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Der Kriminalist Christian Berkel im Interview: "Um Gottes Willen, was soll ich in Zehlendorf..."

In Frohnau ist er aufgewachsen und wollte dort immer weg. Zu eng, zu wenig Stadt. Jetzt lebt Christian Berkel mit seiner Familie in Zehlendorf wieder am Stadtrand und muss selbst darüber lachen. Im Interview spricht er über Privates und seinen neuesten Fall im ZDF als "Der Kriminalist".

Christian Berkel kommt an diesem spätherbstlichen Dienstag pünktlich auf die Minute an den Treffpunkt zur Fischerhütte am Schlachtensee in Zehlendorf. Enger schwarzer Pullover, darüber eine schwarze Blouson-Weste und Armee-Hosen. Er wohnt nicht weit entfernt von hier mit seiner Frau Andrea Sawatzki und den beiden Kindern Moritz und Bruno. Gerade eben war noch die Sonne da, aber plötzlich wird es zugig. "Hätte ich mir lieber doch was Wärmeres angezogen", sagt der 56-Jährige und macht dann doch alles mit, was der Tagesspiegel mit ihm vor hat: Videodreh, Interview, Fotos. Am Freitag, 8. November, wird die neue Folge ("Puppenspieler") seiner Krimiserie "Der Kriminalist" im ZDF ausgestrahlt.

Herr Berkel, Sie haben als Kind lange im Reinickendorfer Ortsteil Frohnau gelebt, auch ein grüner, ruhiger, gutbürgerlicher Ort. Jetzt leben Sie mit Ihrer Familie in Zehlendorf. Was ist der Unterschied?

Gute Frage, habe ich mir auch schon gestellt. Ich komme aus Frohnau, bin Reinickendorfer. Ich habe mich damals nie so wohl gefühlt, aber da war ich eben ein Jugendlicher, und es hatte sicherlich etwas mit Distanz zu tun. Es war recht schwer als Kind oder Jugendlicher, in die Stadt zu kommen. Damals war die Anbindung auch wirklich noch viel schlechter.

Christian Berkel als Martin und Andrea Sawatzki als Stevie (r-l) in einer Szene aus dem Stück "Die Ziege oder Wer ist Sylvia?"
Christian Berkel als Martin und Andrea Sawatzki als Stevie (r-l) in einer Szene aus dem Stück "Die Ziege oder Wer ist Sylvia?" des amerikanischen Autors Edward Albee, das in der Regie von Felix Prader im Januar 2004 am Renaissance Theater Berlin seine deutsche Erstaufführung erlebte. In der Geschichte geht es um die Ehe von Martin und Stevie, die über Jahre glücklich scheint, bis Martin einem Freund gesteht, er habe eine Affäre. Das Objekt seiner Liebe, Sylvia, entpuppt sich - als Ziege.

© Claudia Esch-Kenkel ZB FUNKREGIO OST/lbn

Gab es ein Gefühl der Enge damals?

Ja, doch, ganz bestimmt. Wenn man diesen Anfang sieht in David Lynch’ Film „Blue Velvet“, mit diesen weißen Gartenzäunen, das hat mich immer an Frohnau erinnert, auch wenn die Gartenzäune nicht weiß waren, aber an eine doch kleinbürgerliche Idylle hinter der sich Abgründe verstecken. Das mag jetzt übertrieben klingen, ist es auch, aber das war für mich damals Frohnau.

Sie wollten weg

Oh ja, ich wollte eigentlich immer weg und vor allem immer in die Stadt, ins Zentrum.

Und jetzt Zehlendorf.

