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Steglitz-Zehlendorf: Containerdorf für Flüchtlinge: Ein Heim speziell für Traumatisierte und Kranke

Das Containerdorf am Ostpreußendamm in Steglitz-Zehlendorf wird, wie der Tagesspiegel exklusiv erfuhr, von der Neuen Treberhilfe betrieben, die zum Evangelischen Diakonieverein Berlin-Zehlendorf gehört. Hier sagen die Betreiber, was die Flüchtlinge erwartet.

„Wenn wir untereinander nicht solidarisch sind, haben wir schon verloren.“ Aus dem Mund von Gisela Marina Netzeband klingen diese Worte keineswegs abgedroschen. Im Gegenteil, sie klingen echt und machen nachdenklich. Ihre Erfahrungen, Menschen in Not zu helfen, sind groß. Mehr als 40 Jahre ist sie in der Sozialarbeit tätig. Mit 69 Jahren könnte sie sich eigentlich zurücklehnen und den Ruhestand genießen. Nein. Sie möchte gern weiterhelfen, solange es geht. So hat sie jetzt als Geschäftsführerin der "Neuen Treberhilfe" (NTH) in Berlin die Verantwortung für eine bemerkenswerte Aufgabe übernommen. Die nach der Insolvenz neu aufgestellte NTH, mittlerweile seit Ende 2011 unter dem Dach des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf, wird künftig die Containerunterkunft für Flüchtlinge am Ostpreußendamm 108 in Lichterfelde betreiben.

Im Moment liegt das Grundstück am Ostpreußendamm noch im Dornröschenschlaf. Hinter dem Zaun hat sich ein Wildwuchs aus Bäumen und Sträuchern gebildet. Teile des Geländes sind asphaltiert. Zwischendrin kleine Hügel. In wenigen Wochen werden hier die Vorbereitungen für die Bauarbeiten zu dem Wohncontainerdorf beginnen. Bauherr ist das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Vermutlich Ende März können die ersten Asylsuchenden einziehen. Maximal 300 Flüchtlinge werden hier wohnen.

Die Zeit ist knapp, der Kostenrahmen eng. Der künftige Betreiber ist in den Aufbau der Wohnanlage eingebunden. Derzeit werden vom Schreibtisch aus profane, aber wichtige Dinge wie Kalkulation, Raumplanung und Bauantrag abgestimmt. Es gibt regelmäßige Treffen mit dem Lageso, das für die Unterbringung der Flüchtlinge in Berlin zuständig ist. Außerdem sind das Bezirksamt, das Willkommensbündnis in Steglitz-Zehlendorf und das Stadtteilzentrum Steglitz in den Prozess involviert.

Die Wohnanlage soll flexibel und multifunktional sein

In den nächsten Tagen soll sich nun entscheiden, wie die Räume der Flüchtlingsunterkunft aufgeteilt werden. Fest steht, dass es zwei Wohnkomplexe mit je drei Etagen auf dem rund 15.000 Quadratmeter großen Grundstück geben wird. Anders als bei dem Containerdorf, das derzeit in Köpenick entsteht, wünscht sich der künftige Betreiber, dass die Bauteile an der Vorderfront versetzt aufgestellt werden. „Das würde den Gesamteindruck auflockern und wäre auch für die Nachbarn angenehmer anzusehen“, sagt Gisela Marina Netzeband. Schließlich soll die Wohnanlage nicht wie eine Containerstellfläche am Hafen in Hamburg aussehen.

Im Inneren der Unterkünfte seien zwei Dinge besonders wichtig: Es dürfe keine 75 Meter langen, durchgehenden Gänge und keine monostrukturell angelegten Zimmer geben. Denn die Wohnanlage unterscheidet sich insofern von anderen, als dass sie speziell für traumatisierte und kranke Flüchtlinge konzipiert wird. „Das sind verunsicherte Menschen, beispielsweise Frauen, die missbraucht wurden und zusammenzucken, wenn eine Tür laut zufällt, oder auch Männer, die gefoltert wurden und deshalb einen Rückzugsbereich brauchen“, verdeutlicht die erfahrene Sozialarbeiterin und Erziehungswissenschaftlerin.

Der Evangelische Diakonieverein engagiert sich mit der neu aufgestellten Treberhilfe für Flüchtlinge:
Der Evangelische Diakonieverein engagiert sich mit der neu aufgestellten Treberhilfe für Flüchtlinge: Auf dem Bild Jan Dreher, kaufmännischer Vorstand Diakonieverein, Gisela Marina Netzeband, Geschäftsführerin NTH Hilfe in Berlin und Melanie Wagner, Pressesprecherin Diakonieverein (v.l.n.r.).

