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Berlin, kiek an. In Spandau gibt's mehr als nur Ikea-Möbel - zum Beispiel diese Fandevotionalien für 33 Euro in der Tourismus-Zentrale in der Altstadt.

© Imago

Serie: Bezirke vor der Wahl: Spandau - Home Sweet Havel

Die Spandauer sind ein stolzes Völkchen, manchmal sogar berlinischer als die Berliner. Ein Bezirksporträt zur Wahl.

Berlin bei Spandau? Spandau bei Berlin? Eine Frage des Blickwinkels, die nie endgültig beantwortet sein wird. Als Hilfestellung mag gelten, dass Spandau älter ist und es sich aussuchen darf. Für Zugereiste: Man hat es vor sich, wenn man Berlin runterschmeißt, und alles westlich der Havel bricht ab; auf die Ausnahmen kommen wir noch. Aus dieser geografischen Besonderheit ergibt sich die Grundhaltung der Eingeborenen, die immer stöhnen, wenn sie mal nach Berlin müssen, also raus aus Spandau in Richtung Osten

Wozu eigentlich? Eine kleine Großstadt sind sie ja selbst, das sieht man schon am Bahnhof, an dem sogar viele ICE-Züge halten, die den Bahnhof Zoo ignorieren. Um es noch klarer zu sagen: Ein Stück südwestlich von Spandau liegt die Landeshauptstadt des angrenzenden Bundeslandes. Die hat 65.000 Einwohner weniger.

Früher gab es hier Staus - wegen Berlins einzigem Ikea

Das Eigenartige ist aber nun, dass sich viele Leute dort draußen berlinischer fühlen als die Berliner, den rauen Dialekt durchaus eingeschlossen. Und schließlich haben sie ja auch alles, was Berlin ausmacht: Großsiedlungen wie das Falkenhagener Feld im Nordwesten, Wohnlagen im Grünen in den expandierenden Villengegenden Gatow und Kladow im Süden entlang der Havel, viel Wald im Spandauer Forst und viel Wasser dazwischen, sogar erschlossen mit der noch wenig geliebten Wasserstadt. Und mittendrin gibt es auch noch deftiges Kiezgefühl ohne jegliches Szenegeplänkel.

Braucht Berlin, umgekehrt, Spandau? Es gab eine Zeit, als sich dort die einzige Ikea-Niederlassung der Region befand - sie wurde 1977 eröffnet - , das führte an heiklen Tagen zu enormen Verkehrsstaus. Staus und Warteschlangen waren auch üblich in der Klosterstraße vor der Florida-Eisdiele. Beide Unternehmen haben längst expandiert, die Anreise aus der Stadt erübrigt sich. Aber die Zitadelle ist immer noch einmalig: Eine Renaissance-Festung im Wasser, bestens erhalten mit allem, was eine ordentliche Burg ausmacht. Und mit Lenins Granitkopf, der seltsamerweise auf der Seite liegt – Spandauer Perspektive.

Beliebt ist die Zitadelle auch für allerhand Drehleier-Mummenschanz und als Rock-Freilichtbühne für die kleineren der großen Gigs, in diesem Jahr zum Beispiel für BAP, Lionel Richie und Pur. Gleich nebenan liegt die kleine, romantische Altstadt mit der Schleuse. Bemerkenswert sind auch die CCC-Studios übers Wasser in Eiswerder, wo Artur Brauner unzählige Filme produziert hat; seine Tochter kämpft darum, das Lebenswerk zu erhalten.

Am Siemensdamm wurde 1961 das erste Einkaufszentrum eröffnet

Gatow und Kladow, südlich der Heerstraße gelegen, sind also die grünen Wohngegenden, wo das Wasser nie weit ist. Aber es gibt in Spandau ja auch einen Teil auf der anderen Havelseite, der ganz anders ist. Wohnen und Gewerbe dominieren in Haselhorst, das der Durchreisende meist rasch hinter sich lässt, am besten auf einem der BMW-Motorräder, die dort produziert werden. Doch dann ist da auch noch Siemensstadt, über dessen historischen Hintergrund nicht viel gesagt werden muss: Es ist die Stadt, die aus den Werken des Imperiums von Siemens & Halske und den zu Beginn des Ersten Weltkrieges errichteten Wohnungen für die mehr als 20.000 Beschäftigten besteht, verkehrsumtost noch heute. Die alten Hallen werden längst auch von zahllosen anderen Unternehmen genutzt, und die Wohnungen in durchaus reizvollen Backsteingebäuden sind längst für jeden da, der eine findet.

Am Siemensdamm eröffnete 1961 das erste deutsche Einkaufszentrum mit damals sensationellen 26 Geschäften unter einem Dach. Heute heißt es „Kaufmitte“, aber der Glanz der Startphase ist längst abgeblättert. Zu Siemensstadt gehört auch das Kraftwerk Reuter, einst das energetische Herz West-Berlins; neueren Datums ist das Müllheizkraftwerk der BSR auf der anderen Spreeseite. Wie Wedding und Reinickendorf leidet auch Spandau unter dem enorm gewachsenen Flugverkehr in Tegel – die Einflugschneise führt mitten über den Bezirk.

Wer es zu etwas gebracht hat, eine Familie gründet und sich vergrößern will, der zieht aus Spandau übrigens entweder nach Gatow und Kladow, oder nach Falkensee, die seit 1990 am stärksten gewachsene Gemeinde Deutschlands. Falkensee hat nur einen Schönheitsfehler: Es gehört eindeutig zu Brandenburg. Aber wenn man die Spandauer fragen würde, ob sie es haben wollen ...

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