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Geertje von Holtz (li.) und Nora Brezger sind im Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf für die Beratung und Unterstützung von Flüchtlingen und die Koordination der Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit zuständig.

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Flüchtlingsbeauftragte der Kirche im Interview: "Die Ehrenamtlichen fühlen sich um ihre Arbeit betrogen"

Die Kirchen sind sehr in die Flüchtlingsarbeit involviert. Die beiden Beauftragten des Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf sprechen über den Alltag, die Probleme mit Betreibern und die Gefahr einer Entpolitisierung der Ehrenamtlichen.

Das Willkommensbündnis in Steglitz-Zehlendorf gilt als eines der größten in Deutschland. Wie gut funktioniert es?
NORA BREZGER: Das Bündnis ist die große Plattform, hinter der sich ganz viele kleinere Bündnisse verbergen, in den einzelnen Ortsteilen und Kiezen. Sicherlich sind auch nicht alle, die im Bündnis sind, aktiv. Aber sie fühlen sich zugehörig. Insofern leistet, alles in allem, dieses Bündnis mit seinen vielen Teilnehmern Großartiges.

In vielen Bezirken werden die Bündnisse zentral gesteuert, in Steglitz-Zehlendorf geschieht vieles offenbar sehr dezentral und autonom. Ist das hilfreich?
NORA BREZGER: Ich würde sagen, das ist wirklich ein Vorteil. Wenn man um ein Heim herum arbeitet, kann man die Belange und Bedürfnisse viel schneller erkennen. Praktisch ist allerdings, wenn beispielsweise Sachspenden zentral abgefragt und verteilt werden. Das macht das Willkommensbündnis auch, denn die Sachspenden überfordern oft die Leute vor Ort, allein schon aus Platzgründen.

Oft gibt es Klagen von Bürgern die sagen, wir wollten doch jetzt helfen und jetzt werden wir fortgeschickt oder niemand weiß, wie wir helfen können.
GEERTJE VON HOLTZ: Das Problem gibt es teilweise schon. Es ist auch ein Grund dafür, warum meine Stelle als Koordinatorin für die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit geschaffen wurde. Denn dadurch, dass es dezentral ist, sind auch an vielen Orten viele Informationen unterwegs, die nicht immer gleich einsortierbar sind. Wenn man einfach um die Ecke zur Turnhalle geht, um zu helfen, und da stehen schon zehn andere, dann kann das auch mal unbefriedigend sein, weil vor Ort die Verantwortlichen nicht sogleich alle einsetzen können.

Das frustriert dann…
GEERTJE VON HOLTZ: Ja, das kann frustrieren, aber jetzt kann ich auch ins Spiel kommen und versuchen, diesen Frust zu nehmen und Arbeit zu verteilen.

Ist das auch der Grund, dass es zu Konflikten kommt zwischen denen, die helfen wollen und denen, die etwas als Betreiber von Unterkünften agieren?
GEERTJE VON HOLTZ: Dieser Konflikt ist doch normal, wenn völlig verschiedene Menschen zusammenkommen. Das ist menschlich, und sie dürfen nicht vergessen, dass diese Arbeit mit Flüchtlingen jeden Tag eine Ausnahmesituation darstellt. Man schafft, packt an, ist emotional berührt, hat eigene Vorstellungen. Klar, dass das nicht immer alles zusammen passt. Der Ehrenamtliche, der Betreiber, die Kirche und die Geflüchteten - jeder hat seine Sicht auf die Dinge. Und die Security ist auch noch da.

Die eigene Sicht reflektieren, wie gut gelingt das?
NORA BREZGER: Es gibt mehr Möglichkeiten für Ehrenamtliche, die eigene Arbeit zu hinterfragen und einzuordnen. Es gibt Supervision, es gibt andere begleitende Angebote. Aber in den Anfängen kam das sicher zu kurz, die eigene Rolle zu reflektieren. Aber wie hätten wir das von den Menschen verlangen können. Man wächst da rein oder manchmal auch nicht. Wie gesagt, jetzt sind bessere Strukturen für Freiwillige vorhanden.

Der Impuls, zu helfen, es gut meinen - reicht das oder gibt es Grundregeln, die man aus der Erfahrung der letzten Monate beachten sollte?
GEERTJE VON HOLTZ: Ein Punkt ist sicher, dass man nicht überstürzt hilft, sondern auch ein bisschen schaut, was wollen die Flüchtlinge, was ist wirklich notwendig, das war ein Lernprozess, und der ist auch noch nicht abgeschlossen. Dadurch wird Hilfe noch besser und effektiver.
NORA BREZGER: Der Flüchtlingsrat Berlin zum Beispiel versucht auch zu vermitteln, was Standards bei der Unterbringung sind, so dass Ehrenamtliche auch besser einschätzen können, ob ein Betreiber sich daran hält oder nicht.

