zum Hauptinhalt
Der Tanz mit ihrem Ergotherapeuten macht der fast 90jährigen Dame sichtlich Spaß

© Raack

Ü70-Party in Steglitz-Zehlendorf: „Wir sind alt und wollen es flott“

Hier wird nicht mehr vorgeglüht, denn "Rote Lippen soll man küssen": Wie Senioren eine Ü70-Party rocken und den Tagesspiegel Zehlendorf antanzen lassen. Schließlich sind Bewegung und Berührung gerade im Alter sehr wichtig.

Schon auf der Straße ist der Beat zu hören, dazu lautes Lachen, und ein paar Meter weiter Richtung Musik blinkt es stroboskopartig. Es ist Freitagabend, gerade mal halb acht. Im Bäkepark steht eine Handvoll Jugendliche vor dem Pavillon, anscheinend beim „Vorglühen“. Doch Diskolicht und Bass kommen nicht von ihnen. Schließlich ist die Party ja anscheinend schon in vollem Gange. Und tatsächlich, hier im Seniorenzentrum Vitanas wird nicht mehr vorgeglüht: Die Liveband intoniert "Rote Lippen soll man küssen“, eine grauhaarige Dame in mintgrüner Bluse und buntem Rock schmiegt sich an einen weitaus jüngeren Herrn in kariertem Hemd und Jeans. Geschickt wendet und wiegt sich das Paar an Rollatoren am Rand der Tanzfläche und den anderen Tanzenden vorbei. „Die Dame musste vorhin von ihrer Tochter geweckt werden. Sie hatte schon geschlafen, aber unsere Party wollte sie auf keinen Fall verpassen“, erzählt Sozialarbeiterin Viola Jäckel. "Sie wird schließlich bald 90. Und der Herr ist ihr Ergotherapeut."

Viola Jäckel hatte vor etwa anderthalb Jahren die Idee mit den Ü70-Parties. „Auf der Fachhochschule hatte ich mal gelernt, man solle beim Brainstorming durchaus auch mal verrückten Ideen nachgehen“, erinnert sich sie sich. „Unsere Leiterin ist da zum Glück sehr offen. Und schon zur ersten Party kamen 20 Tanzwütige. Der Kreis wurde immer größer, so dass wir zum Teil keine Stühle mehr hatten.“ Denn, so erklärt sie dem Tagesspiegel Zehlendorf, die Tanzenden müssten sich natürlich zwischendurch ausruhen können. Außerdem müsse man auch genügend Platz für Rollatoren einplanen.

In der Bandpause gibt es Steak und Bouletten

Von den etwa 45 Gästen an diesem Abend sind etwa die Hälfte Bewohner des Pflegeheims Vitanas. „Aber es kommen immer viele Besucher von außerhalb zu unseren Veranstaltungen und auch Angehörige von bereits verstorbenen Bewohnern“, sagt Viola Jäckel. Ein ganzer Freundeskreis um die 70 ist heute gemeinsam hier und stärkt sich gerade in der Bandpause bei Steak, Bouletten und Kartoffelsalat vom Buffet. „Für die Party reservieren wir immer einen großen Tisch hier“, sagt eine weißhaarige Dame noch etwas außer Atem vom Tanzen. „Wir wohnen alle noch zu Hause, aber wir wissen, wenn was sein sollte, können wir hierher kommen.“ Dann stoßen sie an, „Auf den Abend!“, und „Auf uns!“ Viola Jäckel schmunzelt. „Es ist schön, sie so ausgelassen und strahlend zu sehen. Wir selbst haben so natürlich auch Spaß an den Partys."

Neben dem Spaß geht es den Therapeuten und Sozialarbeitern aber vor allem um den therapeutischen Effekt: „Bewegung und Berührung ist im Alter ganz wichtig", sagt Ergotherapeutin Stephanie Möller. "Die Leute sind durch das Tanzen fitter und haben wieder mehr Freude am Leben, vor allem auch bei beginnender Demenz. Demenzkranke schotten sich sonst ab." Dank der alle sechs Wochen stattfindenden Partys hätten einige Heimbewohner mit über 80 das Tanzen wieder für sich entdeckt. „Und vor der Party bieten wir auch Nagellack und Schminken an“, lächelt Stephanie Möller, „aber natürlich auch, wenn keine Party stattfindet, wenn jemand das möchte.“

"Am liebsten tanze ich mit Dirk!"

