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© Uwe Steinert

Bleivergiftung: Das Elend eines Berliner Seeadlers

Das Weibchen des einzigen Berliner Brutpaares hat eine Bleivergiftung – vermutlich durch Schrot.

Die Menschen, die mit ihren humpelnden Dackeln und hustenden Katzen im Wartezimmer der Tierklinik Düppeln sitzen, ahnen das Elend nicht, das ein paar Meter entfernt ist. Chefärztin Kerstin Müller öffnet die Tür zu einer Voliere. Schwer atmend sitzt das Seeadlerweibchen auf einer Stange über dem Boden. Seine Füße sind groß wie Menschenhände, das braungraue Gefieder gezeichnet wie ein Kunstwerk. Der Kontrast zwischen dem edlen Vogel und dem blassgrün gefliesten Kabuff könnte nicht größer sein.

„Diagnose: Bleivergiftung“ steht auf einem Blatt an der Volierentür. Ende Januar fand ein Förster das völlig entkräftete Tier im Müggelwald. Seit Ende der 90er lebte das Adlerpaar in Köpenick. Das erste in Berlin seit Jahrhunderten. Jetzt ist der Adlermann allein.

Kerstin Müller gibt dem Weibchen kaum Chancen, „die Bleiwerte sind einfach zu hoch“. Zehn vergiftete Adler aus ganz Deutschland hat die Ärztin in diesem Winter schon behandelt. „Das ist extrem“, sagt sie. Auch das Berliner Adlerweibchen muss das Blei aufgenommen haben, als es ein angeschossenes Tier oder die Innereien von erlegtem Wild gefressen hat. Die müssen von Jägern zwar entsorgt oder vergraben werden, aber ob das bei gefrorenem Boden jeder tut? Rainer Altenkamp bezweifelt es. Er leitet die Arbeitsgemeinschaft Greifvogelschutz beim Naturschutzbund Nabu und sieht nur einen Weg, um das Elend der Adler zu beenden: Bleihaltige Munition muss verboten werden. Alternativen gebe es „seit Jahrzehnten“.

Bei den Berliner Forsten gilt die Empfehlung, bleifrei zu schießen. In Brandenburg, wo mehr als 100 Paare brüten und auch die Seeadler vom Müggelwald oft jagten, war die Verwendung bleihaltiger Munition den Landesforstleuten seit 2006 verboten. Doch seit 2008 gilt das Gegenteil: Nach Berichten über Jagdunfälle wegen bleifreier Munition verbot das Agrarministerium, bleifrei zu schießen. „Wir mussten reagieren“, sagt Ministeriumssprecher Jens-Uwe Schade. „Arbeitsschutz geht vor.“ Man behalte das Thema im Auge, eine Promotion dazu sei in Arbeit, aber letztlich müssten ballistische Tests entscheiden, die man nicht selbst durchführen könne. Schade wirft dem Nabu vor, „sich auf unsere Kosten zu profilieren“. Denn die Naturschützer verdächtigen das Potsdamer Ministerium, zu sehr auf Jägerlobby und Munitionsindustrie zu hören. Dabei sei auch unter den Jägern die Meinung geteilt, sagt Lutz Wittig, Referatsleiter bei den Berliner Forsten. Die Häufung der Bleivergiftungen erklärt Wittig mit „einer unheilvollen Symbiose“ zwischen Raben und Adlern: Die aasfressenden Raben locken einen Adler an, damit der ihnen ein totes Tier aufreißt. Der Adler nimmt die Einladung gern an, weil er in den zugefrorenen Seen zurzeit nicht fischen kann. So schluckt er den giftigen Bleischrot aus dem Beutetier und löst das Gift im Magen.

„Leider werden die Adler erst gefangen, wenn sie völlig am Ende sind“, sagt Kerstin Müller. Ein vergifteter Mäusebussard werde von Fuchs oder Wildschwein gerissen, „aber ein Adler lässt sich nicht fressen“. Entweder er wird aufgelesen und nach Düppel gebracht, oder er quält sich, bis er tot ist. In der Vitrine rechts neben dem Berliner Weibchen sitzt ein Adler aus Brandenburg, der es nicht einmal mehr auf die Stange schafft. Die Ärztin schaut auf ihn wie auf ein krankes Kind. Das menschgemachte Leid der stolzen Vögel geht ihr nahe. „Es ist wirklich furchtbar“, sagt sie so leise, dass man es kaum hört. Stefan Jacobs

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