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Berlin: Blackout vor dem Knockout

Der Boxer Graciano Rocchigiani kommt mit Bewährung davon

Donnerstagmittag, Amtsgericht Moabit Saal 671. Die Richterin nimmt die Personalien des Angeklagten auf.

Wohnort? „Im Moment JVA Tegel.“

Beruf? „Boxer.“

Gelernt? „Mehr oder weniger.“

Einkommen? „Nur, was ich als Hausarbeiter in der Haftanstalt bekomme.“

Und die 31 Millionen? „Das ist im Prinzip abgeschlossen. Der WBC könnte in Berufung gehen. Das glaube ich aber nicht.“

Mit durchgedrücktem Rücken sitzt Graciano Rocchigiani auf der Anklagebank, einem orangefarbenem Plastikstuhl. Die Hände hält der Ex-Weltmeister auf den Knien, er antwortet freundlich, senkt bescheiden den Blick. „Ich habe mir einen Psychologen genommen, um das aufzuarbeiten“, sagt Rocchigiani. Da gibt es einiges zu tun: Die Beleidigung eines Polizisten („Verpiss dich endlich, du Mistfotze!“). Den Angriff auf einen Polizisten. Und viele, viele Biere, gefolgt von Whisky-Cola. Ob das bei ihm Standard sei, will die Richterin wissen. „Also, ick hab’ ja schon einige Sitzungen hinter mir in meinem Leben“, sagt der Angeklagte, „aber nich’ so, dass ich ’nen totalen Filmriss hatte.“

Soll heißen: „Rocky“ erinnert sich an nichts. Der Boxkampf von Darius Michalczewski ist ihm noch präsent. Danach die Runde in der Kneipe. Die erste Whisky- Cola in der Disco Schaukelpferd. Aber dann? „Dann bin ick in der Zelle gewesen und hab’ mich gewundert, warum.“ Über seinem schwarzen Hemd trägt Rocchigiani ein hellbraunes Cordjackett, passend zu den Wildlederschuhen.

Gewundert hatten sich auch Stefan S. und seine Kollegin, als sie am Abend des 16. Dezembers einen eher ungewöhnlichen Einsatzbefehl bekamen: „Verdächtige Person in Pkw.“ Eine 43 Jahre alte Frau aus Lankwitz hatte angerufen, weil in ihrem geparkten Opel Corsa ein fremder Mann auf dem Beifahrersitz schlief: Graciano Rocchigiani. „Irgendwie kam er mir bekannt vor“, sagt die Polizistin. Nachdem „Rocky“ halbwegs zu sich gekommen war, torkelte er zum Austreten in ein Gebüsch – und wollte dann zum Weiterschlafen wieder in den Corsa steigen. Die Polizisten redeten auf den 39-Jährigen ein, wollten ihn aus der Kälte schaffen, ihm helfen, ihn nach Hause fahren – Rocchigiani wollte in den Corsa. „Da brüllte er plötzlich ’rum und nahm die Boxerhaltung ein“, sagt Stefan S., ein blasser, junger Mann mit Brille, der seine Freizeit eher im Lesesessel als im Fitnessstudio zu verbringen scheint. Trotzdem nahm Stefan S. seine Deckung hoch, konterte den zweiten Schlag, „das zeigte aber keine Wirkung“. Sekunden später fand sich der Polizist auf dem Asphalt wieder, die Nase blutig, die Brille kaputt. „Spätestens da wusste ich, dass das Rocchigiani ist.“

Der Rocchigiani, der früher posaunte: „Was braucht der Mensch außer Glotze gucken, ’n bisschen bumsen und ’n bisschen Anerkennung.“ Der Rocchigiani, der sich jetzt im Gerichtssaal geläutert zeigt. „Die Entschuldigung hab’ ick ernst jemeint. Ick bin keen Spinner, der irgendwas erzählt. Ick muss sowieso in den Knast zurück.“ Bei Stefan S. treffen die Worte auf Granit. „Ich könnte dieses Verhalten nie entschuldigen.“

Das Gericht natürlich auch nicht. Immerhin zeigt die Richterin Verständnis. Für das Schicksal, das „Rocky“ damals zugesetzt und ihn um seinen Weltmeistertitel gebracht hatte. Für seine Entschuldigung. Und für seine hehren Vorsätze. Sie verurteilt Graciano Rocchigiani zu vier Monaten Gefängnis – auf Bewährung. An Stefan S. muss der Boxer außerdem 1500 Euro zahlen. Noch bedeutet das: Jede Menge Hausarbeit im Knast.

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