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Ob Jugendliche einmal viel Geld verdienen, hängt auch von der sozialen Herkunft der Eltern ab.

© Branislav Novak/Getty/EyeEm

Bildungsgerechtigkeit: Wie Unternehmen Berliner Schüler unterstützen wollen

Berlin hat ein Problem: Der ökonomische Erfolg von Jugendlichen ist eng an die soziale Herkunft der Eltern geknüpft. Zwei Unternehmen versuchen zu helfen.

Von Laura Hofmann

Wer sich in Berlin auf die Suche nach der Bildungsgerechtigkeit macht, muss nach Wedding fahren. Dorthin, wo der Stadtteil im Norden der Innenstadt noch nicht gentrifiziert wurde. In einem Wohnhaus in der Prinzenallee Ecke Osloer Straße hat die Firma „Dialog macht Schule“ ihr Büro. Altbau, Dielen, Badewanne, Wohnküche. Dort, wo früher mal das Wohnzimmer gewesen sein könnte, ist heute ein Konferenzraum eingerichtet.

Hassan Asfour, 36, rotkariertes Hemd, wirkt gestresst. Seine Erklärung: Es sei Projektantragsphase, „da bin ich manchmal kein Mensch mehr“, sagt er. Asfour ist Mitgründer und Geschäftsführer des gemeinnützigen Unternehmens, einem Bildungs-Start-up, könnte man sagen.

Die Idee: Schüler in Brennpunktschulen für die Teilhabe an der Gesellschaft zu motivieren und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Dafür schickt Asfour Studenten als Dialogmoderatoren in den Unterricht, an neun Schulen in der Stadt arbeiten sie derzeit, unter anderem in Neukölln, Kreuzberg, Spandau und Wedding.

Eines der Ziele: die Bildungschancen der Schüler zu erhöhen. Firmengründer Asfour musste selbst erleben, dass Berliner mit Migrationshintergrund häufig größere Herausforderungen zu überwinden haben als ihre Klassenkameraden. „Hassan, Abitur ist sehr schwierig“, sagten seine Lehrer damals zu ihm. „Ich musste unglaublich hart kämpfen“, sagt er heute.

Gefahr für den Wohlstand

Bildungs-Barrieren sind dabei nicht nur ein Problem der einzelnen Betroffenen, sondern gefährden auch den Wohlstand der Volkswirtschaft im Ganzen. Forscher warnen davor bereits seit Langem. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung etwa kam 2009 zum Schluss, dass die Tatsache, dass in Deutschland etwa jeder fünfte Jugendliche eine nur unzureichende Bildung erhält, bis 2090 volkswirtschaftliche Kosten in Höhe von rund 2,8 Billionen Euro nach sich ziehe.

"Dialog macht Schule"-Mitgründer Hassan Asfour.
"Dialog macht Schule"-Mitgründer Hassan Asfour.

© promo

Auch die Berliner Wirtschaftsverbände haben das Problem längst erkannt. „Bildungsgerechtigkeit ist für die Wirtschaft ein absolutes Schlüsselthema“, sagt Constantin Terton, Bereichsleiter Fachkräfte bei der Berliner IHK. „In 12 Jahren rechnet die Berliner Wirtschaft mit einer Fachkräftelücke von über 230.000 Akademikern und beruflich Qualifizierten. Damit wird deutlich, dass es sich Berlin nicht mehr leisten kann, dass heute rund 10 Prozent der Schüler die Schulen ohne Abschluss verlassen und somit auch nicht die notwendige Ausbildungsreife für eine betriebliche Ausbildung erreicht haben.“

Dass sich an der Situation allerdings schnell etwas ändern wird, ist unwahrscheinlich. Denn der Bildungserfolg von Kindern hängt in Deutschland – da ist Berlin keine Ausnahme – stärker von ihrer sozialen Herkunft ab als in anderen europäischen Ländern.

Die Berliner Bildungsinstitutionen allerdings zementieren die bestehende soziale Durchlässigkeit. „Das Kernproblem ist eigentlich eine steigende Ungleichheit in der Gesellschaft“, sagt Marcel Helbig, der am Wissenschaftszentrum Berlin zu Bildung und sozialer Ungleichheit forscht. „Diese Ungleichheit insgesamt und der Rückzug des Sozialstaats führen dazu, dass manche Schulen fast alle armen Kinder bekommen.“

An den Brennpunktschulen besteht der Arbeitstag für die Lehrer häufig aus Dauerstress. Denn hier soll Schule das ausgleichen, was zu Hause versäumt wurde. Vorlesen etwa, sagt Helbig, wirkt sich stark darauf aus, ob ein Kind ein gutes Sprachgefühl entwickelt, leicht lesen und schreiben lernt. In einigen Stadtteilen Berlins können Kinder schon zu Schulbeginn erste geschriebene Sätze verstehen oder sie lernen es schnell. In anderen haben Kinder noch Probleme, sich sprachlich auszudrücken. „In der Einschulungsuntersuchung sehen wir schon massive Ungleichheiten bei der Sprachfähigkeit“, sagt Helbig. „Das ist nicht nur das Migrationsproblem, sondern das sind allgemeine Sprachprobleme.“ Auch in Hellersdorf, wo nur wenige Migranten leben, hätten 40 Prozent aller Kinder Sprachdefizite.

