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Berlin: Bibbern gehört zur Freizeit

Selbst bei nasskaltem Sauwetter wollen überzeugte Dauercamper nicht von ihrem Zweitwohnsitz lassen. Sie alle genießen das kleine Idyll, das nicht viel kostet, allerdings nur mit Mühe zu beheizen ist.

Wie ein weißer Vorhang liegt der Nebel über dem Krossinsee. Vom Ufer aus führt der Bootsanlegesteg in ein helles Nichts. Es ist Dezember, ein nasskalter Tag, an dem sich die Sonne nicht zeigt. Und doch ist der Campingplatz am Krossinsee nicht verlassen. Vereinzelt dringt aus den Wohnwagen Radiomusik, irgendwo zwischen den Bäumen mischt sich das Geräusch knackender Äste mit Stimmen. Gibt es tatsächlich Menschen, die im Winter freiwillig campen?

Gotthard Titze kniet in seinem Wohnwagen auf dem Boden, in der einen Hand ein Stück sandfarbenen Teppichboden, in der anderen ein Cuttermesser. Er hat sich den Wagen älteren Semesters gerade erst gekauft, will ihn jetzt herrichten. Nicht, um Urlaub darin zu machen – der Wohnwagen ist seine Zweitwohnung. „Meine Ex-Freundin lebt mit unserem Kind hier in der Nähe, meine Wohnung und die Arbeit sind aber in der Innenstadt“, erklärt der 49-Jährige, der eine Firma für Heizung und Sanitärtechnik betreibt. „Eine zweite Wohnung zu mieten, wäre viel zu teuer gewesen“, sagt Titze. Unter der Woche will er ab jetzt jeden zweiten Tag auf dem Campingplatz sein, seine siebenjährige Tochter zur Schule bringen. „Sie findet die Idee mit dem Wohnwagen total cool.“

Der Campingplatz Krossinsee liegt mitten in der Natur, in einem Waldgebiet bei Schmöckwitz. Der Platz liegt noch auf Berliner Terrain, der anliegende See gehört schon zu Brandenburg. Hohe Kiefern prägen das Bild, werfen Schatten, lassen kaum Pflanzen am Boden wachsen. Der See sorgt für feuchte Luft. Im Sommer ein Vorteil, bei winterlichen Temperaturen hingegen ungemütlich. Trotzdem ist es in Titzes Wohnwagen angenehm warm. „Ich habe eine Gasheizung hier drin. Leider zieht die Kälte von unten hoch, man bekommt schnell kalte Füße.“ Sonst habe er hier aber alles, was zu einer Wohnung gehöre, „nur eben zwei Nummern kleiner“. Eines Tages, so träumt er, soll der Wohnwagen sein Sommersitz in Italien werden.

Ein Dauerstellplatz kostet hier rund 900 Euro im Jahr, eine kostengünstige Alternative zu einer Wohnung, möchte man meinen. Melderechtlich ist es sogar erlaubt, seinen Erstwohnsitz auf einem Campingplatz einzurichten. In der Realität spielt das Baurecht dem aber entgegen. Denn für einen Wohnwagen, der zur feststehenden Wohnung wird – und damit zur Immobilie, bräuchte man eine Baugenehmigung. Dafür müsste aber erst der Bebauungsplan geändert werden. Ein Aufwand, den kaum ein Campingplatz auf sich nehmen will.

Nathan Schwandt zieht die Schultern hoch, bis sein Kinn hinter dem Kragen seines olivgrünen Parka verschwunden ist. Mit den Händen in den Jackentaschen ist er auf dem Weg von seinem Wohnwagen zur Campingplatzrezeption. Schwandt ist erst 24 Jahre alt – und doch hat er, für sein Alter ungewöhnlich, seit einem Jahr einen Dauerstellplatz. Vor vielen Freunden und auch vor seinem Chef hält er das geheim, will deshalb nur einen Namen nennen, der seinem eigentlichen ähnelt. Wie kommt ein junger Berliner zu einem Wohnwagenplatz am äußersten Stadtrand? „Eine spontane Schnapsidee. Ich war neugierig, wollte wissen, wie es ist.“

Im Sommer war Schwandt so oft wie möglich hier und auch jetzt, bei Höchsttemperaturen um fünf Grad, kommt er noch dreimal die Woche. Für rund 80 Euro im Monat ist sein kleines Reich in der Natur ein bezahlbares Hobby – wenn man nicht den Fehler macht, eine elektrische Heizung zu benutzen. „Bei 50 Cent pro Kilowattstunde kommt einiges zusammen. Der Wohnwagen braucht zwei Stunden, bis er warm ist.“

Das Wasser wird im Winter abgestellt, sonst besteht die Gefahr, dass die Leitungen bei Frost platzen. Um die Wassertanks im Wohnwagen neu zu befüllen, müssen die Wintercamper zum Sanitärhaus in der Mitte des Platzes laufen, durch die Kälte. Das sei wirklich furchtbar, findet Schwandt. Er mag die Natur, den umliegenden Wald, die Tiere darin. Doch nun wird die Zeit zu knapp, sich um den Wohnwagen Baujahr 1979 zu kümmern – nach eineinhalb Jahren wird er ihn verkaufen.

Daran denkt das Ehepaar Linke überhaupt nicht. Sie haben ihren Wohnwagen schon seit 13 Jahren am Krossinsee stehen. Beide sind Rentner, er 70, seine Frau 62 Jahre alt. Nach dem Sturm „Xaver“ sahen sie nach, ob alles heil geblieben war. Zum Glück war es das, stellten sie beruhigt fest. Alle zwei Wochen sieht Familie Linke in den Wintermonaten nach dem Rechten, über Nacht zu bleiben ist ihnen aber doch zu kalt: „Wir haben ja auch noch ein Zuhause.“ So sieht das auch Olaf Schmauch. Der 43-jährige BVG-Busfahrer harkt die Nadeln der Bäume von dem Stellplatz, in den er im Sommer jede freie Minute investiert. „Der Wagen muss regelmäßig gelüftet werden, sonst bekommt man Probleme mit der Feuchtigkeit“, sagt Schmauch. Die Feuchtigkeit – der große Feind der Wohnwagenbesitzer.

Mit den Nachbarn ist man per Du, grillt gemeinsam. Natürlich nicht mit allen – wie das überall so ist, meint Schmauch. Für ihn ist der kleine Garten, der zum Stellplatz gehört, der perfekte Ausgleich zu den Nachtschichten, in denen er im Bus durch Spandau fährt. Für seine Frau und die beiden Kinder ist der Campingplatz eine unbeschwerte Idylle – die aber will auch im Winter gepflegt werden.

Veronique Rüssau

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