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© Janina Guthke

Bildungsstreik: Problemsolving für die deutschen Unis

Ein echter Bachelor über die Bildungsmisere: Der ehemalige Cambridge-Student Stephen Bench-Capon wirft einen ironischen Blick auf die deutschen Studentenproteste.

Diesen Sommer schloss ich mein Bachelor-Studium in Cambridge ab. Während in England die meisten Studenten trotz Studiengebühren, Bachelor und Master gestresst, aber zufrieden sind, gibt es in Berlin jede Menge Proteste. Das hat mich verwirrt. Um mir also über die zahlreichen Probleme an den deutschen Universitäten Klarheit zu verschaffen, habe ich mir die Forderungen, die ich am Dienstag hörte, einzeln vorgeknöpft.

„Die Hörsäle sind überfüllt“

Entweder sind also die Hörsäle zu klein oder die Studenten zu viele. Die Studentenzahlen ließen sich locker reduzieren, indem man den Zugang zum Studium schwieriger macht. Cambridge hat nicht nur einen Numerus Clausus von 1,0, sondern auch ein weiteres Auswahlverfahren mit Interviews, bei dem rund 25 Prozent der Bewerber Erfolg haben. Wenige kommen durch und man hat reichlich Platz im Hörsaal. Es klingt perfekt, aber das gefällt den Berlinern scheinbar nicht.

„Gegen das selektive Bildungssystem“

Denn es liegt den deutschen Studenten am Herzen, dass alle alles machen dürfen, was sie wollen, egal wie geeignet sie dafür sind, oder wie viele andere das schon besser machen. Freiheit halt. Das Freiheitsprinzip ist auch gerecht. Wenn ich Gitarre spielen möchte, kaufe ich mir eine und nehme Unterricht. Wenn ich lieber einen Cheeseburger will, gehe ich zu Mc Donalds, egal wie viele andere schon da mit mehr Fleiß und Engagement essen. Also gut. Das Studium ist im Endeffekt eine Dienstleistung wie alle anderen und jeder soll sich aussuchen können, was er mit dem eigenen Geld macht - sofern es Studiengebühren gibt.

„Bildung für alle – und zwar umsonst“

Studiengebühren sind in der Tat unfair, solange die Forderung „Reiche Eltern für alle“ nicht wahr wird. Ich finde es aber auch verständlich, dass, wenn die Gesellschaft zahlt, sie auch ein gewisses Sagen hat, was am Ende herauskommt. Es wäre nicht besonders fair, wenn die Gesellschaft hauptsächlich Physiker und Ingenieure bräuchte, aber Millionfach für 10-semestrige Töpferstudiengänge zahlen müsste, bloß weil sich die Studenten so entscheiden. Das würde vielleicht noch gehen, wenn die Studiengänge strukturierter und innerhalb eines bestimmten Zeitraums abzuschließen wären. Der oft kritisierte Bachelor dauert zum Beispiel in der Regel nur drei Jahre.

„Im Bachelor wird den Studenten zu viel vorgeschrieben“

Vom Bachelor will man aber nichts hören, denn es heißt, der deutsche Student habe seine Selbstständigkeit eingebüßt, weil er weniger Auswahl bei den Modulen habe. In England ist die so genannte Verschulung weiter verbreitet als in Deutschland, aber nicht viele regen sich darüber auf, dass sie russische Geschichte nicht mit Astrophysik kombinieren dürfen. Die Mehrheit sieht die Vernunft in einem System, das ein bisschen Spielraum erlaubt, dennoch ein halbwegs ausgeglichenes Grundstudium garantiert. Es vereinfacht auch die Jobsuche, wenn Arbeitgeber eine gewisse Ahnung haben, was ein Uni-Absolvent aus einer bestimmten Fachrichtung kann und was nicht.

