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Berlin: Birgit Przygodda (Geb. 1960)

Nur einmal hat Joschka Fischer die falsche Frage gestellt.

Wenn sie den Eindruck hatte, dass ihr jemand zu nah kam, sagte sie: „Das ist privat“. Was privat war und was nicht, das definierte sie anders als viele andere. Aber ihr Leben war ja auch ganz anders.

Ein Foto zeigt sie mit Freundinnen auf dem Bundespresseball an einem Tisch sitzend. Die Bluse in kräftigem Grün, rotbrauner Kurzhaarschnitt, ein offenes Lächeln. Strahlend. Stark. Was auf dem Foto nicht zu sehen ist: der Rollstuhl, in dem Birgit Przygodda saß.

Man kann sich ihr nähern – über ihren Beruf. Da gibt es viel zu sagen. Sie war Fernsehjournalistin bei der Deutschen Welle, zuerst in Bonn, später in Berlin. Ihr Fachgebiet: die Grünen. Als die 1998 an die Regierung kamen, wurde ihr Leben turbulenter. Termine, Interviews, Auslandsreisen mit dem Außenminister Joschka Fischer. Das Auswärtige Amt organisierte alles perfekt, der Rollstuhl war keine Behinderung. Natürlich kam sie mal nicht so schnell vorwärts wie die anderen Journalisten. Aber da musste das Flugzeug eben warten. Als Fischer spontan einen Zwischenstopp in Libyen einlegte, um sich mit Gaddafis Sohn zu treffen, fuhr Birgit Przygodda kurzerhand in dessen Privatlimousine mit.

Zu Joschka Fischer hatte sie einen guten Draht, was man nicht von vielen Journalisten behaupten kann. Sie behandelte er gut; auf ihn ließ sie nichts kommen. Nur einmal hat er die falsche Frage gestellt: „Warum sitzen Sie eigentlich im Rollstuhl, war das ein Unfall?“

Da wurde sie scharf. „Nein“, sagte sie. Mehr nicht.

Kollegen und Bekannte wussten, dass man Birgit Przygodda solche Fragen nicht stellte. Den Grund ihrer Behinderung kannten nur wenige, und die bewahrten absolutes Stillschweigen. So absolut, dass zwei ihrer engsten Freundinnen den Grund irgendwann einfach vergaßen.

Wie nah man ihr wirklich kommen konnte, ist nicht zu sagen. Es gab die Liebe in Birgit Przygoddas Leben. Nur so viel.

Kämpfen konnte sie, das wusste jeder. Sie stand auf, für das, was sie richtig und wichtig fand. So hätte sie es sicher auch selbst formuliert. Sie dachte gar nicht daran, ihren Sprachgebrauch der Behinderung anzupassen. „Was hast du denn gemacht, als der S-Bahn-Aufzug nicht funktioniert hat?“ – „Ich bin zur nächsten Station gelaufen!“

Als sie nach Berlin zog, wollte sie einen Behindertenparkplatz vor ihrem Haus beantragen. In der Behörde, die dafür zuständig war, gab es nur Treppen und keine Rollstuhlrampen. Sie bestand darauf, dass ein Mitarbeiter zu ihr auf die Straße kam, um das Formular auszufüllen. Der bekam ihre ganze Empörung ab. Sie musste ihrem Ärger sofort Luft machen, danach war alles wieder gut.

Gegen eine Versetzung bei der Deutschen Welle ging sie durch alle Instanzen. Ohne Erfolg. Aber aufgegeben hätte sie nie. Auch nicht, als sie schwer krank wurde. Sie verschwand für ein paar Wochen, die Kollegen wussten nicht, warum. Eine OP. Ein bisschen Nachsorge. Dann kam sie wieder zur Arbeit. Sah schlecht aus. „Wie geht es dir?“ – „Besser.“

Sie hielt zwei Wochen durch, dann musste sie wieder ins Krankenhaus. Gab sich stark, wie immer. Wollte wissen, wie es den anderen ging. Sprach von dieser Therapie und jener. Hatte Hoffnung.

Natürlich muss sie irgendwann geahnt haben, dass sie diesen Kampf verlieren würde. Gesprochen hat sie darüber nicht. Wenige Stunden vor ihrem Tod schickte sie ihre Schwester nach Hause. Sterben ist etwas sehr Privates. Sandra Stalinski

Sandra Stalinski

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