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"Ich wünsche mir, dass die Debatte, die durch 23 israelische bereuende Mütter ausgelöst wurde, mit dazu beiträgt, dass die Wertschätzung für Mütter hierzulande steigt", schreibt Nicki Pawlow in ihrem neuesten Beitrag.

© dpa

#RegrettingMotherhood: Zu wenig Wertschätzung für Mütter in diesem Land!

Im Tagesspiegel Zehlendorf hat die Schriftstellerin Nicki Pawlow über das Thema "Bereuende Mütter - regretting Motherhood" geschrieben und sehr viele Reaktionen darauf bekommen. Und die waren oft irritierend. Deshalb setzen wir die Debatte fort.

Kürzlich schrieb ich einen Text zum Thema „Regretting Motherhood“. Von der großen Resonanz wurde ich völlig überrannt. Es gab unglaublich viel Zuspruch, es hagelte auch Kritik, in den sozialen Netzwerken wurde wild diskutiert. Mütter und Nicht-Mütter bekannten sich oder äußerten Unverständnis; alleinerziehende Mütter (Verzeihung:) kotzten sich gehörig aus; Familienväter, viele bereits mit Enkelkindern, meldeten sich - manche hatten Verständnis für das Phänomen, andere überhaupt nicht; Kinder von bereuenden Müttern erzählten von ihrem Leidensweg mit einer solchen Mutter, die keine sein will, aufzuwachsen; Frauen, die nie Mutter geworden sind, schrieben, sie seien froh darum, sonst wären sie heute bereuende Mütter; manche argumentierten, dass sich diese „Rabenmütter“ doch vorher über das Thema Mutterschaft hätten informieren können, bevor sie Kinder in die Welt setzten; wieder andere fanden sowohl meinen Text, als auch die gesamte Debatte nichts weiter als dumm.

Auch die Medien meldeten sich. Ein süddeutscher Sender bat um ein Interview, das dann aber nicht zustande kam, als der Redakteurin klar wurde, dass ich gar keine bereuende Mutter bin. Ob sie meinen Artikel denn nicht gelesen habe, wollte ich wissen. Nur angelesen, druckste sie herum, um gleich darauf zu fragen, ob ich ihr nicht eine der bereuenden Mütter, die ich als Fallbeispiele in meinem Text erwähnt hatte, vermitteln könnte. Natürlich lehnte ich ab. Damit war ich raus. Genauso lief es mit zwei weiteren Radiostationen. Ich vermute mal: Man wollte sich gar nicht tiefer mit dem Thema auseinandersetzen, sondern nur einen größtmöglichen Effekt erzielen. (Quote!) Womöglich wäre eine Heidi Klum als bereuende Mom die Idealbesetzung gewesen. Doch nicht einmal das "heute journal" hat eine bereuende Mutter vor die Kamera gekriegt. Zu groß ist das Tabu, zu gewaltig wäre der damit einhergehende Gesichtsverlust.

Sie verleugnet ihre Kinder bei Bewerbungen

Mit der ZDF-Redaktion von Markus Lanz lief es genau andersrum. Zunächst auch nur an einer bereuenden Mutter interessiert, fragte der zuständige Redakteur im Laufe unseres Telefonates, ob ich mir vorstellen könnte, vor der Kamera meinen Standpunkt zu vertreten.  Damit war ich drin. Doch die Sendung über „Regretting Motherhood“ wurde wegen anderer aktueller Anlässe verschoben und liegt nun erst einmal auf Eis. Offenbar ist das Mutter-Thema nicht wichtig genug. Ist es nicht? Warum hat es uns dann so elektrisiert? Zufall? Sicher nicht. Die israelische Studie über 23 Frauen, die es bereuen Mütter geworden zu sein, ist nur ein Auslöser. Darunter liegt viel mehr.

Ich behaupte, der wahre Grund, dass „Regretting Motherhood“ so einschlagen konnte, ist die mangelnde Wertschätzung, die Müttern hierzulande entgegengebracht wird. Und aus dieser mangelnden Wertschätzung resultieren Strukturen, die es Müttern in Deutschland unmöglich machen, Kinder und Arbeit geschmeidig miteinander zu vereinbaren.

