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31.10.2011: Kapitalismusgegner haben ein Protestcamp vor der Parochialkirche in Berlin errichtet, die Zelte stehen vor der Kirche. Der Pfarrer soll das vorübergehende Camp mit rund 50 Teilnehmern erlaubt haben.

© dpa

Bitte stören!: Occupy-Camper sitzen ums knisternde Feuer

Ein Camp-Versuch vor dem Reichstag schlug fehl, der Kirchhof der Parochialkirche bot den Occupy-Aktivisten Asyl. Doch was fordern die Protestler? Und wie ist die Stimmung im Camp?

Bunte Fahnen baumeln vom Aktionszelt, das Feuer knistert und aufgespannte Regenschirme und Campingstühle schmücken neuerdings den Kirchhof der Parochialkirche in der Klosterstraße. Rund 20 Occupy-Aktivisten campieren hier seit einer Woche in 18 Zelten, St. Petri-St.Marien hat den Occupy-Anhängern nun für weitere drei Wochen Kirchenasyl gewährt, dann soll ein neues Quartier bezogen werden. Versorgen würden sich die Camper selbst, sagt Aktivist Kaan, der sich mit zwei weiteren Campern am Lagerfeuer wärmt. Doch auch Spenden erhalten sie, selbstgebackene Muffins etwa, die ihnen die Berliner vorbeibringen. Überhaupt, das Bürgerinteresse ist groß, berichtet Kaans Zeltnachbar.

Auf die Frage, wie er sich tagsüber die Zeit vertreibe, antwortet er: „Wir diskutieren im Aktionszelt, nachmittags bei der Asamblea vor dem Reichstag.“ Asamblea nennen die Occupy-Aktivisten nach griechischem Vorbild ihre Vollversammlung, bei der jeder zu Wort kommt. Alles ist dezentral organisiert, Diversität ist Prinzip. Die Slogans und Banner der Camper von „Occupy Berlin“ fordern direkte Demokratie und Umsetzung der Menschenrechte, eine gerechte Verteilung und Entmachtung der Banken. „Leichtgläubig“, „Betrüger!“ und „Mehr Netto vom Brutto“ heißt es da. Berlins Schuldenberg spielt für die Camper jedoch eine untergeordnete Rolle, sie wollen das globale Bewusstsein stärken und engagieren sich über den Camping-Protest hinaus auch online in sogenannten „Pads“, Diskussionsforen im Wiki-Stil. Dass die Occupy-Bewegung vor allem von der „Generation Internet“ getragen wird, beobachtet auch Bruck Kimmel. Der Journalist verliest an Berlins viertem Protest-Wochenende vor dem Brandenburger Tor programmatische Forderungen nach Krisen-Neuwahlen und einer neuen Verfassung.

Vom tagespolitischen Geschehen zeigen sich die Camper vor der Parochialkirche unbeeindruckt: „Der G20-Gipfel ist ein Brotkrumen“, sagt ein Camper mit Rastazöpfen und erklärt als nächstes den Gini-Koeffizienten, der die weltweite Kapitalverteilung angibt: „Der beträgt 0,9. 1 bedeutet: Einer besitzt alles.“ Ohne Zweifel: Die Occupy-Bewegung, der oft ein Mangel an Zielgerichtetheit vorgeworfen wird, besteht aus hochgebildeten, jungen Aktivisten, die in erster Linie ihre Unzufriedenheit über die bestehenden Strukturen ausdrücken wollen. Dabei verfolgt jeder andere Interessen: Camper Julian interessiert vor allem die Frage, wie man in einem Camp selbstbestimmt zusammen leben kann. Das jüngste Politik- und Wirtschaftsgeschehen hält er für „eine Blase, die bald platzt“. Größten Wert legen die Aktivisten im Gespräch auf ihre Individualität, keiner spricht für den Anderen. Das ist wohl auch der Grund, warum bisher kein organisiertes Gremium eine Liste mit Forderungen vorlegen konnte. Einen minimalen Konsens gibt es aber doch: „Peaceful, public and no leaders“, nennt Engländer Erez den Common Sense, der hier im Zeltlager gefunden wurde. Der Nachbar von Kaan meldet sich nochmals zu Wort: Ethik und Empathie sollten endlich wieder mehr zählen als Geld und Gewinnmaximierung. Wie das erreicht werden soll? „Auf basisdemokratischem Weg.“

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