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Junge vor Tafel

© dpa

Bildungspolitik: Der frühe Englisch-Unterricht funktioniert nicht

Was bringt der frühe Englisch-Unterricht? Nicht viel, befürchten Experten und Politiker. Denn nur zwei Stunden in der Woche seien zu wenig.

Mit Berlins Fremdsprachenunterricht stimmt etwas nicht: Große Defizite beim Frühenglisch, aber auch Versäumnisse bei der Berücksichtigung von Muttersprachen wie Türkisch und Arabisch beschäftigten am Donnerstag den Schulausschuss des Abgeordnetenhauses. Jetzt werden Konsequenzen für die Stundentafel, aber auch für den Unterricht in den Grundschulen gefordert.

"Was in zwei Jahren gelernt wird, lässt sich in sechs Wochen nachholen"

„Die Kinder lernen in Klasse 3 und 4 so wenig, dass sich das innerhalb von sechs Wochen zu Beginn der Klasse 5 nachholen ließe“, lautet die wenig schmeichelhafte Bilanz des FU-Forschers Dieter Mindt. Die Schuld an seinem Befund gibt er den Schulbüchern: Sie hielten die Lehrer davon ab, „ernsthaft mit dem Englischunterricht zu beginnen“, weil sie sich auf den spielerischen Umgang mit der Sprache beschränkten. „Zwei Jahre werden fast vollständig verschenkt“, gab der Englischdidaktiker den Abgeordneten mit auf den Weg, die auf Antrag der CDU zu einer Anhörung über „Erfahrungen und Konsequenzen des frühen Fremdsprachenerwerbs“ eingeladen hatten.

Lieber 20 Minuten am Tag als nur zweimal pro Woche

Weniger drastisch, aber auch nicht positiv fiel die Stellungnahme von Daniela Caspari aus, die ebenfalls Fremdsprachendidaktik an der FU lehrt. Ihre Kritik richtet sich in erster Linie dagegen, dass die Lehrer nur zwei Stunden für das Frühenglisch in Klasse 3 und 4 zur Verfügung haben. „So kann das nicht funktionieren“, lautet ihre Einschätzung. Sie plädiert dafür, Englischstunden aus der fünften und sechsten Klasse abzuziehen und damit den Unterricht der Dritt- und Viertklässler zu stärken. Wenn es nur 90 Minuten pro Woche gebe, sei es besser, diese Zeit auf mehrere Tage zu verteilen und jeweils 20 Minuten einzustreuen, findet Caspari. Das sei möglich, wenn die Klassenlehrerin zugleich den Englischunterricht verantworte. Zudem bemängelt Caspari, dass die Lehrer in den fünften und sechsten Klassen zu wenig Gebrauch von dem machen, was die Kinder im Englischen mitbringen. Und das sei gar nicht so wenig, denn ihr Hörverständnis und ihre Phonetik seien besser als bei denen, die erst später mit der Fremdsprache beginnen.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) reagierte auf die Kritik mit dem Hinweis, dass bei der Qualifikation der Englischlehrer bereits nachgebessert worden sei. Hingegen gab Caspari zu bedenken, dass die letzte große Reform der Lehrerbildung dazu geführt habe, dass die Pflichtstunden für Englischlehrer zugunsten von Mathematik und Deutsch heruntergefahren wurden. Caspari, aber auch die CDU-Bildungspolitikerin Hildegard Bentele benannten noch einen weiteren Grund, sich mehr um das Thema zu kümmern: Viele Eltern wanderten wegen des dort verstärkten Englischunterricht zu freien Schulen ab.

Zweisprachige Alphabetisierung im Abseits

Die GEW-Vorsitzende Doreen Siebernik, die ebenfalls zur Anhörung geladen war, erweiterte die Diskussion, indem sie darauf hinwies, dass zu wenig getan werde, um die Herkunftssprachen der Kinder zu pflegen, was die Opposition unterstützte. Selbst die zweisprachige deutsch-türkische Alphabetisierung dümpelt vor sich hin: 13 von 19 Schulen haben sie bereits aufgegeben, weil mangels entsprechender Studiengänge passende Lehrkräfte, aber auch Materialien fehlen. Erschwert wird die Entwicklung auch durch die überproportionale Bildungsferne im Umfeld der Brennpunktschulen, die das Angebot unterbreiten. Angesichts von sieben, acht oder noch mehr Muttersprachen in vielen Klassen bezweifelte der Abgeordnete Lars Oberg (SPD) allerdings, dass die zweisprachige Alphabetisierung in der Breite umgesetzt werden könnte.

Türkisch wird an der Europaschule ab Klasse 1 bilingual angeboten und zudem an einigen Sekundarschulen und Gymnasien als zweite Fremdsprache. Dennoch habe die Deutsch-Türkische Industrie-und Handelskammer jüngst bedauert, dass es schwierig sei, in Berlin einen Schulabsolventen zu finden, der in der Lage sei, einen fehlerfreien Geschäftsbrief auf Türkisch zu verfassen, berichtete Stefanie Remlinger von den Grünen.

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