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Unsere Autorin schreibt: "Scheiß Familienpolitik. Wie soll man alleinerziehend mit einem Vollzeitjob auf seine Kinder aufpassen, wenn man einkaufen muss oder etwas für sich machen möchte?"

© dpa

Bekenntnisse einer Alleinerziehenden: Ich laufe mich frei!

Wahrscheinlich, schreibt unsere mutige Autorin, "schramme ich des Öfteren knapp am Burn-Out vorbei". Für den Tagesspiegel-Zehlendorf hat sie aufgeschrieben, wie es im Alltag ist, drei Kinder alleine aufzuziehen. Und ohne Partner zurechtzukommen.

In Zehlendorf bin ich aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe studiert, gearbeitet, geliebt und Kinder bekommen. In Zehlendorf habe ich meine Kindheit zwischen den Ständen auf dem Wochenmarkt verbracht, auf dem meine Oma Eier verkauft hat. Ich bin sozusagen Eierprofi – bitte nicht falsch verstehen, aber wer weiß heute noch, was Knickeier sind? In Zehlendorf  habe ich meine Jugend mit Freunden in den Parks mit Gitarre und Rotwein vor der Tankstelle verbracht.

Drei Kinder sind in zwei Schwangerschaften entstanden. Aktuell „zweimal fünf und einmal sechs“ sage ich und für jeden ist klar „ach wie niedlich! Zwillinge!“ und „da haben Sie aber alle Hände voll zu tun“. Zu tun habe ich immer viel. So viel, dass ich oft bis spät in die Nacht beschäftigt bin.

Meinen Partner habe ich geschützt und verteidigt

Übrigens, in Zehlendorf habe ich mich auch verändert. Ich habe jahrelang als Co-Abhängige gelebt. Ich wollte trotz der Massen von Flaschen, Streit und Gewalt die Alkohol- und Tablettenabhängigkeit meines Partners nicht wahrhaben. Aber dazu später.

Von Zehlendorf aus sind wir „in die Stadt“ zum Einkaufen gefahren - also nach Steglitz. Meine Oma und meine Mutter haben Jahrzehnte an der Schloßstraße bei C&A, Karstadt und Wertheim verbracht.

Von Zehlendorf aus bin ich in die Clubs von Berlin gefahren. Wir haben uns in den Bars in der Pariser Straße, in der NN-Bar oder in den Billard-Hallen am Savignyplatz getroffen. Die Öffnung der Mauer war ein Segen. Wir haben getanzt und gefeiert, auf Partys, Konzerten und in Diskotheken.

Ich arbeite in einem Pflegeheim nahe Zehlendorf-Mitte (wie man als Zehlendorfer sagt). Ich gehe wirklich gerne arbeiten und treffe täglich Bewohner oder Angehörige auf der Straße. Das Geschwätz über professionelle Distanz geht mir auf die Nerven. Ich kann es nicht ändern, ich wohne und arbeite im selben Bezirk. Zehlendorf- Mitte ist mein erweitertes Wohnzimmer.

Hatte ich schon erwähnt, dass auch noch drei Kaninchen zur Familie gehören?

Manchmal laufe ich mit meinen Kindern den Teltower Damm und die Clayallee entlang. Der Samstag bietet sich dafür an. An kühlen Tagen wärmen wir uns in den Läden auf. Im Buchladen, im Drogeriemarkt beim Schaukelpferd, bei Woolworth, wo es wirklich vieles zu sehen gibt. Dort ist es bunt, und die Tische sind voll mit billigem Plastik-Kram. Dann gibt es ein Brötchen vom Bäcker und ein Getränk aus dem Supermarkt. Bei TK-Maxx gibt es Spielwaren; in der Zeit kann ich mein in Eile ausgesuchtes Oberteil anprobieren, und die Kinder probieren die Spielzeuge durch.

Oft lasse ich meine Kinder alleine. Wenn ich einkaufen muss...

Bei Saturn gibt es eine Bücherecke und einen Wasserautomaten. Deichmann hat an die gestressten Mütter gedacht und freundlicherweise einen Fernseher aufgestellt. Aber die Kinder toben trotzdem. Auf dem Rückweg ist etwas mühsamer. Es gibt dann noch einmal etwas zu essen und der Vormittag wäre rum.

Oft lasse ich meine Kinder allein. Wenn ich einkaufen muss zum Beispiel. Der Supermarkt ist zwar nur schräg gegenüber, aber ich muss sie allein lassen. Manchmal gönne ich mir eine Auszeit und gehe ein paar Schritte bis zum Klamottengeschäft. Auch dann sind meine Kinder allein. Und wenn ich joggen gehe, manchmal spät abends, manchmal morgens, dann sowieso. Scheiß Familienpolitik. Wie soll man alleinerziehend mit einem Vollzeitjob auf seine Kinder aufpassen, wenn man einkaufen muss oder etwas für sich machen möchte?

Meine Wohnung bekommt neue Farbe, ich renoviere allein

Meinen Partner habe ich geschützt und verteidigt, für die Familie alles getan, was man als Mutter so tut. Und ich habe mich selbst dabei vergessen. Aber ich habe es mit Hilfe meiner Freunde und Familie geschafft, mich freizukämpfen. Heute, Monate nach der Trennung, spüre ich, wie stark und belastbar ich bin. Wenn ich ein Problem habe, muss ich sofort darüber reden, auch auf Arbeit. Meistens gehe ich zu Anna. Anna hört mir immer zu. Es hilft zu reflektieren und damit fertig zu werden.

Ich bin eine schreckliche Mutter, hysterisch und schnell von null auf hundert. Ich fühle mich persönlich angegriffen, wenn die Kinder nicht hören. Sie sind laut und anstrengend und eigentlich nur außerhalb der Wohnung zu ertragen. Oft bin ich nervös und unfair zu ihnen und wahrscheinlich schramme ich des Öfteren knapp am Burn-Out vorbei.

Aber ich bin selbstbewusst geworden und habe gelernt, ohne Partner zurecht zu kommen. Meine Wohnung bekommt neue Farbe, ich renoviere allein, hänge Bilder auf und wieder ab und entscheide selbst, wie ich wohnen möchte. Und ich fahre Fahrrad und gehe wieder joggen, so, wie ich es in meiner Jugend gemacht habe. „Ich laufe mich frei“ in den Zehlendorfer Parks. Vieles in der Umgebung ist vertraut und vieles hat sich in den Jahrzehnten auch sehr verändert.

So sieht es bei uns aus, am Teltower Damm und in Zehlendorf-Mitte; bei mir und meinen drei Kindern.

Der Text erscheint auf Tagesspiegel-Zehlendorf, dem Online-Portal aus dem Berliner Südwesten. Wenn Sie selbst Texte schreiben wollen oder Anregungen haben, sind wir für Sie gerne unter zehlendorf@tagesspiegel.de zu erreichen.

Sandra Peschel

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