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Berlin: Bildungssenator Böger stellt Kindeswohl vor Elternrecht

Schuleingangsuntersuchung soll um ein halbes Jahr vorgezogen werden. Parteien diskutieren über besseren Schutz vor Misshandlung

Die in den letzten Wochen bekannt gewordenen Fälle von Kindervernachlässigung, Verwahrlosung und Misshandlung haben die Politik aufgerüttelt: Immer lauter wird über die Pflicht zu Vorsorgeuntersuchungen nachgedacht. Das Kindeswohl müsse besser geschützt werden, sagt Jugendsenator Klaus Böger (SPD): „Jede verpflichtende Untersuchung halte ich daher für eine Verbesserung des Status quo.“ Aus diesem Grund wolle er die Untersuchung vor der Einschulung vorziehen. Künftig soll dieser obligatorische Gesundheitscheck bereits mehr als ein Jahr vor der Einschulung stattfinden – bisher liegt der Termin rund ein halbes Jahr vor Schulbeginn. Die von den Krankenkassen angebotenen Vorsorgeuntersuchungen U 1 bis U 9 für jüngere Kinder sind dagegen lediglich freiwillig. „Es geht um besseren Schutz der Schwächsten“, sagt Böger. Kindeswohl gehe dann vor Elternrecht. Aus diesem Grund sei es falsch, von Verschärfungen zu reden. Für die Umsetzung sei man in konstruktiven Gesprächen mit der Gesundheitsverwaltung.

Gesundheitssenatorin Heidi Knake- Werner (PDS) hält daran fest, dass lediglich die Schuleingangsuntersuchung mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen ist; weitergehende Pflichtuntersuchungen jedoch nicht. Deswegen sei es wichtiger, dass Menschen, die mit Kindern arbeiten, besser geschult werden, um Tendenzen zu Vernachlässigung oder Misshandlungen frühzeitig zu erkennen, sagt Sprecherin Roswitha Steinbrenner.

Die CDU aber hat erneut einen Antrag im Abgeordnetenhaus eingebracht, mit dem sie die Einführung von verbindlichen Vorsorgeuntersuchungen fordert. Eine erste, im vergangenen Herbst eingereichte Vorlage war vor zwei Monaten mit den Stimmen von SPD und PDS abgelehnt worden. „Die verfassungsrechtlichen Bedenken halten wir aus“, sagt CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer. Zu diesem Thema erwartet die CDU-Fraktion Anfang des Jahres ein Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes.

Auch die SPD-Fraktion will prüfen, wie sie bessere Prävention schaffen kann. Sie will allerdings nicht so weit gehen wie die CDU. Bei den Sozialdemokraten möchte man eine verpflichtende Untersuchung bei Kindern zwischen zwei und vier Jahren. Eine Arbeitsgruppe solle prüfen, wie rechtliche Bedenken ausgeräumt werden können, sagt der jugendpolitische Sprecher, Karlheinz Nolte.

Auch der bundesweite Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte spricht sich für die Pflicht zu Vorsorgeuntersuchungen aus. Diese sollten bereits mit der Schwangerschaft beginnen. „Viele Kinder werden bereits im Mutterleib misshandelt und vernachlässigt“, sagt Verbandspräsident Wolfram Hartmann. Deswegen müsse ein Netzwerk zur frühzeitigen Betreuung entwickelt werden. Er plädiert dafür, die Zahlungen des Kindergeldes daran zu koppeln, ob Eltern dann auch Hilfsangebote annehmen.

In Berlin nehmen laut Gesundheitsverwaltung die Eltern die drei Vorsorgeuntersuchungen in den ersten Lebenswochen ihrer Kinder zu 98 bis 99 Prozent wahr, danach lässt die Beteiligung nach. Zur U 9 im Alter von fünf Jahren kommen noch 80 Prozent.

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