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Berlin: Bezirksfusion: Ehe im Namen der Arbeit

Am 1. Januar tritt die Bezirksfusion in Kraft, und damit sinkt die Zahl der Bezirke von 23 auf 12.

Am 1. Januar tritt die Bezirksfusion in Kraft, und damit sinkt die Zahl der Bezirke von 23 auf 12. Jeder dieser Bezirke hat etwa 300 000 Einwohner - soviel wie eine mittlere Großstadt. Damit Sie sich, liebe Leser, darin zurecht finden, stellen wir die zwölf Bezirke der Reihe nach vor. Jan Rave, der Vorsitzende des Bundesverbandes deutscher Architekten, schlägt in der nebenstehenden Grafik Namen und Gebiete von möglichen Verwaltungseinheiten vor. Diese orientieren sich größtenteils an historischen Stadtteilen.

Friedrichshain-Kreuzberg. Extreme, wohin man schaut: Flächenmäßig sind Friedrichshain und Kreuzberg die kleinsten Bezirke. Im am dichtesten besiedelten Kreuzberg lebt ein Drittel Ausländer. Die beiden Stadtteile eint das geringste durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen und der billigste Wohnraum. In Kreuzberg ist jeder vierte ohne Arbeit, 13 Prozent beziehen Sozialhilfe. Die heutige Misere und ost-westliche Animositäten lassen oft die ähnliche Vergangenheit vergessen

Auf der West-Seite ist der 66 Meter hohe Kreuzberg das Wahrzeichen. Namensgeber des Ost-Bezirks ist der 1848 eröffnete, ebenfalls hoch gelegene Volkspark Friedrichshain. Das erst 1993 entstandene Friedrichshainer Wappen schmücken der Spreefisch und die Oberbaumbrücke. Zu DDR-Zeiten hatte der Bezirk ein Signum mit dem Frankfurter Tor und einem spatenbewehrten Bären - als Zeichen des Wiederaufbaus. Unter Hitler hieß er "Bezirk Horst Wessel". Denn der 1930 vor seinem Wohnhaus umgebrachte SA-Sturmführer, den die Nazis zum Märtyrer stilisierten, lebte in der Großen Frankfurter Straße 62, der heutigen Karl-Marx-Allee. Friedrichshain umfasst Teile der ehemaligen Vorstädte Königsstadt und Stralauer Vorstadt. Sein ältester Teil ist das Fischerdorf Stralau im Südosten. 1565 zählte man am Südhang des Volksparks 55 Weingärten. Ähnlich wie in Kreuzberg wurde das überwiegend landwirtschaftlich genutzte Gebiet erst mit der Industrialisierung ab 1850 mit Mietshauskasernen bebaut. Ende des 19. Jahrhunderts befand sich rund um den Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof) eines der großen Proletarierviertel des Berliner Ostens; bei den Wahlen von 1933 kam die KPD in Friedrichshain auf 35 Prozent. Der Saalbau Friedrichshain in der Straße Am Friedrichshain war ein Hauptversammlungsort der Berliner Arbeiterbewegung. 1939 lebten im Bezirk dreimal so viele Einwohner wie heute. Fast zwei Drittel der Häuser wurden im Krieg zerstört.

Auch Kreuzberg verlor durch Bombenangriffe fast die Hälfte seiner Bausubstanz. Sein schwarz-weißes Wappen symbolisiert den Niedergang mit Schwarz und den Wiederaufbau mit weißen Steinen. Bislang eint die von 1961 bis 1989 getrennten Bezirke wenig. Die einzige Verbindung ist die Oberbaumbrücke über die Spree. Ein Altkreuzberger und -68er aus der Bergmannstraße hat in der Frankfurter Allee ungefähr so viel zu suchen wie ein Marzahner in Steglitz: nichts. Die Interessen der Beteiligten waren so unvereinbar, dass der Sitz des Rathauses (Friedrichshain) vom Kreuzberger Bürgermeister per Münzwurf entschieden wurde. Doch allem Gezerre und Gemecker zum Trotz könnte der kleinste Fusionsbezirk auch der interessanteste werden - nicht nur, weil erstmals eine von der PDS aufgestellte und von SPD und Grünen unterstützte Bürgermeisterin im Westen regiert. Schon heute zieht es viele Kreative aus der schicken Mitte oder dem hippen Prenzlauer Berg nach Friedrichshain, wo die Mieten günstig und die Kneipen innovativ sind.

Und auch die Kreuzberger Bergmann- oder Oranienstraße sind weit entfernt von ihrem immer wieder beschworenen Untergang. Im Bau befindliche Kulturzentren wie die ehemalige Schultheiss-Brauerei an der Methfessel-Straße oder das Neue Tempodrom am Anhalter Bahnhof setzen auf die bewährte kulturelle Anziehungskraft Kreuzbergs. Und an der Spree entstehen auf beiden Seiten zukunftsträchtige Bürohäuser wie der Spreespeicher oder das Cuvrycenter. Unter den Optimisten in der Wirtschaft gilt die Gegend als langfristig profitabel. Wenn diese Rechnung aufgeht, könnten, ähnlich dem Londoner Hafen, junge, moderne Yuppie-Unternehmer die Ruinen der Arbeiterklasse erobern - und vielleicht sogar den wirtschaftlichen Aufschwung der Ost-West-City herbeiführen.

Katharina Körting

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