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Berlin: Birnen, Bohnen, Deutschleder

Der Designer Frank Leder spielt mit deutscher Geschichte und Kultur. Jetzt öffnet er sein Berliner Atelier geöffnet.

In einer großen alten Vitrine mit hölzernem Rahmen bauscht sich Pferdehaar wie eine dunkle Wolke, als wolle es aus der Vitrine kriechen. Die Installation ist der Abneigung gegen Daunen geschuldet. Stattdessen füttert Frank Leder seine Winterjacken mit dem krausen Haar. Bei einem schwarzen Blouson aus grob gewebtem Wollstoff wird es in einem Beutel mitgeliefert, damit man ihn sich je nach Wärmebedürfnis ausstopfen kann. Dafür ist der Stoff der Jacke doppelt gelegt und am Kragen mit einer Knopfreihe geschlossen.

Es ist neu, dass man sich die Welt von Frank Leder so genau anschauen und seine Kleider kaufen kann. In Deutschland gibt es keinen einzigen Laden, der Frank Leders Mode anbietet, weltweit sind es rund 80. Dabei arbeitet der Designer schon seit 2002 in Berlin, vor zehn Jahren war er einer der Ersten, die ihren Ruf aus der Stadt heraus in die Welt trugen. In Frank Leders Fall von Anfang an nach Japan – dort kommt sein herber, manchmal fast karger deutscher Stil besonders gut an.

In einer schönen Charlottenburger Altbauwohnung arbeitet Frank Leder seit sechs Jahren, aber als seine Frau ein Kind bekam, zog die Familie nach Prenzlauer Berg, um ein wenig Abstand zwischen sich und die Arbeit zu legen. Nun hat er zwei Räume hergerichtet, in denen er seine Kleider zeigt und verkauft und natürlich auch etwas von seiner Welt preisgibt. Das Schild, das er unten angeschraubt hat, könnte schlichter kaum sein: „2. Stock“ steht darauf.

Durch Einmachgläser bricht sich die Sonne

Oben an seiner Haustür ist noch ein Schild befestigt: „Frank Leder, Expeditionen, Seilschaften, Gratwanderungen, Abstiege“. Das passt alles sehr schön zu einem, der sich nicht um die gängigen Regeln der Mode schert. Wer erwartet schon im Berliner Zimmer einen Tisch, auf dem sich Gläser mit eingeweckten Erdbeeren, Birnen und Bohnen türmen. Eingelegt wurden sie vor mehr als 50 Jahren. Frank Leder hat sie einem Antiquitätenhändler in Leipzig abgekauft, der sie in einem Keller entdeckte.

Er hat sich fest vorgenommen, mal ein paar Quitten zu probieren, aber eigentlich sind die Gläser für etwas anderes gut. Einige hat er so aufeinandergestellt, dass sich morgens Sonne darin bricht wie in einem Kirchenfenster.

Material geht Frank Leder über alles. Er betreibt kein Mimikry und benutzt keine Stoffe, die schwer aussehen, aber leicht und modern sind. Deutschleder, dicker Filz, Loden aus dem bayerischen Wald, der 140 Gramm pro Meter wiegt und, zu einem steifen Mantel verarbeitet, keinen Windstoß durchlässt. „Den kann man sogar hinstellen“, sagt er fast ein wenig stolz.

Einen Schneidergesellen auf der Walz nahm Frank Leder auf

Die Geschichten, die er braucht, um seine Männermode zu entwerfen, haben immer etwas mit der deutschen Kultur oder Geschichte zu tun – und nie mit der lieblichen Seite. Derbe Figuren wie Schlachter, Bergarbeiter oder der Kartoffel essende Kleinbürger, Burschenschaften in vollem Wichs und Kriegsgefangene kommen als Figuren vor. Manchmal ist auch Frank Leder selbst Teil von ihnen als Turner am Reck, gekleidet wie Turnvater Jahn, oder als Zimmerergeselle auf der Walz. Auf einem Foto steht er auf einem Feldweg, als mache er sich gerade auf den Weg zu einem Meister, der ihn zur Arbeit ruft. Als sich ein wandernder Herrenschneider vorstellte, der bei ihm Station machen wollte, nahm er ihn sofort auf. Mit ihm entwickelte er Anzüge, die auf Maß gefertigt werden und etwas vom alten Schneiderhandwerk spiegeln sollen, Prototypen aus Nessel hängen an einem Messinghaken.

