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Wöchentlich sterben drei Kinder in Deutschland nach Misshandlungen. Die Dunkelziffer ist hoch. Hier ein Symbolbild zum Thema.

© dpa

Misshandlungsfall Emilia: Nun wird nach den Fehlern des Jugendamtes gesucht

Nach der zweifachen Misshandlung der kleinen Emilia in Pankow fahnden die Jugendämter jetzt nach Fehlern im Kinderschutzsystem. Neuköllner Stadtrat fordert eine intensive Arbeit mit potentiell gewalttätigen Vätern. Außerdem sollen Eltern aufgeklärt werden, wie gefährlich es ist, ein Baby zu schütteln.

Von Fatina Keilani

Die kleine Emilia aus Pankow ist außer Lebensgefahr. Zwei Mal soll der Säugling im Abstand weniger Monate von seinem Vater schwer misshandelt worden sein. Mit fünf Wochen schwebte das Baby zum ersten Mal in Lebensgefahr, jetzt, mit sechs Monaten, erneut, wie Judith Pfennig, Leiterin des zuständigen Jugendamts Pankow, mittlerweile sagte. Der Vater sitzt wegen versuchten Totschlags in Untersuchungshaft, wie die Staatsanwaltschaft bestätigte. Beim ersten Fall hatte man ihn noch von der Haft verschont – ein mutmaßlich schwerer Fehler, wie sich später zeigte. Für den ersten Fall ist bereits Anklage erhoben. Ein Verhandlungstermin ist noch nicht bekannt.

Die bleibenden Schäden von Emilia kennt noch niemand

Das Jugendamt Pankow hatte Mutter und Kind nach der ersten Tat im Juli in einer Einrichtung untergebracht, um sie zu schützen. Auch deshalb war der Vater von der Haft verschont worden, hieß es inoffiziell aus Kreisen der Staatsanwaltschaft. Schließlich war die Familie getrennt. Doch schon im September kehrten Mutter und Kind in die gemeinsame Wohnung zurück. Hier kam es Ende November zur nächsten massiven Verletzung des Mädchens. „Die Frage, welche bleibenden Schäden Emilia erlitten hat, können wir noch nicht beantworten“, sagt Pfennig. „Wir fragen uns natürlich auch, an welcher Stelle etwas schiefgelaufen ist.“ Das Pankower Jugendamt ist wie alle anderen auch überlastet.

"Man sollte den Vätern Schockfotos zeigen"

Der Neuköllner Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) fordert unter anderem eine Ausweitung der Väterarbeit. „Dass der Misshandler einfach wieder in seine Familie zurückkonnte, damit habe ich ein Problem“, sagte Liecke am Donnerstag. „Das ist hoch riskant. Ich bin dafür, ihn erst in die Familie zu lassen, wenn er einen Kurs durchlaufen hat.“ Liecke fordert strengere Auflagen und eine „viel intensivere Väterarbeit.“

Beim Rechtsmediziner Michael Tsokos und seiner Kollegin Saskia Etzold habe er Bilder von obduzierten Babys gesehen, die infolge Schüttelns gestorben waren. Diese Bilder sei er nicht mehr losgeworden, so schrecklich waren sie – lauter Einblutungen im Hirn, in den Augenhöhlen, im Körper. Den Vätern solche Schockfotos zu zeigen, hält Liecke für einen denkbaren Weg. Es sei einfach zu wenig bekannt, wie gefährlich allein das Schütteln ist – es könne schwerste Behinderungen verursachen und das Baby töten.

Auch Jugendamtsleiterin Pfennig sieht hier ein großes Informationsdefizit. „Bundesweit häufen sich Fälle geschüttelter Babys“, sagte Pfennig. „Man sollte eine Kampagne in Betracht ziehen, um Eltern zu informieren.“ Es handele sich auch nicht um ein Problem bestimmter sozialer Schichten, sondern komme in jeder Schicht vor. Insgesamt sei das erste Lebensjahr von überragender Wichtigkeit für das ganze weitere Leben des Kindes. Dies sei noch nicht bekannt genug.

Jedes gefährdete Kind kommt jetzt in einer Kita unter

Jeder, der Kinder hat, kennt die Überforderungssituation, die ein ständig schreiendes Kind auslösen kann. Ein Hilfsangebot ist zum Beispiel die Schreibabyambulanz, bei der man laut Liecke binnen 24 Stunden einen Termin erhält. Doch meistens kommen im Moment des Affekts mehrere Faktoren zusammen.

Obwohl am System des Kinderschutzes ständig gearbeitet wird, hat es Lücken, und es gibt immer wieder schreckliche Fälle, in denen Kindern massive Gewalt angetan wird. Im vergangenen Jahr hatte der Tod des Mädchens Lena Aufsehen verursacht. Dem sieben Monate alten Kind waren zuvor schon zahlreiche Knochen gebrochen worden. Es wohnte mit der Mutter im Mutter-Kind-Heim eines freien Trägers. Tatverdächtig war der Vater, damals 17 Jahre alt. Er konnte in dem Heim ein- und ausgehen. „Das war ein Riesenproblem, dass der Vater ständig dort war – es gab keine Zugangskontrollen“, bilanziert Liecke. So hatte der Mann ständig Zugriff auf das Kind.

Auch im Falle der 33 Monate alten Zoe, die im Januar 2012 aufgrund schwerer innerer Verletzungen starb, war das Pankower Jugendamt zuständig. Der Fall war ein Musterbeispiel des Versagens. Es waren Hinweise auf blaue Flecke ignoriert worden, und doch: Formal hatte das Amt alles richtig gemacht. Konsequenzen wurden inzwischen daraus gezogen. Zoe hatte keinen Kita-Platz bekommen. Nach ihrem Tod änderte der Bezirk seine Praxis. Jedes gefährdete Kind kommt in einer Kita unter. Die Hoffnung ist, dass Erzieher im Misshandlungsfalle Alarm schlagen. Auch die Fortbildungen der Jugendamtsmitarbeiter hat Pankow erweitert.

„Die Papierlage ist im System Kinderschutz gut, es scheitert aber oft an fehlenden gesetzlichen Regelungen, praktischen Abläufen und menschlichem Versagen“, fasst Stadtrat Liecke zusammen.

Die Polizei geht von einem Faktor 400 als Dunkelziffer aus. Das heißt, auf jeden bekannten Fall einer Kindesmisshandlung kommen 400 unerkannte. In Berlin wurden im vergangenen Jahr 520 Fälle von Kindesmisshandlung erfasst. Das waren 21 mehr als 2012.

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