(lacht) Als unser erster Sohn geboren wurde, und wir auf der Suche nach einer Wohnung waren, die nicht so mitten drin ist, kam meine Frau mit einer Wohnung in Nikolassee. Ich sagte: Um Gottes Willen, was soll ich da, ich komme aus Frohnau! Ich will dort nicht hin. Bin dann aber mit, habe mir das angeguckt und war völlig begeistert von dieser Gegend, wir sind an der Rehwiese spazieren gegangen, und es hat mich gepackt. Wir sind rumgelaufen, wollten diese Gegend erspüren, und dann war es um uns beide geschehen, und seitdem wohnen wir hier. Erst dort, und jetzt in der Nähe des Schlachtensees.

Michael Ballhaus und Brigitte Grothum haben uns im Interview unabhängig voneinander gesagt, sie werden automatisch ruhig, wenn sie nach Zehlendorf kommen. Kennen Sie das?

Ging mir auch so. Bis wir einziehen konnten damals bin ich schon vorher immer hin- und hergefahren, um die Pflanzen auf der Terrasse zu gießen. Damals lebten wir in Schöneberg, Hauptstraße, also doch eher das Gegenteil von Nikolassee. Und immer wenn ich hier ankam, war das, als würde man aufs Wasser fahren oder nach draußen aufs Land. Und dieses Gefühl, einfach ganz schnell aussteigen zu können und ebenso schnell wieder einsteigen zu können, das ist ein ganz großer Reiz von Zehlendorf.

Ist das Zuhause oder schon Heimat?

Berlin ist für mich sowieso Heimat, hier ist es beides. Auf jeden Fall Zuhause und Heimat.

Wird man als bekanntes, öffentliches Gesicht hier in Ruhe gelassen?

Wird man, aber das gilt für ganz Berlin. Da ist Berlin ein bisschen wie New York, schert sich keiner drum.

Zehlendorf gilt ja gemeinhin, ein Klischee, als fein, reich und vor allem ein wenig langweilig. Ist das nicht besonders gut für einen Schauspieler, dass er sich langweilen kann?

Ich finde Langeweile wichtig. Ich habe meinen Kindern immer versucht zu sagen, das ist ein ganz wichtiges Gefühl, alles Entscheidende was entsteht, entsteht aus dem vermeintlich unbefriedigenden Gefühl der Langeweile. Langeweile ist wie eine Art Mini-Depression, man ist nicht mit sich im Einklang, weiß nichts mit sich anzufangen.

Aber?

Man kann das positiv besetzen, das ist der Trick. Dann ist Langeweile eher Besinnung. Gerade als Schauspieler, der ja eher extrovertiert handeln muss, ist es wichtig, dass dem eine Introvertiertheit vorausgeht. Ich brauche diesen Blick nach innen, um wieder etwas erzählen zu können.

In Deutschland wird immer gerne von Doppelbelastung gesprochen, wenn es um Beruf und Familie geht. Warum eigentlich nicht doppeltes Glück?

Gemeinsam unterwegs, Aufnahme aus dem Februar 2013 in Berlin. Das Ehepaar Berkel/Sawatzki
Gemeinsam unterwegs, Aufnahme aus dem Februar 2013 in Berlin. Das Ehepaar Berkel/Sawatzki

© Imago/Future Film

Weil wir Deutschen eine Tendenz haben, immer von Belastung zu sprechen. Ich habe das eigentlich auch nie als Belastung erlebt, was nicht heißt, das es nicht anstrengend wäre. Ich war auch immer mit Frauen zusammen, die gearbeitet haben. Meine Mutter hatte einen Beruf, hat aber nicht gearbeitet, ich habe schon gesehen, was dadurch für Defizite entstehen und welche Anforderungen an den anderen gestellt werden, wenn man den ganzen Tag zu Hause wartet. Ich war da sehr früh auf Gleichberechtigung gepolt, sonst teilt man auch zu wenig und hat sich zu wenig zu erzählen. Aber jeder soll das für sich entscheiden, ich kann da nur für mich reden.

Muss Ihr Organisationsgrad als Schauspieler mit zwei Kindern noch mal größer sein als in anderen Familien?