© Anett Kirchner

Hinzu komme der individuelle soziokulturelle Hintergrund der einzelnen Bewohner. Nach Vorstellung der NTH macht deshalb ein Misch-Konzept bei der Raumplanung Sinn. Mehrbettzimmer für Familien, Küche, Gemeinschaftsräume und nach Geschlechtern getrennte Sanitäranlagen, aber gleichzeitig auch Einzelbettzimmer mit eigenen Toiletten seien denkbar. Die Anlage sollte flexibel, multifunktional und jederzeit veränderbar sein. „Das alles zu planen, ist keine leichte Aufgabe“, versichert Netzeband. Und was am Ende genehmigt werde, entscheide das Lageso.

Für die fachübergreifende Koordination hat der Evangelische Diakonieverein eine Projektlenkungsgruppe eingerichtet. Hier bringen sich Experten etwa für Finanzen, Wohnen und Soziales ein. Seit mehr als 120 Jahren engagiert sich der Diakonieverein im Gesundheitswesen. Mit rund 2.000 Schwestern und Pflegern ist er die größte evangelische Schwesternschaft in Deutschland. „Fremde aufzunehmen, passt gut zu uns und zu unseren christlichen Wurzeln“, erklärt Jan Dreher,  kaufmännischer Vorstand. Deshalb habe man sich für das Betreiben der Flüchtlingsunterkunft angeboten.

Versäumnisse der Politik nicht aufzuholen

Die Schwierigkeit: Für alle Beteiligten ist der Aufbau eines solchen Wohncontainerdorfes Neuland. Und: Es wird eine Massenunterkunft sein, eine Individualisierung und Dezentralisierung der Flüchtlinge ist nicht vorgesehen. „Ich wüsste jedoch auch keine adäquate Lösung, um mit der aktuellen Situation besser umzugehen“, zeigt Gisela Marina Netzeband Verständnis. Es fehle schlichtweg die Zeit. Weil die Zahl der Asylbewerber in Berlin immer weiter steigt und schnell Unterkünfte gebraucht werden, hat das Land beschlossen, Wohncontainer-Anlagen mit insgesamt 2400 Plätzen an sechs Standorten zu errichten; eine davon am Ostpreußendamm.

Zwar ist das Problem mit den fehlenden Unterkünften für Flüchtlinge auf politische Versäumnisse zurückzuführen, ergänzt sie, aber jetzt müsse der Blick nach vorn gerichtet werden. „Wir wollen schnell den Menschen helfen, die entwurzelt sind und bei uns Zuflucht suchen.“

 In wenigen Wochen werden hier am Ostpreußendamm die Vorbereitungen für die Bauarbeiten zu dem Wohncontainerdorf für traumatisierte und kranke Flüchtlinge beginnen
In wenigen Wochen werden hier am Ostpreußendamm die Vorbereitungen für die Bauarbeiten zu dem Wohncontainerdorf für traumatisierte und kranke Flüchtlinge beginnen.

© Anett Kirchner

Und dann bricht sie noch eine Lanze für die Container. Es handle sich nicht einfach bloß um Baucontainer. Vielmehr seien es qualitativ hochwertige Neubauten, die in mobiler Leichtbauweise errichtet werden und energetisch auf dem neuesten Stand sind. Auch dabei spricht sie aus Erfahrung, denn solche Wohncontainer werden oft als Zwischenlösung beispielsweise bei der Sanierung von Seniorenwohnheimen eingesetzt. „Die Senioren haben sich in den Containern immer wohl gefühlt“, berichtet die Fachfrau.

Die Grundlagen für den Aufbau der Flüchtlingsunterkunft am Ostpreußendamm sind demnach geschaffen. Dass sich Gisela Marina Netzeband mit Überzeugung in das Projekt einbringt, hat vermutlich auch persönliche Gründe. Denn hierbei schließt sich für sie ein biografischer Kreislauf. Im Diakonieverein in Zehlendorf hat ihr beruflicher Lebensweg begonnen, hier machte sie als junge Frau eine Ausbildung zur Krankenschwester. Woran sie sich seither immer wieder aufgerichtet hat? An Zitaten der Schriftstellerin Hilde Domin. Und auch in diesen Tagen braucht sie manchmal aufbauende Worte wie diese: „Nicht im Stich lassen, sich nicht und andere nicht. Und nicht im Stich gelassen zu werden. Das ist die Mindest-Utopie, ohne die es sich nicht lohnt, Mensch zu sein.“

Der Evangelische Diakonieverein Berlin-Zehlendorf hat ein Spendenkonto für jene eingerichtet, die Flüchtlingen in Berlin mit einer Geldspende helfen möchten. Ausführliche Informationen dazu finden Sie hier.

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt seit Januar 2014 als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels.

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