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Der Initiator der Mutter Fourage, Wolfgang Immenhausen wuchs in den 1940er und 50er Jahren auf dem Gelände auf

© Maike Edda Raack

Mutter Fourage: Interview mit Initiator Wolfgang Immenhausen: "Ich geb auch den Zirkusdirektor"

Er ist Schauspieler, Galerist, Verleger - und einer der ersten Ökoaktivisten Berlins. Wolfgang Immenhausen im Gespräch mit dem Tagesspiegel Zehlendorf über Heimat und über sein größtes und liebstes Projekt: die Mutter Fourage in Wannsee.

Für Besucher ist es beim ersten Mal sicherlich verwirrend: Da gibt es an der Stirnseite des Hofs eine alte Scheune mit seltenem Rautengebälk, daneben eine Galerie, vorne rechts eine Gärtnerei mit südländischen Stauden und einheimischen Gewächsen, und auch noch einen Hofladen und ein Café – was genau ist denn nun eigentlich Mutter Fourage?

Wir treffen Wolfgang Immenhausen, Initiator von Mutter Fourage. Der dezent gebräunte Herr mit dem schlohweißen Haar und dem verschmitzten Lächeln in den Augen ist vielen als Schauspieler vom Gripstheater bekannt. In seinem Arbeitszimmer direkt über den Galerieräumen der Mutter Fourage lassen die Ölgemälde kaum ein Stück weiße Wand sehen, Boden und Treppenstufen sind von Bücherstapeln bedeckt. Mit dem großen Dachfenster über dem Schreibtisch gäbe sein „Büro“ auch ein erstklassiges Atelier ab. Alle zehn Minuten klingelt das Telefon kurz, anscheinend springt aber der Anrufbeantworter gleich an, oder seine Assistentin hebt im Nebenzimmer ab. Immenhausen jedenfalls lässt sich dadurch nicht in seinem Erzählfluss bremsen.

„Dieser Hof war schon der Ort meiner Vorfahren. Meine Großeltern betrieben hier ab etwa dem Jahr 1900 eine Futtermittelhandlung für Pferde. Die waren damals ja das wichtigste Transportmittel.“

In der heutigen Kulturscheune wurden einst Heu, Hafer und Stroh gehäckselt und verladen
In der heutigen Kulturscheune wurden einst Heu, Hafer und Stroh gehäckselt und verladen

© W: Immenhausen

Wo gerade noch Ausflügler zwischen den Blumenstauden geschlendert sind und Spaziergänger an ihrem Kaffee genippt haben, rattern nun vor unserem inneren Auge die Häcksler, die Pferdefuhrwerke holpern schwankend über das Pflaster. Die Luft ist voller Pferdewiehern, Gackern und Staub. Hühner und Tauben stieben auseinander. –

Wie so mancher Schauspieler ist auch Immenhausen ein großer Erzähler.

"In den Fünfzigern und Sechzigern wurde hier noch mit Kartoffeln und Futtermitteln gehandelt. Ende der Siebziger bekam ich den Hof von meiner Mutter überschrieben. Da hing auch noch der alte Name „Fourage“ im Hof. Und da ich vom Theater komme, war der Weg vom Wort „Fourage“ zu „Mutter Fourage“, abgeleitet von Brechts Mutter Courage, nicht weit. Außerdem war ja Ende der Siebziger die Frauenbewegung voll im Gange, da passte das ganz gut.

Wolfgang Immenhausen, Ökoaktivist der ersten Stunde, in den Siebzigern
Wolfgang Immenhausen, Ökoaktivist der ersten Stunde, in den Siebzigern

© W. Immenhausen

Alles begann im Jahr 1978 mit einem kleinen Naturkostladen. Die Urzelle der Mutter Fourage, das sind Autor Stefan Reisner, Unternehmer Lutz Peters und ich, wir wollten zusätzlich zur Naturkost was Kulturelles schaffen an diesem Ort. Wir kannten uns ja alle über die Arbeit beim Gripstheater. Am Anfang stand ich hier auch selbst noch auf der Bühne. Der Hof sah damals noch arm aus, das kahle Kopfsteinpflaster noch ohne bunte Pflanzen. Der Kulturbetrieb begann dann mit dem Pfingstkonzert 1978.

Im Berlin der Vorwendezeit waren die Pfingstkonzerte ja immer was ganz besonders. Man ging traditionell in ein Gartenlokal oder in den Zoo. Birken wurden geschlagen, das war immer der offizielle Startschuss für den Frühling.

Und von da an ging es richtig los mit Märkten, Konzerten, Kinderfesten, Lesungen, Theateraufführungen. Gäste schlugen irgendwann vor, ein Café hier zu eröffnen. Das fing ganz klein an. Heute, würde ich sagen, hat das Café eine gleich große Ausstrahlung wie die Galerie. Aber inzwischen kann ich nicht mehr alles selbst machen. Deshalb habe ich das Café und die Gärtnerei vor einigen Jahren verpachtet.

Dicke Luft und Wasser im Eimer

In den Siebzigern war die Luft hier so schlecht, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, die Böden waren richtig verseucht von den chemischen Düngemitteln. Der fahrlässige Umgang mit der Umwelt hat mich wütend gemacht, und so haben wir hier im Laden keinen Torf verkauft, da der enorme Flächen vernichtet. Wir versuchten stattdessen, die Leute zum Beispiel von Kompostierung zu überzeugen. „Naturnahes Gärtnern ohne Gift“ war unsere Idee, alles sollte regional sein, nachhaltig - und das ist bis heute hier noch so. Meine Vorbilder waren die Demeterleute.