Personalnot an den Brennpunkten

Auch bei der IHK ist man überzeugt davon, dass noch viel mehr gemacht werden muss, um die Bildungschancen von Kindern aus ökonomisch schwachen Familien zu erhöhen. „Sowohl die frühkindliche Bildung als auch die Schulqualität muss noch deutlich stärker in den Fokus der politischen Entscheider rücken“, sagt IHK-Experte Constantin Terton.

Noch aber passiert wenig, wie ein Blick an die Brennpunktschulen der Stadt zeigt. Im Gegenteil: Der Lehrermangel ist an ihnen besonders groß. Deshalb arbeiten von den vielen Quereinsteigern, die Berlin angestellt hat, besonders viele in Wedding, Neukölln oder Hellersdorf. Ein Problem, warnt Helbig. „Im Schnitt sollten die Quereinsteiger weniger geeignet sein, guten Unterricht zu machen“, glaubt er.

Eine Ballung von Quereinsteigern in Brennpunkten liege aber nahe, weil es keinen Steuerungsmechanismus gibt. Was es bald wohl geben wird, sind 300 Euro mehr Geld für den Einsatz im Brennpunkt. „Symbolpolitik“, findet Helbig, ein „Zeichen für Wertschätzung“, nennt es Maja Lasic, die diese Zulage maßgeblich vorangetrieben hat. Die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus ist selbst über den Weddinger Brennpunkt in die Bildungspolitik gekommen.

Von 2009 bis 2011 hat die Biochemikerin als Fellow im ersten Jahrgang der Bildungsinitiative „Teach First“ an der damaligen Oberschule am Brunnenplatz Lehrer in den Naturwissenschaften unterstützt. „Diese Erfahrung prägt das Leben“, sagt Lasic. Gründer und Geschäftsführer von „Teach First“ ist Ulf Matysiak. Das gemeinnützige Unternehmen ist in Berlin gerade einen wichtigen Schritt gegangen: Seit dem laufenden Schuljahr wird der Einsatz der sogenannten Fellows an den Schulen im Brennpunkt von der Landesregierung bezahlt.

"Teach First"-Gründer Ulf Matysiak.
"Teach First"-Gründer Ulf Matysiak.

© promo

Zuvor hatten die Schulen die Zusatzkräfte individuell über das Bonusprogramm finanziert, das sie bekommen, wenn sie besonders viele lernmittelbefreite Schüler haben. Als Fellows werden die bei „Teach First“ angestellten Hochschulabsolventen bezeichnet, die nach ihrem Abschluss erstmal für zwei Jahre an Schulen in sozialräumlich schwierigen Lagen gehen und dort im Unterricht unterstützen, Projekte anschieben, Schüler begleiten.

Auf letzterem liegt jetzt auch der Fokus. Unter dem Projekttitel „Übergänge stärken“ konzentrieren sich die Fellows darauf, eine kleine Gruppe von Schülern beim Übergang von der Sekundarstufe eins in die weiterführende Schule oder in eine Ausbildung zu begleiten. „Die Zielschärfung ist wichtig“, sagt Matysiak. „Wir bekommen Geld vom Land Berlin, damit mehr Schüler den Abschluss schaffen und danach eine Anschlussmöglichkeit haben.“

Die Fellows sollen den Blick weiten: Um wen muss man sich in einer Klasse Sorgen machen, wer braucht spezielle Unterstützung? „Fellows sind eine Extraportion Zeit“, sagt Michaela Wintrich, verantwortlich für die Kommunikation bei „Teach First“. Zeit, die Lehrer meist nicht haben. Zeit, die es braucht, um den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abzukoppeln. Zeigen, dass Jugendliche in sozialen Brennpunkten erfolgreich sein können: Das ist das Ziel von „Teach First“. Dafür haben sie auch starke Partner. „Wir erleben Schulleiter und Lehrer, die nicht resigniert haben“, sagt Wintrich. Zurzeit sind die Fellows an 14 Schulen in Berlin im Einsatz. Und es gibt noch viel mehr Schulen, die Interesse haben.

Bessere Wirtschaftsbildung

Auch die Wirtschaft unterstützt Schüler bei der Bewältigung des Schulalltags. „Die Berliner Ausbildungsbetriebe handeln bereits“, sagt IHK-Experte Constantin Terton. „Sie bieten Lernschwächeren Angebote zur Nachhilfe im Betrieb an.“ Bei der Kammer ist man darüber hinaus überzeugt, dass im Berliner Schulcurriculum besser darauf hingearbeitet werden muss, Schülern – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft – eine bessere Partizipation am Wirtschaftsleben in der Stadt zu ermöglichen.

Seit zehn Jahren bietet die IHK deshalb das Programm „Ich mach mich selbstständig“ (IMMS) an, um Schüler für eine Karriere als selbstständiger Unternehmer zu begeistern: Junge Unternehmer gehen dazu regelmäßig an interessierten weiterführenden Schulen in den direkten Austausch mit den Jugendlichen. Mittlerweile engagieren sich rund 50 Berliner Unternehmer, die mit ihren Veranstaltungen jährlich mehr als 1000 Oberstufenschüler erreichen.

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