Vieles lässt sich nicht so richtig planen, ich denke, wir müssen ein bisschen flexibler sein, müssen schnell reagieren können, das haben uns sozusagen auch die Kinder beigebracht: Dass wir beide gelernt haben, auf Perfektion und durchgetaktete Organisation zu verzichten. Wir können relativ gut damit leben, dass Dinge nicht so sind, wie wir uns sie vorstellen.

Ist Ihr Ältester mit 14 eigentlich schon auf Facebook?

Ja, ist er.

In Ihrer neuesten Folge von "Der Kriminalist" dreht sich ja alles um die Gefahren von sozialen Netzwerken, von sozial isolierten Parallelwelten und, damit ist das Thema auch top-aktuell, von Hackern. Sie sind selbst auf Facebook, im Film heißt es „topnet“, haben Sie vor dem Dreh oder danach nochmals darüber nachgedacht, ob das gut ist?

Ich habe vorher viel darüber nachgedacht und war eigentlich ein klassischer Gegner.

Warum?

Ich dachte immer, ich habe keine Zeit dafür. Und jetzt, wo ich da drin bin, merke ich das auch, wie die digitale Welt in wenigen Punkten erleichternd wirkt, zum Beispiel bei der Beschaffung von Information. Aber der Zeitverlust ist enorm.

Pflegen Sie den Account selbst?

Teils, teils. Ich bin da undiszipliniert. Aber es sind auch bestimmte Dinge durch das Netz entstanden, die ich gerne machen, zum Beispiel, dass ich über Ulf Poschardt ein paar Mal für die „Welt“ geschrieben habe, das ist über Facebook entstanden.

Bei einem Thema, das so brisant und aktuell ist wie etwa das Hacker- oder Whistleblowerthema? Wie schmal ist der Grat für eine Krimiserie zwischen gut gemacht und Klischee?

Sehr schmal.

Woran merken Sie das?

Beim Spielen merkt man es in dem Moment, wo man sagt, hier kommen wir in einen Konflikt mit der Figur, die könnte ebenso gut völlig anders gehandelt haben. Ich denke aber, wir sind bei diesem ganzen Thema völlig am Anfang unserer Erfahrungen, gerade was die Konsequenzen für das soziale Verhalten angeht. Und das ist ja ein wichtiges Thema im Film. Wir begreifen erst langsam, was das Internet in uns verändert.

Es gibt in diesem Film sehr starke Sätze, die durch die Schauspieler nicht zum Klischee verkommen, manche sind auch einfach witzig, zum Beispiel, wenn Fritzi Haberlandt sagt: „In den Fernseh-Dokus zeigen sie gar keine Menschen, das sind alles Schauspieler.“ Lachen dann alle in der Szene?

Sanft und eindringlich zugleich. Christian Berkel, 56, beim Interview für den Zehlendorf Blog am Schlachtensee.
Sanft und eindringlich zugleich. Schauspieler Christian Berkel, 56, beim Interview für den Zehlendorf Blog am Schlachtensee.

© Hendrik Lehmann

Klar, auch. Es gab aber einen Moment bei dieser Szene, an den ich mich sehr gut erinnere. Denn diese Frau, die Fritzi Haberlandt spielt, lebt ja nur noch in ihrer Wohnung und lebt quasi im Fernsehen, sie hat gar keine Realitätserfahrung mehr. Sie kennt keine „echten“ Menschen. Es gibt diese Leute, die in der Parallelwelt leben, und das hat zahlenmäßig zugenommen, so dass es sehr unheimlich ist.

In einer anderen Szene sagt ein Unternehmer, der Computerspiele produziert: „Wir wollen heiteres Töten, strahlende Sieger.“ Der Hacker im Film dagegen, der im Unternehmen arbeitete, ließ die Spiele immer realistisch, also humorlos und böse enden. Deshalb musste er gehen.