Hier im Laden konnte ich direkt mit den Leuten sprechen und meine Ideen mitteilen. Beim Gripstheater gab es ja auch kritische Stücke wie „Dicke Luft“ oder „Wasser im Eimer“, aber von der Bühne herab geht es ja oft in ein Ohr rein und ins andere hinaus. Das macht es schwer, eine Botschaft mitzugeben. Aber ich war schon immer ein erdig gebundener Schauspieler. Und so haben wir hier Gartenberatung gemacht. Das ging Learning by doing, ich hatte bei meinen Eltern und Großeltern ja viel mitbekommen, was Gärtnern angeht. Ich stamme ja hier aus dem Milieu, mit all den Hühnern und Haustieren und den Gemüsegärten.

Am Anfang war das Ganze nicht sehr erfolgversprechend, es gab ja viele aggressive Gegner der „Möhrenfresser“. Aber das hat sich in den letzten Jahren ja unglaublich gedreht. Nun gibt es hier an der Ecke einen riesigen Biosupermarkt. Es freut mich, dass die Bewegung nun so groß ist. Und dass das auch schon früh das Essverhalten und Umweltbewusstsein der Kinder prägt.

Die Wannseer halten sich zurück 

Von der alten Wannseer Bevölkerung wurden wir skeptisch beäugt. Das dauerte lange an, bis in die 1990er Jahre. Heute ist das hier anders. Es sind ja viele junge Familien hierher gezogen, die kommen natürlich hierher, aber viele Besucher kommen aus Mitte oder Charlottenburg, auch aus Potsdam und dem Umland. Die Wannseer selber halten sich immer noch zurück. Das hat wohl mit dem Phänomen zu tun, dass die Dinge vor Ort von den Leuten selten bemerkt werden, man orientiert sich immer eher weiter weg.

Der Wannseer ist eben ein besonderer Schlag Mensch. Die lassen sich nichts sagen, sind stolz und aufmüpfig. Nach dem Motto, „Wenn mir einer dumm kommt, dann habe ich eine passende Antwort parat“. Einer sagte mir mal, in Bezug auf den Reaktor des Hahn-Meither-Instituts: „Die hätten wir früher aus dem Dorf gejagt“.

Wolfgang Immenhausen als "Zirkusdirektor": Die Veranstaltungen kündigt er meist mit einer kurzen Rede an
Wolfgang Immenhausen als "Zirkusdirektor": Die Veranstaltungen kündigt er meist mit einer kurzen Rede an

© Immenhausen

Inzwischen hat sich die Mutter Fourage aber seit über 35 Jahren etabliert und die Künstler sind zum Teil um die 80 oder auch 85. Deshalb möchte ich das Programm gerne verjüngen: Puppentheater und Kindertheater haben wir immer gemacht, das ist ja eine alte Gripstradition. Außerdem treten hier gute, junge klassische Musiker auf. Und vor den Veranstaltungen gebe ich den Zirkusdirektor, halte eine kurze Rede und stimme die Leute ein.

Die Lage für Veranstalter ist ja im Moment großartig, ich bekomme drei bis vier Anfragen pro Tag von Künstlern und Musikern. So lernt man interessante Menschen kennen, die was zu sagen haben, die großartige Künstler sind. Aber es ist schon schwierig, wenn man dann auch viele Absagen machen muss.

Besonders spannend fand ich schon immer Maler, die in Wannsee gewohnt und gearbeitet haben, zum Beispiel Philipp Franck, Anton von Werner oder Max Liebermann natürlich. Die Landschaft hier gibt einfach malerisch enorm viel her.

Immenhausen über Heimat

Für mich ist das hier mein Zuhause. Heimat bedeutet für mich Liebe und Fürsorge für den Ort meiner Vorfahren. Im Einklang sein. Und ich erlebe es als großes Glück, dass ich hier schon so lange und so friedlich leben darf. Und dass alles hier gut gedeiht. Hier herrscht ein guter Geist. Und besonders freue ich mich, wenn die Leute zum ersten Mal hier sind, und das ähnlich erleben wie ich: Diese Ruhe, das Gefühl, aufatmen zu können. In einer Oase zu sein.

Die Öffnung der Grenzen habe ich als unglaublichen Zugewinn erlebt. Die Schönheit der Potsdamer Parklandschaft hier direkt vor der Tür hatte ich ja mit dem Visum vor der Maueröffnung schon kennen gelernt, aber nun ist dieses traumhafte Arkadien ja zum Greifen nah!

Und es hat auch geholfen, meine Identität als märkischer Berliner zu finden. Das empfinde ich als Krönung meines letzten Lebensabschnitts: Dass man sich nun völlig frei bewegen kann."

Mutter Fourage, Chausseestraße 15a , 14109 Berlin-Wannsee, Tel.: 030 805 23 11

Die Autorin ist Mitarbeiterin des Tagesspiegel Zehlendorf. Ihr gefiel die Idee, dass dort, wo früher Pferde mit Futtermitteln versorgt wurden, heute die Menschen mit Kultur und Naturkost versorgt werden.

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