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In Steglitz-Zehlendorf, sagte die Grünen-Stadträtin in der BVV, würde das Jugendamt eine zunehmende Zahl an psychischen Erkrankungen feststellen.

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BVV-Steglitz-Zehlendorf: Debatte ums Jugendamt: CDU: "Das ist die Gefühlspolitik der SPD"

Die Kosten für die "Hilfen zur Erziehung" im Jugendamt Steglitz-Zehlendorf sind explodiert, wie in anderen Bezirken auch. Die SPD vermut dahinter einen Skandal und schlechte Führung. Die Stadträtin dagegen sagt: Es gibt immer mehr psychische Erkrankungen im Bezirk.

„Das Geld ist ja nicht weg! Es ist nur woanders!“ Keine neue Erkenntnis, nein, dennoch sorgte sie angesichts der fortgeschrittenen Stunde und der fachlich schwierigen Thematik in der Juli-Sitzung der Bezirksverordneten von Steglitz-Zehlendorf am Mittwochabend für große Erheiterung. Die Lachsalven im Saal übertönten die Glocke des Bezirksvorstehers René Rögner-Francke. Er hatte Mühe, die Bezirksverordneten zu beruhigen. Dabei war es gar nicht lustig. Immerhin ging es um ein Defizit von insgesamt 1,12 Millionen Euro im ersten Quartal 2015 im Bereich der „Hilfen zur Erziehung“ (HzE) im Jugendamt. Am Rednerpult stand Uwe Köhne, der Fraktionsvorsitzende der Grünen. Er fuhr fort: „Das Geld ist an die freien Träger geflossen und die stehen bekanntlich der SPD näher als der CDU.“

Deshalb verstehe er die Große Anfrage der SPD-Fraktion nicht. Darin hieß es im Wortlaut: „Wie lange müssen Kinder, Jugendliche und Eltern noch unter der desolaten Führung des Jugendamtes durch Frau Markl-Vieto leiden?"

Die Frage bezog sich speziell auf das entstandene Finanzierungsloch im HzE-Bereich in den ersten drei Monaten des Jahres. Mit „Hilfen zur Erziehung“ sind Beratungs-, Betreuungs- und Hilfeangebote durch professionelle Fachkräfte zum Schutz von Kindern und Jugendlichen gemeint.

„Es geht Ihnen hier nicht um das Geld, sondern um eine billige Erwiderung auf die Große Anfrage der CDU in der letzten BVV-Sitzung“, kritisierte Köhne. Denn seinerzeit war der Bezirksstadtrat Michael Karnetzki (SPD) der Adressat und wurde gleichermaßen in der Überschrift einer Großen Anfrage namentlich angesprochen. Das ist sonst eigentlich nicht üblich. Daher kritisierte die SPD diese Vorgehensweise – damals vor einem Monat. „Warum machen Sie es jetzt selbst, wenn Sie es nicht gut finden“, fragte Köhne weiter.

Piraten geben sich selbstkritisch

Dass es der SPD jedoch tatsächlich um das Geld gehe, bekräftigte Renate Krohm, Mitverfasserin der Anfrage und Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses (JHA). „Ein Defizit von 1,12 Millionen Euro ist eine reife Leistung, und ich möchte gern den Grund dafür erfahren“, sagte sie. Außerdem erwarte sie, dass so etwas künftig ausführlich im Jugendhilfeausschuss vorgetragen werde. „Nicht erst auf Nachfrage.“

Zuvor hatte die zuständige Bezirksstadträtin Christa Markl-Vieto (Grüne) in einem sehr detaillierten Bericht versucht, die Situation zu erklären. Das Jugendamt habe zum Ende des letzten Jahres in dem HzE-Bereich noch eine finanzielle Punktlandung hingelegt. Dass die Kosten im ersten Quartal jetzt explodiert seien, habe verschiedene Gründe; einer sei zum Beispiel der Anstieg der Flüchtlingszahlen.

Christa Markl-Vieto, Stadträtin der Grünen.
Christa Markl-Vieto, Stadträtin der Grünen.

© Anett Kirchner

„Ein weiterer Faktor ist die Bürgerschaft in unserem Bezirk“, sagte die Bezirksstadträtin. Manche Eltern seien gut informiert und würden jegliche Fördermöglichkeiten nutzen. Und das Jugendamt müsse diesem Rechtsanspruch Folge leisten. Hinzu komme, dass die psychischen Erkrankungen im Bezirk zunähmen. Doch die Angebote der freien Träger auf diesem Gebiet seien begrenzt. Hier für jeden Einzelfall eine passgenaue Hilfe zu finden, sei daher kostenintensiv. Diese und viele weitere Punkte führten schließlich zu einem Anstieg der Ausgaben und so genannten Hilfemengen. Das sei aber eine Momentaufnahme, sagte Markl-Vieto, und könne sich im Laufe des Kalenderjahres noch relativieren.

