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Flüchtlingsunterkunft in der Sporthalle der FU in Dahlem. Vor Weihnachten richteten 60 Helfer Plätze für 200 Menschen ein.

© Björn Kietzmann

Umgang mit Flüchtlingen in Steglitz-Zehlendorf: Bürgermeister beklagt "menschenunwürdige Zustände"

Die CDU in Steglitz-Zehlendorf fordert das für die Flüchtlinge zuständige Landesamt auf, die Notunterkünfte im Bezirk wieder zu schließen. Dabei, sagen die Piraten, sei das Bezirksamt selbst schuld an der Situation. Es habe sich viel zu spät um das Thema gekümmert.

Einige muslimische Flüchtlinge, vor allem Frauen, ziehen nachts ihre Kleidung nicht aus. Es gibt keine Trennwände zwischen den Betten, keine Privatsphäre. Die Flüchtlinge leben auf engstem Raum. 200 Menschen in einer Turnhalle der Freien Universität (FU) in Dahlem in der Königin-Luise-Straße, 278 Menschen in einer Turnhalle in Lichterfelde in der Lippstädter Straße. „Die räumlichen Zustände verletzen ethnische Grundsätze, sind menschenunwürdig und eine Belastung für die Flüchtlinge“, sagte Bezirksbürgermeister Norbert Kopp (CDU) am Mittwoch in der ersten Sitzung der Bezirksverordneten in diesem Jahr. Er habe sich mehrfach selbst vor Ort ein Bild gemacht und jetzt den Senator für Gesundheit und Soziales, Mario Czaja (CDU), aufgefordert, die Notunterkünfte nicht länger aufrecht zu erhalten.

Damit reagierte Kopp auf eine Große Anfrage der CDU-Fraktion zur aktuellen Situation von Asylbewerbern im Bezirk. Wegen der rasant steigenden Flüchtlingszahlen in Berlin mussten Ende letzten Jahres innerhalb kürzester Zeit in Steglitz-Zehlendorf zwei Notunterkünfte eingerichtet werden. Die Flüchtlinge in Dahlem wurden anfangs von der Berliner Johanniter-Unfall-Hilfe betreut, jetzt hat das die AWO Berlin-Mitte übernommen. Die Notunterkunft in Lichterfelde betreibt der Arbeiter-Samariter-Bund.

„Wir müssen klarer zwischen Schutzbedürftigen unterscheiden und denen, die vorgeben, schutzbedürftig zu sein“, gab Torsten Hippe, CDU-Fraktionsvorsitzender, zu Bedenken. Zwar wolle er keinem etwas vorwerfen. Jeder habe sicher gute Gründe für eine Flucht. Niemand verlasse die Heimat einfach so. Aber die, die lediglich vorgäben, schutzbedürftig zu sein, provozierten diese Zustände mit. Missbrauch schade jenen, die schutzbedürftig seien. Hier sei das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) verantwortlich. Er erwarte, dass die menschenunwürdigen Zustände schnellstmöglich abgestellt werden.

Piraten ärgerten sich über den CDU-Fraktionschef

Bei den Bezirksverordneten im Zehlendorfer Rathaussaal hielt sich zunächst die Aufregung zu den Äußerungen in Grenzen. Die Mehrheit schien ähnlicher Meinung zu sein. Ganz im Gegenteil zu Georg von Boroviczeny von den Piraten. „Wir unterscheiden nicht zwischen dem Flüchtling und dem Flüchtling“, machte er seiner Verärgerung Luft. Flüchtlinge seien willkommen, ohne wenn und aber. Dann erinnerte er an die politischen Versäumnisse in dieser Sache. In Steglitz-Zehlendorf seien in den letzten Jahren zu wenig feste Flüchtlingsunterkünfte geschaffen worden. „Wir haben zum Beispiel Heckeshorn“, schlug er vor. Dort könne Geld in die Hand genommen werden, um die leer stehenden Gebäude herzurichten. Eine andere Möglichkeit seien weitere Containersiedlungen. „Das ist allemal besser als diese Turnhallen“, fand von Boroviczeny.

Auf ähnliche Weise äußerte sich auch Martin Kromm von der SPD, indem er daran erinnerte, dass seine Fraktion bereits seit zwei Jahren das Bezirksamt auffordere, nach geeigneten Unterkünften für Flüchtlinge zu suchen. „Dann müssten wir jetzt nicht dem Senat hinterherlaufen und uns beschweren, dass die Turnhallen beschlagnahmt werden“, schilderte er. Und um die Aufforderung, etwas rechtzeitig für Flüchtlinge zu tun, ging es unter anderem auch in einer Großen Anfrage der SPD, die kurz zuvor in der BVV-Sitzung diskutiert wurde. Sie stand unter der Überschrift „Unnötige Kosten und übertriebener Aufwand im Jobcenter“.

SPD: Mehr Arbeit für Ämter wegen Flüchtlingen

Hierbei ging es im Grundsatz um die Frage, ob eine Doppelprüfung der Leistungsempfänger bei einem Umzug in einen anderen Bezirk sinnvoll sei. Laut SGB II müsse erneut ein Erstantrag für die Kosten des Lebensunterhalts und der Unterkunft gestellt werden. Der Bezirksverordnete der SPD Mirko Klimas spannte den Bogen geschickt zu den Flüchtlingen, in dem er sagte, dass Asylsuchende nach kurzer Zeit auch zu Antragstellern würden. „Sie sprechen aber meistens wenig deutsch und kennen sich mit unserem System nicht aus“, erklärte er. So komme auf die Mitarbeiter des Jobcenters absehbar noch mehr Arbeit zu.   

Da der Bezirk Mitglied in der Trägerversammlung des Jobcenters von Steglitz-Zehlendorf sei, könne er dort auf diese Missstände rechtzeitig hinweisen. „Denn wir wissen um die Belastung der Mitarbeiter und genau deshalb legen wir den Finger in diese Wunde“, fügte Klimas hinzu.

Kopp: Wir sind nicht zuständig!

Die Reaktion des Bezirksbürgermeisters kam prompt. Er sprach stellvertretend für den erkrankten Bezirksstadtrat für Soziales, Norbert Schmidt (CDU), und erklärte, dass er das Engagement der SPD in dieser Sache bemerkenswert finde und dafür Verständnis habe, der Bezirk jedoch nicht zuständig sei. Die Problematik müsse auf Landesebene geklärt werden. Es sei Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit, hier eine einheitliche Lösung zu finden. „Außerdem sind das zwei Paar Schuhe“, sagte Norbert Kopp. „Zum einen sprechen sie von den Leistungsberechtigen, die hier leben und zum anderen von der Thematik, wie wir künftig den Flüchtlingen in Steglitz-Zehlendorf helfen.“

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

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