Unsere Autorin hat sehr viele Reaktionen auf ihren ersten Text zu "bereuenden Müttern" bekommen.
Unsere Autorin hat sehr viele Reaktionen auf ihren ersten Text zu "bereuenden Müttern" bekommen. Im zweiten Teil schreibt sie, warum viele dieser Reaktionen irritierend waren und was sie daraus folgert.

© dpa

Eine verheiratete Leserin (43) schrieb mir in einer persönlichen Nachricht via Facebook, sie habe drei Kinder (6, 4, 2), sei eine hochqualifizierte Vertriebskraft und habe, bevor sie Mutter wurde, erfolgreich in einem großen Konzern gearbeitet. Nun sei sie kurz davor, eine bereuende Mutter zu werden, da sie seit anderthalb Jahren verzweifelt versuche, in ihrem Beruf wieder Fuß zu fassen. In der alten Firma sei eine Halbtagsstelle nicht zu kriegen gewesen, Vollzeit habe man sie unterbezahlt auf eine Tätigkeit schieben wollen, für die sie eindeutig überqualifiziert sei. Sie habe sich anderweitig beworben, doch mehr als einmal habe man ihr in Bewerbungsgesprächen signalisiert, dass man ihr eine solche Aufgabe auf Grund ihrer Kinderschar nicht zutraue. Oft werde sie erst gar nicht zum Gespräch eingeladen. Mittlerweile ist sie dazu übergegangen, ihre drei Kinder nicht mehr im Lebenslauf zu erwähnen. Sie hoffe darauf, im persönlichen Gespräch erläutern zu können, wie lückenlos die Kinderbetreuung (auch wenn ein Kind mal erkrankt) geregelt sei. Sie habe das Glück, dass ihre Eltern nebenan wohnen und zuverlässig als Hilfe zur Verfügung stünden.

Armes Deutschland, wo Mütter es nötig haben, ihre Kinder zu verleugnen, um in einen adäquaten Job zurückzufinden. Dabei sind sie prädestiniert, haben sie doch zusätzlich gelernt, „erfolgreiche kleine Familienunternehmen“ zu führen, wie es in der Werbung so schön heißt. Kinder und Kompetenz schließen einander aus? Hierzulande leider ja. Denn solche Geschichten gibt es tausendfach.

Im vergangenen Jahr stellte Familienministerin Manuela Schwesig ihren Plan einer steuerfinanzierten 32-Stunden-Woche vor. Natürlich konnte sie sich damit nicht durchsetzen. Die Wirtschaft lehnte ihren Vorschlag strikt ab, das Kanzleramt ebenso. Dabei ist eine solche Initiative ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt Studien, aus denen hervorgeht, dass Frauen mit Kindern gern mehr und Väter gern weniger arbeiten würden. Die Folge wäre, dass Eltern sich die Verantwortung für die Kinderbetreuung besser teilen könnten. Doch nein, an der heiligen Kuh Vollzeit wurde nicht gerüttelt, was die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie weiterhin zementiert. Eine Frage drängt sich mir auf: Liegt es daran, dass die Entscheider – sowohl bei den Bewerbungsgesprächen die mit Müttern geführt werden, als auch bei der 32-Stunden-Woche überwiegend männlich sind?

Es geht hier nicht darum Schuld zuzuweisen. Nicht den Männern, nicht den Frauen, nicht der Gesellschaft. Sondern es geht darum, Zustände zu benennen, Strukturen und  Verhaltensweisen ins Bewusstsein zu rücken. Ich glaube nämlich, dass es vielen hierzulande gar nicht bewusst ist, dass das Mutter-Sein in Deutschland eine nur mangelnde Wertschätzung erfährt.

Im Land gibt es keine Wertschätzung für Mütter, das ist die These unserer Autorin.
Im Land gibt es keine Wertschätzung für Mütter, das ist die These unserer Autorin.

© dpa

Noch ein Beispiel, das zeigt, dass auch Frauen anderen Frauen oft ein Eigentor reinhauen: Vor einigen Jahren besuchte ich eine Veranstaltung im Roten Rathaus. Schriftsteller/innen sollten über Bildung und Erziehung und ihre Arbeit debattieren. Die Moderatorin stellte die jeweilige Person vor und vergaß auch nicht zu erwähnen, ob diese Kinder hatte und wenn ja, wie viele. Eine Kollegin hatte gar fünf. Im Anschluss an die, wie ich fand sehr professionelle und empathische Vorstellung, geriet die Moderatorin kurioserweise genau deshalb in die Kritik.