Aber das trifft ja zu. In dieser Welt der Computerspiele, aber auch in unserer Fernsehwelt. Wir leben ja gerade in einer Zeit, wo es nichts Negatives geben darf, offensichtlich weil wir Angst davor haben, nicht damit umgehen zu können. Die Negation an sich soll weg, alles soll positiv sein. Da droht eine gähnende Leere, eine wirkliche Langweile, die man nicht mehr positiv besetzen kann.

Diskutieren Sie diese Sätze mit als Schauspieler?

Nein, die sind schon vom Autor. Ich bekomme die Bücher schon relativ früh, dann sitze ich meist mit der Produzentin zusammen und erzähle, was mir gefällt und was nicht. Damit geht sie dann in die nächsten Drehbuchsitzungen rein. Und irgendwann kommt der Regisseur dazu, und wir gucken uns die Regiefassung an und besprechen jede Szene, aber unmittelbare Dialogänderungen, die machen wir meistens spontan am Set.

Sie haben mit „Der Kriminalist“ im Vergleich zum Tatort nur 60 statt 90 Minuten Zeit. Ist das schwieriger oder leichter für den Plot?

Das hat Vor- und Nachteile. Die Gefahr bei vielen Neunzigminütern ist, das man Geschichten hat, die sich eigentlich auch in 60 Minuten erzählen lassen und die gedehnt werden. Das kommt häufig vor. Der Nachteil ist, wenn eine Geschichte sehr komplex ist, dann muss man ihr bei 60 Minuten einfach etwas wegnehmen, sonst ist sie überfrachtet und vielleicht unverständlich.

Sehen Sie das bereits am Drehbuch, ob eine Geschichte wirklich für 90 Minuten taugt?

Schon. Was ich oft bei Drehbüchern sehe, ist, dass ein Autor seine eigene Szene beim Schreiben sucht. Dementsprechend lang fallen die Szenen dann aus. Aber so wie bei etwa Texten die ersten Sätze darüber entscheiden, ob ich weiterlese oder nicht, so ist es auch bei Drehbüchern oder Filmszenen.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.

© Kai-Uwe Heinrich

Soziale Medien, die digitale Welt, bedeuten für Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, noch mehr Dauerbeobachtung. Sie sind schon lange im Geschäft, sind Sie noch „öffentlicher“ geworden?

Kann ich gar nicht sagen. So schlimm ist es eigentlich nicht, weil ich es aber auch nicht besonders präzise analysiere oder verfolge. Und das ist bestimmt auch gut so. Wenn man nach dem Motto verfährt, nur das ins Internet zu setzen, was man auch selbst von sich auf der Seite 1 der "Bild"-Zeitung vertreten könnte, dann kann einem nicht viel passieren.

BIOGRAFISCHE ANGABEN

Christian Berkel wurde am 28. Oktober 1957 in Berlin geboren und wuchs in Frohnau, einen Ortsteil von Reinickendorf auf. Seine jüdische Mutter war 1938 nach Frankreich geflohen, 1943 nach Deutschland deportiert worden und nach dem Krieg nach Argentinien emigriert. Als sein Vater 1949 aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, fand das Paar wieder zusammen. 1976 Filmdebüt in einer Nebenrolle in "Das Schlangenei" von Ingmar Bergmann, absolvierte Berkel seine Schauspielausbildung an der deutschen Film- und Fernsehakademie, spielte auf renommierten Bühne in Bochum, Düsseldorf, Berlin. Unzählige TV-Filme und viele Kinofilme, in denen er auch international besetzt wird. Zum Beispiel "Inglourios Basterds", "Operation Walküre - Das Stauffenberg-Attentat". Seit 2006 spielt er in "Der Kriminalist" den Kommissar Bruno Schumann im ZDF. Im Dezember 2011 heirateten Christian Berkel und Andrea Sawatzki in Berlin-Grunewald nach mehr als zehnjähriger Beziehung.

Der Autor des Interviews ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Der Text und das Video erscheinen auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin dieser Zeitung.

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