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Fahrradfahrer haben es Berlin nach wie vor schwer. In Tempelhof-Schöneberg verzögert sich der Ausbau weiter.

© Friso Gentsch/dpa

„Bezirksamt unambitioniert und mutlos“: Ärger um Pop-Up-Radwege in Schöneberg – Ausbau verzögert sich

Die Kritik an der in Tempelhof-Schöneberg zuständigen Stadträtin Stadträtin Christiane Heiß (Grüne) wächst – auch in der eigenen Partei.

Der frühere Baustadtrat des Nachbarbezirks Wilmersdorf, Uwe Szelag (Grüne), hat seinen Parteifreunden in Tempelhof-Schöneberg jetzt einen offenen Brief geschickt, weil er „zum wiederholten Mal über die Untätigkeit oder mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der Stadträtin Frau Heiß enttäuscht und auch verärgert“ ist.

In dem Schreiben heißt es: „Eure Stadträtin hat nach fast 3 (!) Jahren im Amt keine relevante Maßnahme zur versprochenen Verkehrswende umgesetzt. Stets erklärt sie wortreich, aber tatenlos, dass ihr noch Beschlüsse fehlen, die Senatsverwaltung oder Verkehrsbehörden zu langsam sind oder die Mittel und das Personal nicht reichen.“  

Zuvor hatte die SPD des Bezirks die Stadträtin scharf attackiert – dies ist bemerkenswert, weil die SPD mit den Grünen im Bezirk eine Zählgemeinschaft bildet. „Die gesamte Amtszeit von Frau Heiß war hinsichtlich der Ziele der Verkehrswende ein kompletter Ausfall“, teilte Christoph Götz-Geene mit, der Vizechef der SPD-Fraktion.

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Und weiter: „Es ist uns unbegreiflich, dass die Stadträtin keine Projekte umsetzt, während andere Bezirke teils täglich neue Radspuren einweihen.“  

„Einfach Quatsch“ nannte Stadträtin Heiß sämtliche Vorwürfe. Sie habe im Bezirk „32 laufende Projekte in Bearbeitung“, nämlich Radwege für sechs Millionen Euro. „Wenn die SPD das nicht zur Kenntnis nimmt, kann ich nichts dafür.“

Erste Pop-Up-Radwege sollen in vier Wochen kommen

Und wann gibt es nun den ersten Pop-up-Radweg? „Ich hoffe, dass wir in den kommenden vier Wochen zu Potte kommen“, sagte Heiß. Und zwar unter den Bahnbrücken am Prellerweg. Dort gebe es nur eine schmale Radspur, die mit Farbe auf der Autospur markiert ist – und natürlich überfahren wird von Autos und auch überfahren werden darf. Hier sollen Poller hin, sagte Heiß, allerdings nur in eine Richtung.

Weitere Straßen könnten im Sommer folgen, zum Beispiel am Sachsendamm, Yorckstraße, Langenscheidtstraße, Säntisstraße und Schöneberger Straße. „Ich hoffe sehr, dass wir zumindest 2-3 dieser Vorschläge im Laufe der nächsten Wochen umsetzen können“, teilte Heiß mit.  

Tempelhofer Damm bekommt keine Radwege

Unter den Vorschlägen ist nicht der Tempelhofer Damm. Um keine Straße wird im Bezirk so erbittert und so lange gestritten. Der T-Damm hat mittlerweile eine zwölfjährige Vorgeschichte. 2008 war die 14-jährigen Sandra von einem Lastwagen an der Ecke Alt-Tempelhof getötet worden.  
Seitdem fordern Anwohner und Fahrradverbände auf der stark befahrenen Hauptstraße eine sichere Infrastruktur für Radfahrer.

Die neuen Fahrradwege sollen mit Pollern von der Autofahrbahn abgegrenzt werden.
Die neuen Fahrradwege sollen mit Pollern von der Autofahrbahn abgegrenzt werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Auf der Straße angekommen ist bislang nichts, das „Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg“  kritisierte zuletzt Anfang der Woche den „Planungsstillstand“ und forderte einen Pop-Up-Radweg auf dem Tempelhofer Damm.

Den wird es aber nicht geben, sagte Stadträtin Heiß dem Tagesspiegel. Hier solle gleich die endgültige Infrastruktur entstehen, darin sei man sich mit der Verkehrsverwaltung einig. Hier habe es in der Zusammenarbeit mit Verkehrsverwaltung tatsächlich zuletzt einige Monate Verzögerung gegeben, bestätigte Heiß.

Umbau am Tempelhofer Damm kommt erst 2021

Sie hoffe, dass im Juni 2020 die Zustimmung der Senatsverwaltung für Verkehr vorliege und der Bezirk den Umbau dann ausschreiben kann. 2021 könne dann gebaut werden, „vielleicht schon Ende 2020“.

Dass Tempelhof-Schöneberg nicht so schnell sei wie der Nachbarbezirk Friedrichshain-Kreuzberg, liege an den unbesetzten Stellen. Sechs von 20 Planerstellen im Verkehrsbereich seien derzeit unbesetzt. Die letzte Ausschreibung habe nicht zu einer Neueinstellung geführt. „In Kreuzberg sind alle Stellen besetzt", sagte Heiß. Sie lobte die dort in wenigen Wochen entstandenen Corona-Radwege als „Supersache“.

Friedrichshain-Kreuzberg hat auf der Oberbaumbrücke mittlerweile größere Radwege gebaut.
Friedrichshain-Kreuzberg hat auf der Oberbaumbrücke mittlerweile größere Radwege gebaut.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Bekanntlich hat Friedrichshain-Kreuzberg innerhalb weniger Wochen an großen Hauptstraßen mehrere Kilometer so genannte Corona-Radwege geschaffen, wie am Kottbusser Damm oder an Skalitzer und Gitschiner Straße. Tempelhof-Schöneberg war Anfang April der zweite Bezirk nach Friedrichshain Kreuzberg, der sich meldete.

„Das Bezirksamt ist unambitioniert und mutlos“

Stadträtin Heiß nannte dem Tagesspiegel am 2. April drei Straßen, und zwar Innsbrucker Platz, die Schöneberger Straße in Tempelhof und ein kurzer Abschnitt am Sachsendamm. Das ist jetzt sechs Wochen her, sichtbar passiert ist nichts. Grundsätzliche Kritik deshalb vom Netzwerk: „Das Bezirksamt ist unambitioniert und mutlos.“ 

Im Bezirk „wurde in den letzten Jahren kein einziger nennenswerter Radweg neu angelegt, nichts ist derzeit in Bau“. „Die Bilanz der letzten Jahre ist sehr mager“, sagt Norbert Michalke vom NFTS, „wozu haben wir die Grünen eigentlich gewählt?“

Die Sorgen um die Stimmung ihrer Wähler treibt mittlerweile selbst die Parteifreunde im Bezirk um. Die „AG Radverkehr“ der Bezirks-Grünen hat einen Brief an Heiß formuliert, der an die Öffentlichkeit gelangte. Darin heißt es: „Eine so gute Chance, schnell und unbürokratisch, Fahrradwege auf die Straße zu bringen, wird es so schnell nicht mehr geben.“ Der Brief schließt mit der Aufforderung: „Nun ist die Situation, dafür engagiert einzustehen.“

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