Ganz ungeschminkt strahlt Rosemarie Barnetz über das ganze Gesicht. Sie wohnt seit drei Jahren im Vitanas-Heim. „Ich war schon immer beweglich, habe lange in der französischen Schweiz gelebt. Gott sei Dank bin ich körperlich immer noch beweglich - und auch hier“, und tippt sich lachend an die Schläfe. A propos Bewegung, schon muss sie wieder auf die Tanzfläche: „Am liebsten tanze ich mit Dirk“, ruft sie noch und hakt sich gleich bei Ergotherapeut Dirk Bartholomäus ein. Das erwartungsvolle „Juhu“ vom Herrn neben ihr überhört sie souverän.

Sängerin Ulrike macht es sichtlich Spaß, sich unter die Tanzenden zu mischen
Sängerin Ulrike macht es sichtlich Spaß, sich unter die Tanzenden zu mischen

© Raack

Ingrid Behrend und ihr Mann, beide Anfang 70, ruhen sich gerade ein wenig an ihrem Tisch aus. Sie gehen zweimal pro Woche tanzen. Auf der Ü70-Party sind sie zum vierten Mal: „Vorher durften wir ja nicht“, lacht sie. Sie waren gerade im regen Gespräch mit ihren Tischnachbarn. „Wir kannten uns vorher gar nicht, aber so lernt man sich eben kennen. Die Stimmung ist hier lustig, nicht so gedämpft wie in den Seniorenclubs.“ Gegenüber lässt sich eine Dame mit grün schillerndem Top und kurzen schwarzen Haaren in den Stuhl fallen und reibt sich die Ferse. Es ist kurz nach neun Uhr und die ersten Pflaster werden auf Blasen geklebt.

Neben ihr sitzt ihre Freundin Irene Dümmel. Sie lebte lange Jahre in Kanada, seit 23 Jahren ist sie wieder in Berlin. „Nun bin ich leider für die nächsten zwei Monate wieder in Kanada“, bedauert sie, denn so versäumt sie die nächsten Partys. Beim ersten Mal kam sie mit drei Bekannten, dann zu sechst; dieses Mal sitzt sie zwischen zwölf Bekannten. Einer davon, ein 96jähriger Herr, wie sie respektvoll raunt, tanzt gerade lachend vorbei Richtung Tanzfläche, vergnügt summt er dabei zu „Mit 66 Jahren“.

Schließlich gilt es, die Zeit zu nutzen: Bis halb elf macht die Band Stimmung. Das Sängerduo Ulrike und Jürgen sind fester Bestandteil der Ü70-Partys. Es macht ihnen sichtlich Spaß, sich unter die Tanzenden zu mischen und den älteren Herrschaften einzuheizen. „Wir spielen auch in Pflegeheimen mit vielen Demenzkranken, aber hier können wir eigentlich alle Leute mitnehmen, dank der vielen Ergotherapeuten. Und die Leute hier sind für ihr Alter wirklich sehr modern. Wir spielen viel Rock’n’Roll, Swing und Country, aber auch moderne Schlager. „Atemlos“ geht immer“, kichert die Sängerin. „Die sagen, wir sind alt und wollen es flott.“

Auch Irene Dümmel zieht es wieder auf die Tanzfläche. Sie freut sich schon wieder auf ihre Rückkehr nach Berlin in zwei Monaten, auch wenn in Kanada ihre drei Kinder leben. „Mein Sohn sagt immer: Wenn er weiß, dass ich beim Tanzen bin, dann weiß er, dass es mir gut geht.“

Die Autorin schreibt für den Tagesspiegel und für Tagesspiegel Zehlendorf, das digitale Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten, auf dem dieser Text erscheint. Folgen Sie Maike Edda Raack auch auf Twitter.

 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false