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Berlin: Bio-Boom ruiniert Bio-Pioniere

Europas ältester Naturkostladen muss schließen. Das Schöneberger Geschäft kommt gegen die Konkurrenz der Supermärkte nicht an

Ende Juni ist Schluss. Im Schaufenster weisen große Plakate auf den Ausverkauf hin. 20 Prozent auf alle Waren, außer Frischwaren. Der älteste Bioladen Europas muss seine Pforten schließen. „Uns ist finanziell die Luft ausgegangen. Es tut weh, alles aufzugeben“, sagen Florence Spitz und Ronald Brauer, Inhaber des „Lebensbaum Naturwaren Ladens“ in der Winterfeldtstraße in Schöneberg. Alle zwölf Mitarbeiter wurden vor sechs Monaten entlassen, seither bewirtschaften beide den 200-Quadratmeter-Laden allein. Der Geschäft ist ausgerechnet ein Opfer der Nachfrage von immer mehr Kunden nach ökologischen Lebensmitteln. „Seit dem Bio-Boom bleiben die Kunden weg“, sagt Ronald Brauer. Den Umsatzrückgang von 75 Prozent führen die beiden Besitzer auf die Eröffnung eines großen Bio-Supermarktes in der unmittelbaren Nähe zurück. „Die marktbeherrschende Stellung der Bio-Ketten lässt einem keine Chance“, sagt die 55-jährige Besitzerin.

Doch der anhaltende Bio-Boom begründet sich nicht nur auf einer fachkundigen Beratung, mit der sich Bioläden schon früh profilierten. Mehr und mehr tritt das Kundenbedürfnis nach Auswahl auch in den Vordergrund. Neue Bio-Supermärkte bieten eine große Auswahl auch an Bio-Fleisch. Doch der „Lebensbaum Naturwaren Laden“ folgte diesem Trend nicht. „Als Vegetarier haben wir es nie in Erwägung gezogen, auch Bio-Fleisch bei uns im Laden anzubieten“, sagt Florence Spitz.

Der erste Bioladen wurde 1971 in der Schöneberger Pallasstraße gegründet und gilt als erster europaweit. Bio war damals noch ein Lebensstil: Mitte der Siebzigerjahre wurde der Laden von der Yoga-Organisation Ananda Marga unter dem Namen „Peace Food“ betrieben. Die Lehre der 1955 in Indien gegründeten Yoga-Organisation basiert im Wesentlichen auf dem Tantra und Ashtanga-Yoga. Die Ananda Margis ernähren sich „sattvisch“, sie leben vegetarisch und verzichten auf Eier, Pilze, Lauchgewächse wie Knoblauch und Zwiebeln sowie sämtliche Drogen. Und so umfasste das Angebot von „Peace Food“ damals vorwiegend Körner, aber auch Trockenfrüchte und ein paar makrobiotische Spezialitäten. Räucherstäbchen, Umweltpapier und Kerzen erweiterten das Sortiment. Florence Spitz übernahm 1989 den Bioladen. Ende der Achtzigerjahre firmierte der Laden damals schon unter anderem Namen: „Lebensbaum Naturkost Laden“. Das damalige Warensortiment wurde um Naturwaren wie Bio-Kosmetik und ökologische Reinigungsmittel erweitert.

Im Jahr 2000 wollte man expandieren und zog innerhalb Schönebergs von der Pallasstraße in die Winterfeldtstraße. „Die Kunden kamen einfach mit, und wir haben viele neue Kunden, insbesondere auch ältere aus der Nachbarschaft, gewinnen können“, erzählt Florence Spitz. Bioprodukte wurden mehr und mehr populär. „Der Umzug war eine richtige Entscheidung damals. Zusätzlich war 2001 für uns ein sehr gutes Jahr, denn auch die BSE-Krise brachte uns viele neue Kunden“, sagt Florence Spitz. Zu Stoßzeiten standen die Kunden Schlange, und zeitweise mussten zwei Kassen geöffnet werden. Doch seit 2004 waren die Umsatzzahlen rückläufig. Den ansteigenden Bio-Boom konnten die Besitzer nicht für sich nutzen. Die Erweiterung um Naturwaren brachte nicht den gewünschten Erfolg und wurde wieder reduziert. Die Abwärtsspirale begann: Man reduzierte das Warensortiment, die Kunden hatten weniger Auswahl und wichen auf die großen Bio-Supermärkte aus, wo sie alles in einem Laden fanden.

Das Ziel: die Bevölkerung auf ökologisch angebaute Lebensmittel aufmerksam zu machen, ist geglückt. Nicht zuletzt die Lebensmittelskandale der letzten Jahre haben dieser Branche Auftrieb gegeben. Bio ist populär, aber das alternative Lebensgefühl der Anfänge verbindet man immer weniger damit.

Thorsten Sperlich

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