Merkwürdig sind die Bilder immer, die Frank Leder zu seinen Kollektionen macht. Die Männer, nie einfach nur glatte Models, sind nie Parodie, auch wenn ihre Mimik oft wie für ein Standbild eines altmodischen Films eingefroren scheint. Und doch wirken sie wie aus der Zeit gefallen.

Füllmenge. Mit Pferdehaar statt Daunen wird eine Jacke schön warm.
Füllmenge. Mit Pferdehaar statt Daunen wird eine Jacke schön warm.

© promo

Mit einem Freund wanderte er zur Arche Noah

Ein wenig so verhält es sich auch mit der Kleidung von Frank Leder. Als Futter eines Mantel dient Rosshaar – der steife Stoff kommt eigentlich als Einlage in die Innenseite eines Sakkos und ist dort unsichtbar. An einer Weste lässt sich die Knopfleiste abknöpfen, so dass man sie auf beiden Seiten tragen kann. Ein Pullover aus dickem, grauem Garn mit einem dicht gestrickten Patentmuster ist auf links gedreht, so dass er aussieht wie eine Ritterrüstung. Die Designerin Isolde Richly entwirft für Frank Leder die Zweitlinie „Harvested“ , darunter einen Mantel mit Taschen, die sich ein wenig nach außen beulen, oder einen mit doppeltem Revers, die Kleidungsstücke ergänzen sich, ebenso wie die Arbeitsweise der beiden: „Zusammen arbeitet es sich halt besser als alleine“, sagt Frank Leder.

Der gebürtige Nürnberger strahlt eine fränkische Freundlichkeit aus, die wohl daher rührt, dass er sich in seiner Welt so sicher fühlt. Nicht, dass er sich darin zu sehr einrichten würde, er traut sich immer wieder in die Welt hinaus. Mit einem Freund wanderte er dahin, wo die Arche Noah gestrandet sein soll – im Araratgebirge im armenischen Hochland. Gefunden haben sie das Schiff zwar nicht, aber sie sind bis zum Gipfel des großen Ararat geklettert.

Der Spind gehört zur Kollektion Colditz von Frank Leder.
Der Spind gehört zur Kollektion Colditz von Frank Leder.

© promo

Aus solchen Ausflügen nimmt Frank Leder Ideen für seine Entwürfe wie für diesen Winter das Schloss Colditz in der Nähe von Leipzig, ein Gefangenenlager für Offiziere, in dem während des Zweiten Weltkriegs Franzosen, Briten, Belgier und Kanadier interniert waren. Immer wieder flüchteten Gefangene in dieser Zeit aus dem Gefängnis, obwohl es als ausbruchssicher galt. Daraus machte das britische Fernsehen vor einigen Jahren eine populäre Serie. Auch Frank Leder kann sich für das Abenteuerliche an dieser Geschichte begeistern.

Von einem Tischler ließ er einen Spind aus Nussholz in Originalmaßen bauen. Darin stehen klobige Lederstiefel, eine Waschschüssel mit Handtüchern, liegt Seife, hängen Hemden und Jacken aus ebenjener Colditz-Kollektion, und innen an der Tür kleben kolorierte Postkarten des Schlosses.

Komplett ausgestattet würde er die Spinde gern anbieten. Ob sie jemand kauft, hält er selbst für ungewiss, immerhin würden sie um die 20 000 Euro kosten. Aber die Idee ist einfach zu gut, um sie nicht auszuführen.

Das Atelier von Frank Leder ist in der Kantstr. 139 in Charlottenburg im 2. Stock. Geöffnet Di–Fr 12–19 Uhr.

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