvoll und schnell bewegt sie sich im Team nach den Ansagen des Trainers.

Keine Wettkämpfe mehr

Seit sieben Jahren nimmt Helga nicht mehr an Wettkämpfen teil. Das haben ihr die Ärzte aus gesundheitlichen Gründen nahegelegt. Aber sie stellt sich wieder einer neuen Aufgabe, bei der sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergibt. Zusammen mit einem sehenden Trainer kümmert sie sich um Kinder und Erwachsene mit Handicap. „Es macht mir großen Spaß und bedeutet mir sehr viel, weil es eine Wertschätzung ist“, sagt die Sportlerin.

Inzwischen klappt auch die Verständigung ganz gut: Obwohl ihre Schützlinge erst lernen mussten, mit ihr zu kommunizieren. „Nur den Kopf zu schütteln oder nicken, sehe ich ja nicht“, sagt Helga. Meistens erkennt sie schon am Rascheln der Karatekleidung, ob Beine oder Arme richtig bewegt werden.

Im Oktober wurde Helga Balkie, anlässlich der Feierstunde „10 Jahre Inklusion durch Sport“, von der Staatssekretärin für Sport Franziska Becker eine Ehrenurkunde überreicht. Als Dankeschön für ihr langjähriges Engagement im Para-Karate-Sport. In stillen Momenten denkt die Kämpferin mit dem 3. Dan über ihre Zukunft nach. Und wünscht sich, dass sie noch lange diesen Sport treiben kann.

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