Hippe: Vielleicht ist es auch ein Missbrauch der Träger

„Ihre Ausführungen waren zwar umfangreich, aber wenig befriedigend“, fand Georg Boroviczény von den Piraten. Dass beispielsweise Eltern ihre Rechte kennen und dass die Flüchtlingszahlen anstiegen, seien keine überraschenden Entwicklungen. „Das sind Ausreden.“ Gleichzeitig gab sich Boroviczény, der auch stellvertretender Vorsitzender im Jugendhilfeausschuss ist, eine gewisse Mitschuld. Der Ausschuss fordere nicht ein, was er eigentlich sollte. „Deshalb nehme ich mir vor, diesen Bereich in Zukunft energischer zu verfolgen“, versprach er. 

Schließlich wurde es „romantisch“ im Bürgersaal des Rathauses, zumindest nach Ansicht von Torsten Hippe. Der CDU-Fraktionsvorsitzende beschrieb die Ausführungen von Isabel Miels später als „die Gefühlspolitik der SPD." Dabei hatte die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion lediglich nachgefragt, ob sie sich vielleicht verhört habe. „Es geht hier also nicht darum, ob Ansprüche begründet sind, sondern darum, ob diese im Jugendamt abgeklärt werden können?“ Und sie stelle sich ferner die Frage, was Christa Markl-Vieto denn gegen gut informierte Eltern habe?

Das Jugendamt im Fokus der Debatte in der BVV Steglitz-Zehlendorf: „Ein weiterer Faktor ist die Bürgerschaft in unserem Bezirk“, sagte die Bezirksstadträtin. Manche Eltern seien gut informiert und würden jegliche Fördermöglichkeiten nutzen. Und das Jugendamt müsse diesem Rechtsanspruch Folge leisten.
Das Jugendamt im Fokus der Debatte in der BVV Steglitz-Zehlendorf: „Ein weiterer Faktor ist die Bürgerschaft in unserem Bezirk“, sagte die Bezirksstadträtin. Manche Eltern seien gut informiert und würden jegliche Fördermöglichkeiten nutzen. Und das Jugendamt müsse diesem Rechtsanspruch Folge leisten.

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„Nichts“, antwortete die Bezirksstadträtin. Sie stelle jedoch fest, dass sich hier eine Spirale von teuren Hilfeleistungen entwickle. Es gebe Eltern, die zum Beispiel kein Interesse hätten, dass ihr Kind in einer Gruppe therapiert werde. Vielmehr wünschten sie sich einen Einzel-Therapeuten.

Torsten Hippe brachte es letztlich auf den Punkt, indem er sagte, dass hier natürlich ein Missbrauchsverdacht in der Luft liege. „Wir müssen erkennen, dass der Sozialbereich ein Wirtschaftsfaktor ist, bei dem es ums Geldverdienen geht“, schilderte er. Das gehe zwar möglicherweise gegen einige Träger, aber das dürfe man eben auch nicht zu emotional und zu naiv sehen.

Im weiteren Verlauf der Sitzung stand noch eine zweite Große Anfrage der SPD auf der Tagessordnung, die sich dem vorherigen Punkt thematisch anschloss. Es ging um ein seit 2013 laufendes Modellprojekt des Jugendamtes mit dem Titel „Sozialraumorientierte Leistungen“. Damit sollen bisherige Ansätze mit neuen Instrumenten ergänzt werden, erklärte Markl-Vieto. Es gehe um eine Optimierung der Steuerung der Jugendhilfe. Und das hätte auch indirekt Auswirkungen auf die besagten „Hilfen zur Erziehung“. Das Modellprojekt wird von der Senatsverwaltung für Finanzen unterstützt. Auf die konkrete Frage der SPD, mit welchen Kosten für das Ausfallrisiko das Bezirksamt in diesem Jahr bei dem Projekt rechne, sagte sie: „Es gibt kein Risiko!“

Schlussendlich stärkte noch Nina Stahr von den Grünen ihrer Bezirksstadträtin mit einem leidenschaftlichen Vortrag den Rücken. „Ja, es ist zu höheren Ausgaben im HzE-Bereich in diesem Jahr gekommen, und alle beklagen das", sagte sie. Aber das Modellprojekt sei doch endlich einmal ein Ansatz, davon wegzukommen. Christa Markl-Vieto könne sich auch zurücklehnen und verwalten. Stattdessen übernehme sie Verantwortung. „Sie müssten dankbar sein, dass hier jemand ist, der mit Elan an das Thema rangeht.“  

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Tagesspiegel Zehlendorf. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

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