Wie funktioniert das im Alltag: das Große und Ganze, vielleicht auch das Politische nicht aus den Augen zu verlieren?
NORA BREZGER: Nicht einfach. Ich finde aber, man sollte nicht aus dem Blick verlieren, dass in der großen Koalition gerade die härtesten Gesetzesentwürfe zu Debatte stehen, die wir seit Anfang der 90er Jahre haben.

Flüchtlinge warten in Berlin vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo).
Flüchtlinge warten in Berlin vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo).

© dpa

Gibt es denn bei den Freiwilligen mittlerweile auch das Gefühl, es kommen so viele, wir schaffen das nicht, wir brauchen Begrenzung?
NORA BREZGER: Das habe ich so noch von keinem Ehrenamtlichen gehört. Ich finde aber, man braucht auch im Ehrenamt eine Gruppe, die das Politische nicht vergisst. Das passiert aber dann, wenn man ausgebrannt ist oder wenn man sehr viel arbeitet. Besonders nach der hochpolitischen Zeit mit dem Oranienplatz und der Ohlauer Straße in Kreuzberg merkt man: Das Ehrenamt wird großgeschrieben, es gibt überall Dankesgottesdienste, Dankesveranstaltungen vom Senat, aber das Politische geht verloren.

Ist das nicht gerade die Stärke von Ehrenamt: unpolitisch sein, einfach da sein?
NORA BREZGER: Ja, es ist eine Stärke. Aber wenn man zu sehr im Ehrenamt aufgeht, dann bemerkt man vielleicht nicht mehr wie einschneidend etwa der aktuelle Referentenentwurf von Union und SPD ist, wenn er denn durchkommt. Denn dann können auch Ehrenamtliche nicht mehr viel machen.

Was meinen Sie konkret?
NORA BREZGER: Wenn Ehrenamtliche beispielsweise eine Familie aus dem Westbalkan betreuen, dann sollte man wissen, dass diese Menschen demnächst in sogenannten Sonderunterbringungen sein werden, von wo aus sie direkt abgeschoben werden sollen. Auch freiwillige Ärzte werden es schwer haben, wenn nur noch das Bundesamt festlegen kann, wer eine Reiseunfähigkeitsbescheinigung bekommt.
GEERTJE VON HOLTZ: Ich denke, es gibt noch einen anderen Aspekt. Das Flüchtlingsthema ist seit vielen Monaten überpräsent. Auch dadurch findet, meiner Meinung nach, eine Entpolitisierung der Gesellschaft statt. Das spiegelt sich dann im Ehrenamt wider. Manche sagen dann beispielsweise: Das große Politische können wir eh nicht ändern, aber vor Ort kann ich was tun.

Es gibt im Bezirk auch den Vorwurf, dass manche Betreiber ihr Geschäftsmodell auf der Hilfe der Ehrenamtlichen aufgebaut haben.
GEERTJE VON HOLTZ: In bestimmter Weise ja, Wenn man teilweise in die Heime reinschaut, dann kann man den Vorwurf nicht immer entkräften.

Ist das den Ehrenamtlichen bewusst?
NORA BREZGER: Nicht immer. Es gibt natürlich welche, die auch die Betreiber hart kritisieren. Andererseits ist schon klar, dass auch ein Betreiber haushalten muss, weil er eine sechsstellige Summe vorschießen muss. Und dann sagt er sich. Bis wir die Deckung haben, kompensieren wir manche Stellen mit Ehrenamtlichen. Das Problem ist: Das Vorgehen ist nicht mehr nachvollziehbar, nicht transparent.

Der Referentenentwurf der großen Koalition zum neuen Asylrecht wird, sagt Nora Brezger vom Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf, auch Einschränkungen für die Ehrenamtlichen bringen. Auf dem Bild CSU-Chef Horst Seehofer (links), Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister und SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel.
Der Referentenentwurf der großen Koalition zum neuen Asylrecht wird, sagt Nora Brezger vom Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf, auch Einschränkungen für die Ehrenamtlichen bringen. Auf dem Bild CSU-Chef Horst Seehofer (links), Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister und SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel.

© dpa

Das öffnet Tür und Tor für Unredlichkeit?
NORA BREZGER: Natürlich. Bei Notunterkünften existieren anfangs manchmal gar keine Verträge, sondern nur Handschläge. Da gibt's dann Absichtserklärungen…
GEERTJE VON HOLTZ: …wann und ob was geschieht steht in den Sternen. Das kreative Chaos der Willkommenskultur spielt an dieser Stelle den Betreibern in die Hände.

