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Berlin: Biker statt Bomber

Auf dem früheren russischen Flugplatz Groß Dölln dröhnen wieder Motoren. Jetzt trainieren dort Auto- und Motorradfahrer. Die Region profitiert davon.

Gross Dölln - September 1983: Auf der Landebahn des sowjetischen Fliegerhorsts Groß Dölln stehen mehrere Mig 21 des 787. Jagdfliegerregiments mit je zwei 500 Kilogramm schweren Atombomben zum Start bereit. Die Bomben sind scharf, die Welt scheint am Rande eines Atomkriegs zu stehen. Doch dem wachhabenden Offizier der Roten Armee, Stanislaw Petrow, im fernen Moskau ist es zu verdanken, dass die Atombomber am Boden bleiben. Es war ein Fehlalarm, produziert von einem neuen Frühwarnsystem der Roten Armee.

Heute ist der Ort in der Schorfheide südlich von Templin, wo Bundeskanzlerin Angela Merkel einst zur Schule ging, weit weg von derart weltbewegenden Ereignissen. Der ehemalige Militärflughafen nördlich des Dorfes, in dem etwa 320 Menschen leben, wurde 1994 von der Roten Armee endgültig aufgegeben. Wo noch in den späten achtziger Jahren tonnenweise Beton für die russische Raumfähre Buran verteilt wurde, befindet sich heute ein Unesco-Biosphärenreservat.

Zuletzt verschwanden die letzten Spuren der Kasernen unter den Baggern einer bayerischen Firma, die zwei Drittel des Geländes gekauft hat. Dort entsteht gerade ein riesiges Solarkraftwerk. Bis Ende September soll die Anlage mit einer Spitzenleistung von 128 Megawatt fertiggestellt werden. Landrat Dietmar Schulze freut sich über die neue Nutzung. Mit der Bebauung verschwindet nicht nur der Kerosinsee unter dem Gelände. Ein Müllentsorgungsunternehmer hatte in den Neunzigerjahren seinen Abfall dort abgelagert und verschwand eines Tages spurlos. „Durch die Ansiedlung der Solarfirma sind wir gleich zwei Probleme los. Das russische Kerosin war dabei noch das kleinere“, sagt Schulze.

Auf dem verbliebenen Drittel des ehemaligen Flughafens dröhnen wieder Motoren – von Autos und Motorrädern. Die weitläufigen Betonflächen werden von einem Fahrtrainingszentrum genutzt, wo Autokonzerne und andere Firmen sich einmieten. Auch die Bundespolizei ist regelmäßig zu Gast. Zwischen den beiden ehemaligen Start- und Landebahnen hat das „Driving Center“, das sein zehnjähriges Bestehen feierte, einen neuen Rundkurs gebaut. „16 der 36 Hangars des russischen Flughafens werden von uns noch genutzt“, sagt Betriebsleiterin Anja Urban. Aus den getarnten Unterständen wurden Büroräume, Veranstaltungsorte und Garagen.

Wirtschaftlich hat der Veranstaltungsort auf dem ehemaligen Flughafen in der Region eine gewisse Bedeutung erlangt. Das Catering-Unternehmen „Drivers Takeoff“ beispielsweise kümmert sich um die kulinarische Versorgung der Gäste auf dem Gelände, Handwerker und Unternehmer profitieren mit Aufträgen.

„Es sind nicht viele Arbeitsplätze, die dort entstehen. Aber in kleinen Schritten geht es voran“, sagt Landrat Schulze. Die Politik freut sich über jeden neuen Job. Die Arbeitslosenquote lag im Frühjahr noch bei 15,9 Prozent, im vergangenen Jahr war es mit 16,5 Prozent die höchste Marke aller Landkreise in Deutschland. Schulze sieht das Grundproblem allerdings woanders: „Zwei Drittel der Hartz- IV-Empfänger haben ein soziales Problem. Nach der Wende schafften sie nie den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt“, sagt der Landrat.

An diesen Zahlen kann auch das schicke Hotel Döllnsee-Schorfheide wenig ändern. Immerhin finden hier im Schnitt 60 Menschen eine Anstellung. Das Vier-Sterne-Hotel ist einer der herausragenden Hotelbetriebe in der Region. Von dem hohen Standard profitiert vor allem das „Driving Center“. „Rund die Hälfte unserer Gäste ist wegen der Fahrveranstaltungen in Groß Dölln bei uns zu Gast“, sagt Hoteldirektor Thomas Eick. Sonst wäre ein Vier-Sterne-Hotel in der Region wohl nur schwer zu betreiben.

Das Hauptgebäude, um das der Hotelkomplex mit 126 Zimmern, Wellnesslandschaft und Bootssteg am Döllner See entstanden ist, hat seine ganz eigene Geschichte. Der Nazi-Führer Hermann Göring ließ in der Schorfheide sein Schloss Carinhall errichten. Dieses wurde kurz vor Kriegsende von Angehörigen der Luftwaffe gesprengt. Nur ein paar Brocken des Fundaments, zwei ehemalige Bunker und das Haus seines Leibjägers Willi Schade blieben erhalten. Dieses Haus ist heute das Hauptgebäude des Hotels.

Zunächst nutzte es die DDR-Jugendorganisation FDJ, dann übernahm 1974 das Zentralkomitee der SED das Gebäude als Gästehaus. Staats- und Parteichef Leonid Breschnew oder Bundeskanzler Helmut Schmidt waren dort zu Gast. „Ab und zu haben wir Gäste, die sich gezielt auf historische Spurensuche begeben“, sagt Hotelchef Eick. „Aber die meisten sind wegen der Ruhe und Entspannung im Biosphärenreservat Schorfheide hier.“

Diese Art Entspannung suchen auch die Gäste der Berliner Stadtmission im Feriendorf Groß Väter See. Dort bekommt man vom Lärm des naheliegenden Fahrübungsgeländes zum Glück wenig mit. In 33 Unterkünften bietet das Gelände 240 Betten. Von Zeit zu Zeit mieten sich Hobbyrennfahrer ein, aber in der Regel machen hier Familien und Jugendgruppen Urlaub.

In Groß Dölln selbst wird der Besuch nicht immer gerne gesehen. Denn die Stadtmission schickt auch Gruppen mit schwer erziehbaren Jugendlichen in die Schorfheide. Das findet im benachbarten Dorf nicht jeder gut.

Dass die Bevölkerung im Landkreis wächst, hängt nicht etwa mit dem Zuzug stressgeplagter Großstädter aus Berlin zusammen. Dafür ist die Schorfheide etwas weit weg vom Speckgürtel der Hauptstadt. Die meisten neuen Gemeindemitglieder kommen aus dem rund 100 Kilometer entfernten Stettin. „Die polnischen Mitbürger sind hervorragend integriert“, sagt Dietmar Schulze. Der Landrat freut sich über den Zuzug aus dem Nachbarland. „Vielleicht entsteht hier etwas Ähnliches wie damals an der deutsch-französischen Grenze“, sagt er. Eine Aussöhnung durch gute Nachbarschaft.

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