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Berlin: Bloß nicht über Sanktionen reden

Zwischen Deutschgebot an Schulen und Migranten-Kriminalität: Die Grünen tun sich schwer mit der Integrationsdebatte

Von Sabine Beikler

Der Streit ums Kopftuch, die Debatten über Parallelgesellschaften, Einbürgerungstests, Deutschpflicht an Schulen und aktuell der Karikaturenstreit: Die Gesellschaft diskutiert über Toleranz, Grenzen des Zusammenlebens, Kulturkampf, Sanktionen, über Rechte und Pflichten von Migranten. Was muss eine gute Integrationspolitik leisten, welche Fehler gab es in der Vergangenheit, ist Multikulti endgültig gescheitert? Mitten in dieser Auseinandersetzung befinden sich zurzeit die Grünen. Die Partei tut sich schwer, eine klare Position zu beziehen – zu groß ist die Angst vor dem Vorwurf, gesellschaftliche Minderheiten einzuschränken oder gar zu diskriminieren.

Das Beispiel des Grünen-Abgeordneten Özcan Mutlu macht das Lavieren deutlich: In der Debatte um die Deutschpflicht für Schüler an der Weddinger Herbert-Hoover-Oberschule witterte Mutlu sofort ein an Diskriminierung grenzendes Verbot, die jeweilige Muttersprache zu sprechen. In Unkenntnis des wahren Hintergrunds, dass die Schule sich diese Verpflichtung in einem demokratischen Abstimmungsverfahren selbst auferlegt hatte, wie er später zugeben musste. Peinlich berührt reagierten darauf seine Parteifreunde, aber offen wollte keiner darüber sprechen. Eine „spontane Fehleinschätzung“ nennt es heute Renate Künast, die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag.

Auch das am Freitag im Tagesspiegel erschienene Streitgespräch zwischen Mutlu und dem Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) erfreute viele Grüne nicht: Mutlu plädierte für eine „Willkommenskultur“ für Einwanderer. „Wir zeigen immer nur mit dem Zeigefinger, anstatt die Arme zu öffnen.“ Auf Schwierigkeiten bei der Integration ging Mutlu kaum ein. Daraufhin kritisierte Fraktionschef Volker Ratzmann seinen Parteifreund: „Es ist nicht grüne Position, vor den Problemen der Integration die Augen zuzumachen.“ Mutlu rudert erneut zurück und betont auf Anfrage, „dass man die Probleme nicht ausblenden darf, aber trotzdem auch die positiven Aspekte und Chancen des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen hervorheben muss“. Sechs Wochen vor Aufstellung der grünen Landesliste für die Abgeordnetenhauswahlen will niemand durch kritische Äußerungen über Parteifreunde als „Nestbeschmutzer“ dastehen.

Umso schwieriger ist zurzeit die Positionierung in der Integrationsdebatte. „Multikulturalität, also das Zusammenleben vielfältigen Kulturen, ist Realität und nicht mehr wegzudenken“, sagen Ratzmann und der Grünen-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland. Beide weisen eine „Abkehr von Multikulti“ weit von sich. Allerdings dürften kulturelle Unterschiede nicht „zum Deckmantel für Missbrauch“ werden. Wie auch Künast fordern sie, dass die Migranten Grundrechte und -werte ohne Wenn und Aber anerkennen müssen. Bei Gesetzesverstößen wie zum Beispiel Zwangsverheiratungen hätten sie mit klaren Sanktionen zu rechnen.

Einig sind sich die Grünen darin, dass das Erlernen der deutschen Sprache als A und O der Integration gefördert werden müsse, die Migranten das aber auch annehmen müssten. Allerdings soll das Fördern und Fordern auf Freiwilligkeit beruhen und ohne Sanktionen geschehen. „Zwang führt zur Abwehrhaltung“, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele. Selbstkritisch gibt er zu, dass seine Partei „viele Jahre Tatsachen wie zum Beispiel Zwangsverheiratungen nicht mit der nötigen Dringlichkeit“ bekämpft habe. Zuerst habe man sich für die Rechte von Migranten eingesetzt. „Das war richtig“, sagt Wieland und fügt vorsichtig hinzu: „Aber vielleicht haben wir nicht deutlich genug Forderungen gestellt.“ Drastischer sagt es Grünen- Kulturpolitikerin Alice Ströver: „Wir haben die grüne Illusion begraben, dass sich nur die Mehrheitsgesellschaft bewegen muss.“ Heute gehe es um einen „gemeinsamen Prozess“.

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