Gibt es eine Art Grundkonflikt, den Ehrenamtliche mit Betreibern austragen?
NORA BREZGER: Wenn es Konflikte gab, dann immer dann, wenn die Ehrenamtlichen angefangen haben, Fragen zu stellen und auf Missstände hinzuweisen. Der eine oder andere Betreiber war genervt und hat auch schon mal Hausverbote verhängt.

Haben Sie den Eindruck, dass es mittlerweile eine strukturelle Überforderung von Freiwilligen gibt, was dann im schlimmsten Fall zu bösen Märchen führt, wie in Moabit, wo ein Flüchtling für tot erklärt wird, obwohl es nicht stimmt.
GEERTJE VON HOLTZ: Ich spreche ja viel mit Ehrenamtlichen, und ich frage sie das auch, dann sind die Antworten naturgemäß sehr unterschiedlich. Bisher kann ich also nicht sagen, dass es so etwas wie eine Spirale von wachsender Überforderung gäbe.
NORA BREZGER: Die Gefahr ist bestimmt vorhanden, vor allem dann, wenn die Freiwilligen sehen, es geht nichts voran. Es wird etwa gesagt, wir überbrücken eine kurze Zeit mit Notunterkünften, aber dann wird die Notunterkunft zur Dauerunterkunft. Das ist nicht gut.
GEERTJE VON HOLTZ: Das frustriert die Menschen, die Ehrenamtlichen fühlen sich quasi um ihre Arbeit betrogen. Viele glauben daran, dass in Deutschland die Strukturen stimmen, die Behörden funktionieren, zumindest im Großen und Ganzen. Man muss sich an die Regeln halten, dann wird das schon. Und jetzt machen sie die Erfahrung, dass es anders ist.

Ist die Flüchtlingsarbeit in einem vermeintlich eher besser situierten Bezirk wie Steglitz-Zehlendorf grundsätzlich besser?
NORA BREZGER: Das kann man so überhaupt nicht sagen. Es kommt einfach auch auf den Betreiber an. Stahnsdorf ist da meiner Meinung nach sehr vorbildlich, weil es eine klare Struktur gibt zu dem, was Ehrenamt kann, soll und darf. Der Heimleiter ist in einem regen Austausch mit Sozialarbeitern und Freiwilligen. Dort läuft es besser als in Zehlendorf.

Finden Sie es grundsätzlich in Ordnung, dass auch Sicherheitsfirmen als Betreiber von Notunterkünften agieren?
NORA BREZGER: Grundsätzlich sollten das gemeinnützige Träger machen, weil sie meistens mehr Erfahrung im sozialen Bereich haben und nicht auf Profit achten müssen. Wenn man als Betreiber Geld verdienen will und muss, dann birgt das zumindest die Gefahr, dass wichtige Standards unterlaufen werden, wie zum Beispiel ausreichend soziale Stellen mit entsprechend geschultem Personal zu schaffen.

Demonstranten vor dem Tempelhofer Feld . Auf den ehemaligen Flughafen Tempelhof sollen Flüchtlingsunterkünfte gebaut werden. Dazu müsste das Tempelhof-Gesetz geändert werden.
Demonstranten vor dem Tempelhofer Feld . Auf den ehemaligen Flughafen Tempelhof sollen Flüchtlingsunterkünfte gebaut werden. Dazu müsste das Tempelhof-Gesetz geändert werden.

© imago/Markus Heine

Vielleicht können die das besser, weil sie mehr Distanz haben als ein sozialer Träger.
GEERTJE VON HOLTZ: Man muss gewiss nicht alles und jeden verteufeln, aber das Risiko ist einfach höher, wenn Geld verdient werden muss. Außerdem ist dann die Transparenz nicht so gegeben, das ist unsere Erfahrung.

Ist es nicht umgekehrt: Der Druck, nachhaltig und dauerhaft auf dem Markt bleiben zu wollen, zwingt marktwirtschaftlich orientierte Betreiber zu besonders guter Arbeit?
NORA BREZGER: Es gibt im Moment gar keinen Druck auf dem Markt, weil das Lageso jeden nimmt, den sie bekommen können. Darin besteht auch ein enormes Risiko, die müssen um Betreiber betteln, aber wenn das so ist, kann man sich vorstellen, wie diese Betreiber dann kontrolliert werden...

Das Gespräch führte Armin Lehmann, er ist Redakteur für besondere Aufgaben und hat Tagesspiegel-Zehlendorf, Ihr digitales Stadtteil- und Debattenportal, konzipiert. Folgen Sie ihm oder der Redaktion Zehlendorf auch auf Twitter.

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