„Die Universitäten werden zum Ausbildungsbetrieb“

Die Jobsuche ist den Studenten jedoch egal. Die deutschen Hochschulen seien zu „Fabriken für Arbeitspotenzial“ geworden, wobei der eigentliche Sinn des Studiums, den Geist entfalten zu lassen, verloren gehe. Ich hätte aber gedacht, dass die Absolventen sich freuen müssten, wenn sie nicht mehr dazu gezwungen werden das Studium in die Länge zu ziehen, bloß um den bösen Tag der Arbeitslosigkeit zu verschieben. Es darf nicht verkehrt sein, dass man nach dem Studium arbeitsfähig ist. Aber gut. Sie sind nach dem Studium nicht komplett grün, weil sie immerhin bereits etwas vom Wettbewerb in der realen Welt erlebt haben.

„Zu viel Konkurrenz und Leistungsdruck“

Doch ich vertue mich wieder. Die Studierenden wollen keine Konkurrenz an ihren Unis. Sie wollen friedlich miteinander studieren und nicht, dass alle um die besten Prüfungsnoten kämpfen. Das verstehe ich. Es klingt gut, wenn man sich auf die eigene geistige Entwicklung konzentrieren kann, statt auf die Kommilitonen fixiert zu sein. Und es soll nicht zu einer Absackung der Kollektivleistung führen, weil ja denjenigen, die weiter studieren möchten, die Noten sowieso nicht gleichgültig sein werden. Oder doch?

„Master für Alle“

Es wird auch gefordert, dass jeder das Studium unabhängig von Note oder Können weiterführen darf. Wer sich also durch sein Philosophie-Studium mit einem Schnitt von 3,7 geschleppt hat, dem soll zwei weitere Jahre gegönnt werden, ehe er die Außenwelt betritt. Dann muss er nicht nur mit tausenden Ex-Studenten mit besseren Abschlüssen konkurrieren, sondern dazu mit anderen Jugendlichen, die eine vernünftige praktische Ausbildung haben. Es wäre nicht so schwierig, wenn alle Studierende garantiert mehr im Studium lernten. Eine Anwesenheitspflicht könnte den weniger Begabten dabei helfen.

„Keine Zeit für kritisches Nachdenken“

Das geht aber auch nicht. Laut einem Plakat von der Demo: „Anwesenheit 100%. Gelernt 7%. Reflektiert 0%“ sehen die Berliner Studenten keine Vereinbarkeit zwischen dem Besuch von Vorlesungen und dem Lernen. Die Frage besteht, was sie in den Vorlesungen machen, wenn sie nicht zuhören und über die Inhalte nachdenken. Klar – sie gucken aus dem Fenster, sie schlafen, oder wenn sie höchstkonzentrierte Menschen sind, spielen sie auf dem Handy. Eine Anwesenheitspflicht ist in der Tat unsinnig, denn sie prüft nicht ob man lernt, und eine Geistesanwesenheitspflicht lässt sich schwer durchsetzen. Reflektionsmöglichkeiten werden aber jedem gratis angeboten – ob sie wahrgenommen werden gehört halt zur möglichst großen individuellen Freiheit, die sich alle wünschen. Die FDP wäre begeistert.

„Bildung statt Banken“

Die FDP war aber bei der Demo nicht dabei. Stattdessen nahmen Mitglieder der Linken, der MLPD und anderer Parteien teil, die sich laut für Umverteilung des Geldes durch Besteuerung der Reichen aussprechen. Das Hauptproblem an den Berliner Hochschulen sei das fehlende Geld. Deswegen gebe es zu wenig Dozenten, deswegen seien die Lehrräume schmutzig und deswegen seien eigentlich alle unzufrieden. Es wäre nur schön, wenn solche Kritiker mehr als protestieren könnten, wenn sie die Gelegenheit hätten, irgendwie ihre Wünsche durchzusetzen, wenn vielleicht die Linken im Berliner Landesparlament regierten und etwas ändern könnten. Moment mal. Da sind sie doch.

Entschuldigung. Meine Analyse ist irgendwie gescheitert. Ich habe wohl tatsächlich nichts beim Bachelor gelernt, denn meine Logik kann offenbar die Probleme des deutschen Bildungsstreiks nicht lösen. Sorry.

Stephen Bench-Capon

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