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Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität Berlin

© Thilo Rückeis

FU-Präsident Alt warnt vor Gefahren der digitalen Welt: "Das Internet schafft mehr Vergessen"

Zur Geisteswissenschaft gehört Zeit, Ausdauer, Geduld, das digitale Zeitalter aber lässt uns in immer kleineren Einheiten Kultur zur Kenntnis nehmen. Das sagt FU-Präsident Peter-André Alt und warnt vor einer zunehmenden Dekonzentration und Zerstreuung.

Der Präsident der Freien Universität Berlin, Peter-André Alt, sieht einen "Konflikt" zwischen der immer schneller werdenden digitalen Welt und dem Anspruch der Geisteswissenschaften. Alt warnte auf Tagesspiegel online vor der Gefahr der "Zertreuung". Auf die Frage, ob die Geisteswissenschaften in unserer digitalen Welt genug Einfluss nehmen, antwortete er: "Man muss sich fragen, was es bedeutet, wenn wir in immer kleineren Einheiten Kultur zur Kenntnis nehmen: Zur Geisteswissenschaft gehört Zeit, Ausdauer, Geduld, langwierige Lektüre. Unsere Zeit aber ist extrem beschleunigt, in der intellektuellen und kognitiven Wahrnehmung, die Zeitfenster, die man aufmacht und schließt, wechseln ständig. Und ich glaube, dass diese Praxis der Dekonzentration etwas ist, was quer steht zu dem Anspruch der Geisteswissenschaften an langen Lösungen zu arbeiten, an langen Erzählungen. Insofern sehe ich da einen Konflikt."

In den USA werden Geisteswissenschaften marginalisiert

Nach Auffassung des FU-Präsidenten schafft das Internet mehr Vergessen und weniger Gedächtnis, "weil die Arbeitsformen andere geworden sind". Alt wörtlich: "Früher habe ich einen Text gelesen, dann habe ich ihn exzerpiert, dann das Exzerpt auf eine Karteikarte übertragen, dann das nächste Textstück gelesen, und am Ende habe ich einen Aufsatz sehr langsam und geduldig geschrieben. Das ist ein langwieriger Prozess, der bei mir aber dazu geführt hat, dass das, was ich mir an Wissen angeeignet habe, viel länger verankert blieb. Das alte System der Karteikarten - das ja auch haptische Dimensionen hatte - war eine Art Memotechnik, sehr hilfreich für die Erinnerung.. Wir sind im digitalen Zeitalter viel häufiger auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig unterwegs, und das führt definitiv zur Zerstreuung."

Der Kafka- und Schillerbiograf Alt, der auch Präsident der Schillergesellschaft ist, macht sich zudem große Sorgen um die Bedeutung der Geisteswissenschaften in den USA und England: "Wenn man in Amerika unterwegs ist, dann erzählen ihnen Kollegen dort von einer großen Sorge: Die Sorge, dass die Geisteswissenschaftler marginalisiert werden. Alles, was mit Europa, mit europäischer Geschichte oder Sprachgeschichte zu tun hat, ist in den letzten zehn Jahren dramatisch reduziert worden. Historische Epochen vor dem 18. Jahrhundert, so ist die herrschende Meinung, könne man vernachlässigen. Ich finde das erschreckend. Auch in England, wo sich der Staat in einer völlig verantwortungslosen Weise aus der öffentlichen Finanzierung der Hochschulen zurückzieht, ist Ähnliches im Gange."

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