zum Hauptinhalt
Die Autorin Nora Tschepe-Wiesinger ist freie Mitarbeiterin des Tagesspiegel und des Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin aus dem Südwesten. Sie studiert zurzeit in Hannover.

© privat

Abitur in Zehlendorf - und was dann?: Lieber Spaß im Beruf statt großes Geld

Abitur gemacht, Schule beendet, aber die Erwachsenen nerven ständig mit der Frage nach dem Danach. Unsere Autorin hat sich ihre Gedanken dazu gemacht und für sich beschlossen, auf jeden Fall einen Beruf zu wählen, der ihr wirklich Spaß macht.

"Und hast du schon Pläne für danach?" – diese oder eine ähnlich harmlos klingende Frage dürfen sich momentan wohl tausende Abiturienten bundesweit anhören. Ich gehöre zu den Schülerinnen, die in diesem Sommer der Schule endgültig den Rücken kehren werden.

Ganz gleich, ob es meine Oma ist, die anruft und eigentlich meine Mutter sprechen will, oder die Sprechstundenhilfe beim Arzt, die versucht, mich während der Blutabnahme durch unverfänglichen Small Talk abzulenken – die meisten Erwachsenen scheint derzeit mir nur noch eins an mir zu interessieren: mein Leben danach. Mit „danach“ ist die seit dreizehn Jahren herbeigesehnte schulfreie Zeit gemeint. Nie wieder Schule – das heißt: mich nie wieder morgens um halb sieben für eine Doppelstunde Mathe aus dem Bett quälen müssen, mich nie wieder mit der überlebenswichtigen Frage beschäftigen, wie wahrscheinlich es ist, dass von 50 bunt gemixten Kugeln mindestens 15 und höchstens 20 blau sind.

Zählen in Zehlendorf nur Jura und Medizin?

Wie oft habe ich diesem – mitunter bereits in illusorische Ferne gerückten – letzten Schultag meines Lebens entgegengefiebert! Und jetzt? Während der letzten drei Monate habe ich gemerkt, dass es manchmal gar nicht so entspannt ist, nicht mehr zur Schule zu gehen. Denn die Frage nach dem Danach sitzt einem im Nacken wie ein fieser Pickel – mit dem Unterschied, dass der Pickel irgendwann der Vergangenheit angehört, während das Danach unaufhaltbar und unerbittlich zur Gegenwart wird.

Es ist ja nicht so, dass ich überhaupt noch keine Ideen und Träume für die Zeit nach dem Abitur habe. Ich kenne meine Stärken und weiß auch ohne individuelle Berufsberatung, dass ich nicht über Nacht zur leidenschaftlichen Mathematikerin oder Maschinenbauerin mutiere. Doch genau hierin liegt das Problem, denn ich bin eine von den hunderttausend Schulabgängern, die mal "irgendwas mit Medien" machen wollen – in meinem Fall am liebsten Journalismus.

Zukunftsträume verwerfen? Kommt nicht infrage

Leider wird meine Leidenschaft fürs Schreiben durch skeptische Blicke und mitleidsvolle Kommentare aller berufserfahrenen Erwachsenen ziemlich gedämpft. "Ach, als Journalistin, da verdienst du doch nichts, hast unregelmäßige Arbeitszeiten und bekommst keine Festanstellung, und in spätestens zwanzig Jahren gibt's eh keine gedruckten Zeitungen mehr." Diese Sätze habe ich in letzter Zeit so oft gehört, dass ich mittlerweile selbst anfange, daran zu glauben. Mein ursprünglicher Plan, eine Geisteswissenschaft wie Germanistik zu studieren, wurde durch die zahlreichen negativen Prognosen ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Stattdessen erscheint mir der obligate Zukunftsvorschlag, doch "einfach BWL zu studieren", auf einmal gar nicht mehr so abwegig – obwohl Mathe wie gesagt nie zu meinen Stärken zählte und ich bisher auch keine ausgeprägten Management-Qualitäten bei mir festgestellt habe.

Jeder Jahrgang von Abiturienten steht vor dem unbekannten Danach.
Jeder Jahrgang von Abiturienten steht vor dem unbekannten Danach.

© dpa-Bildfunk

Also, was tun? Langsam muss ich mich ja entscheiden. Eigentlich halte ich es für ein "Privileg", mir über meine Stärken und Leidenschaften bereits im Klaren zu sein. Ein noch größeres Privileg wäre es natürlich, die persönliche Leidenschaft zum Beruf machen zu können und damit Geld zu verdienen. Doch Vielen bleibt dies verwehrt. Für jede Tänzerin, Sängerin oder eben "Schreiberin" ist es schwer und ohne glückliche Zufälle beinahe unmöglich, gutes Geld allein durch das Ausüben des Hobbys zu verdienen. Aber meine Zukunftsträume deswegen total verwerfen und zielstrebig darauf hinarbeiten, Ärztin oder Anwältin zu werden?

Das kommt für mich nicht infrage. Es mag ein bisschen naiv klingen, aber ich möchte lieber einen Beruf ausüben, der mir Spaß macht, obwohl ich nicht das große Geld verdiene, als am Ende mit einer Arbeit dazustehen, für die ich mich nur der Bezahlung und Jobsicherheit wegen entschieden habe.

Von meinen Freunden, die auch gerade Abitur machen, weiß ich, dass es den meisten von ihnen ähnlich (er)geht wie mir. Viele wissen noch überhaupt nicht, was sie später mal werden wollen. Und denen, die wie ich bereits eine ungefähre Richtung im Kopf haben, wird ständig und von jedem von der getroffenen Wahl abgeraten.

Die Skepsis der Erwachsenen verunsichert nur

Ich finde das eigentlich ziemlich schade. Gerade hier in Zehlendorf scheint es insbesondere durch den äußeren Druck nur noch drei mögliche (anerkannte) Studienfächer nach dem Abitur zu geben: Jura, Medizin oder Psychologie. Von kaum jemandem unter meinen Freunden höre ich etwas anderes.

Ich wünsche mir, dass auch den Nicht-Juristen und Nicht-Medizinern untern uns Abiturienten ein wenig mehr Begeisterung, Ermutigung oder zumindest Optimismus bezüglich der Studienwahl und der beruflichen Zukunft entgegengebracht wird. Die Berufswahl ist angesichts der heutigen vielfältigen Möglichkeiten und schnellen Veränderungen ohnehin schon schwer genug; da braucht es nicht noch Skepsis und Mitleid von Verwandten und Bekannten, das nur weiter verunsichert. Wenn einem ständig vermittelt wird, dass man es im Leben nur als ArztAnwaltIngenieurMathematiker und dem entsprechendem Gehalt zu etwas bringen kann oder gebracht hat, braucht sich kein Erwachsener zu wundern, wenn die Frage nach dem Danach bei uns Jugendlichen oft unbeantwortet bleibt.

Die Autorin ist freie Mitarbeiterin des Tagesspiegels und Bloggerin auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Nora Tschepe-Wiesinger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false