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Anke Siegling und Silvio Seidel auf dem Stadtgut.

© Ulrike Scheffer

Leben auf dem Stadtgut in Pankow: Wohngemeinschaft für Fortgeschrittene

Auf dem ehemalige Stadtgut in Blankenfelde leben Familien, Paare, Singles und Senioren. Samstags arbeiten sie an gemeinsamen Projekten - auch, wenn nicht alle immer einer Meinung sind. Besuch eines Experiments.

Das Stadtgut Blankenfelde hat in seiner langen Geschichte schon viele Besitzer und Nutzer erlebt: Ritter, Lungenkranke und Wöchnerinnen, die Rote Armee, Kriegsflüchtlinge. Flüchtlinge könnten auch jetzt wieder hierher an den nördlichen Stadtrand Berlins ziehen, doch dazu später mehr. Das Areal mit dem alten Gutshaus aus Backstein und dem weiß getünchten ehemaligen Kurhaus ist heute Wohn- und Treffpunkt für 60 Berliner und ihre Kinder, die mehr wollen als einfach nur in guter Nachbarschaft auf dem Land zu leben. In einem Verein setzen sie sich für den Natur- und Denkmalschutz rund um das Gut ein. Einige Bewohner betreiben auf dem Gelände eigene Werkstätten, und auch ein Imker hat sich hier niedergelassen. Mittelpunkt ist der große Hof, auf dem Bänke, Fährräder und jede Menge Kinderspielzeug herumstehen.

Hofidyll in Blankenfelde.
Hofidyll in Blankenfelde.

© Ulrike Scheffer

Ein zentrales Element der Großgemeinschaft ist das generationenübergreifende Zusammenleben. Auch Anke Siegling (71) zog vor drei Jahren aus ihrer kleinen Einzimmer-Wohnung in Alt-Tegel aus, um mit drei anderen Senioren auf dem Gelände des Stadtguts eine WG zu gründen. „Ich suchte Gesellschaft, wollte aber nicht in einem Häkelkurs landen“, sagt sie. Das Leben auf dem Stadtgut fühlt sich für die frühere Physiotherapeutin mit den langen grauen Haaren und der geflickten Jeans dagegen fast ein bisschen an wie 1968, wie sie bei Kaffee und Weintrauben in der Wohnküche ihres Nachbarn Silvio Seidel erzählt. Der ist 45 und lebt mit seiner Frau und der fünfjährigen Tochter in einer eigenen Wohnung auf dem Gut. Seidel hatte vor Jahren von Freunden von dem Projekt Stadtgut gehört. „Das haben wir damals eher belächelt und gesagt: Fahrt ihr mal aufs Dorf. Als unsere Tochter geboren wurde, war der Gedanke, aufs Land zu ziehen, dann plötzlich nicht mehr so abwegig.“

Vom Traum in die Realität

Jeder Bewohner verbindet mit dem Stadtgut seinen eigenen Traum. Nicht immer passt das freilich zusammen. Schon in der Sanierungsphase gab es in dem 2004 gegründeten Verein „StadtGut Blankenfelde“ durchaus unterschiedliche Wünsche und Interessen. 2009 wurde mit der SelbstBau daher eine Genossenschaft mit ins Boot geholt, die Erfahrung mit der Sanierung von Berliner Altbauten in Eigenregie hatte. „Dann hatten wir einen strengen Architekten“, sagt Silvio Seidel und lacht. Heute sind die Stadtgutbewohner Mieter der SelbstBau. Immer samstags treffen sie sich aber weiter zu ihrem „Samstagewerk“, um Projekte auf dem Gut zu verwirklichen, einen Bolzplatz zum Beispiel oder ein Café. Dann wird auch in einer der beiden Gemeinschaftsküchen zusammen gekocht und gegessen. „Das Engagement ist inzwischen etwas weniger geworden, aber insgesamt leben wir hier doch alle recht harmonisch zusammen“, erklärt Seidel.

Doch die Gutsbewohner holten sich auch schon Rat bei Mediatoren, um die Gemeinschaft zusammenzuhalten. „Wir sind ja alle mit großen Erwartungen und einer unglaublichen Euphorie hier eingezogen. Danach kam dann erst einmal ein Knick“, sagt Seidel. „Wir sind jetzt in der Realität angekommen“, nennt es Anke Siegling. Bereut haben beide den Umzug aufs Gut aber nicht. Und auch von den übrigen Bewohnern ist bisher fast niemand wieder abgewandert. „Ein, zwei haben gemerkt, dass das Landleben doch nicht das Richtige für sie ist. Aber die Gemeinschaft funktioniert gut.“

Der Verein des Stadtguts engagiert sich im Denkmal- und Naturschutz.
Der Verein des Stadtguts engagiert sich im Denkmal- und Naturschutz.

© Ulrike Scheffer

Und die Gemeinschaft engagiert sich auch politisch. Zum Beispiel gegen die Bebauung der nicht weit entfernten Elisabeth-Aue, wo der Senat mehrere tausend Wohnungen errichten will. Doch nicht alle Gutsbewohner ziehen mit. Anke Siegling etwa kann dem Bauprojekt durchaus Gutes abgewinnen. „Ich habe in den 1950er Jahren als Flüchtlingskind mehrere Jahre mit meinen Eltern in einer Baracke gelebt. Ich weiß noch genau, wie es sich anfühlte, als wir endlich in eine Neubausiedlung ziehen konnten“, erzählt sie. Angesichts der Wohnungsnot in Berlin und der steigenden Flüchtlingszahlen will sie sich daher nicht grundsätzlich gegen den Bau neuer Stadtquartiere aussprechen. „Irgendwo muss ja gebaut werden.“

Das ehemalige Kurhaus auf dem Gelände des Stadtguts.
Das ehemalige Kurhaus auf dem Gelände des Stadtguts.

© Ulrike Scheffer

Ihrer Begeisterung für das Zusammenleben hat der Konflikt keinen Abbruch getan. Anke Siegling sagt aber, dass das Einleben in Blankenfelde mitunter schon ein schmerzhafter Prozess gewesen sei. Denn obwohl sie viele Leute um sich hat, fühlt sie sich auf dem Land auch auf sich selbst zurückgeworfen. „Vor allem im Winter leben viele doch eher für sich, da trifft man sich nicht einfach mal abends auf dem Hof.“ Sie habe lernen müssen, es mit sich selbst auszuhalten, sagt sie. „Jetzt bin ich bei mir angekommen.“ Die Gewissheit, dass sie jederzeit bei den Nachbarn klingeln könne, wenn sie Hilfe benötige, gebe ihr dabei ein gutes Gefühl. Inzwischen wohnt auch ihre Tochter samt Familien auf dem Stadtgut.

Wenn es nach den Bewohnern des Stadtguts geht, könnten wie nach dem Zweiten Weltkrieg bald auch wieder Flüchtlinge in Blankenfelde unterkommen. „Das wollen wir aber nicht allein machen, sondern gemeinsam mit dem Dorf“, erklärt Seidel. „Blankenfelde hilft!“, könnte die Aktion in Anlehnung an andere Berliner Initiativen heißen. Doch vorher gebe es noch viel Klärungsbedarf, sagen Silvio Seidel und Anke Siegling.

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