Die fünffache Mutter ließ gar verlauten: „Ich bin hier als Autorin und möchte nicht über meine Kinder definiert werden.“ Wie bitte? Hatte ich mich verhört? Erstens ging es doch explizit um „Bildung und Erziehung“! Und zweitens ist doch anzunehmen, dass eine Frau, die Kinder hat, andere Erfahrungen macht, als eine, die keine hat und folglich auch anders (wohlbemerkt: nicht besser, nicht schlechter, sondern anders!) leben und schreiben wird!

Die Hausfrau ist im Alter angeschmiert

Hätte die Kollegin auch so reagiert, wenn hierzulande das Mutter-Sein hoch geschätzt  würde? Sicher nicht. Doch noch immer kommt es nicht unbedingt gut an, wenn frau dazu steht, gerne Mutter zu sein. Oftmals wird ihr sogar feindselig gegenübergetreten. Für die Arbeitswelt ist es gar ein rotes Tuch, da zählen eher Coolness und „Objektivität“. Funktioniere als Mutter, aber sprich bitte nicht darüber! Privates und Nicht-Privates gehören getrennt! Ich habe aber mittlerweile gelernt, dass mein privates Sein (meine Erfahrungen, meine Gedanken und Gefühle) mein Verhalten im öffentliches Bereich (Berufs- und Arbeitswelt) maßgeblich beeinflusst, sei es auch überwiegend unbewusst.

Beklagt wird die Überalterung der deutschen Bevölkerung. Immer weniger Kinder werden geboren, es ist absehbar, dass die Renten nicht mehr sicher sind. Doch diejenigen, die dafür sorgen, dass die Deutschen nicht aussterben, werden nicht etwa „belohnt“, weder ideell noch materiell. Eine Frau, die Nur-Hausfrau (heutzutage eine Schimpfwort) ist und „nur“ Kinder aufzieht, sagen wir mal zwei oder drei (der Durchschnitt liegt deutschlandweit bei 1,41 Kindern) ist im Alter angeschmiert.

Die Autorin ist Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie in Berlin-Zehlendorf.
Die Autorin ist Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie in Berlin-Zehlendorf.

© Dieter E. Hoppe/Promo

Sie ist finanziell abhängig von ihrem Ehemann, denn von ihrer eigenen Rente, wenn sie eine bekommt, wird sie nicht leben können. Und wehe, wenn der Mann sie oder sie den Mann vorher verlassen hat. Dann wird sie als Alleinerziehende vermutlich schon viel früher in die Armut abrutschen. So gesehen lohnt es sich nicht, Kinder zu haben. All die Jahre Erziehungsarbeit geleistet und kein oder nur wenig Geld verdient? Und nichts in die Rentenkasse eingezahlt oder anderweitig vorgesorgt? Selber schuld? Kaum eine, kaum einer spricht das offen aus, doch die sinkende Geburtenrate hierzulande spricht Bände.

Ich wünsche mir, dass die Debatte, die durch 23 israelische bereuende Mütter ausgelöst wurde, mit dazu beiträgt, dass die Wertschätzung für Mütter hierzulande steigt. Denn solch ein Wertewandel würde dazu führen, dass Strukturen sich ändern und dass Kinder und Beruf wirklich vereinbar miteinander werden könnten. Es gibt bereits gute und lohnenswerte Ansätze. Die 32-Stunden-Woche ist nur eine davon. Lassen Sie uns also im Gespräch bleiben!

Nicki Pawlow ist Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie in Berlin-Zehlendorf. Als Mutter von drei Kindern kennt auch sie die Zerreißprobe zwischen Kinderbetreuung und Arbeiten-wollen-können-müssen mehr als gut. Dabei hat sie einen Ehemann, der ein sehr engagierter Vater ist. Mit dem Thema Familie befasst sich auch ihr kürzlich erschienener Roman „Der bulgarische Arzt“ (Verlag Langen Müller, München).

Der Text erscheint auf Tagesspiegel-Zehlendorf, das lokale Debattenportal aus dem Berliner Südwesten.

 

 

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