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Böllerei und Wahnsinn in Berlin: Ein Verbot für Privatfeuerwerk behandelt nur die Symptome
Alle Jahre wieder: Kurz vor dem Jahreswechsel wird über den Böllerwahnsinn, zerfetzte Hände und Krieg spielende Männer diskutiert. Ein Verbot kann helfen, doch es greift zu kurz.
Stand:
In einem Monat knallt es wieder. Und pünktlich zum Jahresende nimmt die Debatte um Böllerverbote wieder Fahrt auf, alle Jahre wieder. Wir kennen das und auch dies: Aus dem Unfallkrankenhaus Berlin in Marzahn kommt am 1. Januar die Bilanz: Hand zerfetzt, Finger ab, Augenlicht verloren.
In Berlin ist die Stimmung in Sachen Böllerei schon lange gekippt. Das liegt aber nicht so sehr an den Schwarzpulver-Bastlern oder Polenböller-Experimentatoren, Männern zumeist.

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Der Wandel vollzieht sich vor allem anhand anderer Ereignisse: Wegen vermehrter Wohnungsbrände, weil Männer Raketen aus der Hand auf die Häuser, in Fenster und Balkone feuern. Wegen schwerer Verletzungen und Schäden, weil Männer Feuerwerksbatterien in die Hand nehmen, sie waagerecht abfeuern, um im Raketenwerfer-Stil Krieg zu spielen.
Weil ein gewisses Klientel sich daran ergötzt, illegale Kugelbomben aus Polen mitten in der Stadt zu zünden, wodurch Menschen schwer verletzt, Fassaden beschädigt werden und ganze Fensterfronten zersplittern.

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Weil Typen es toll finden, mit Schreckschusspistolen, die viel zu leicht zu kaufen sind, herumzuballern, als sei das ein normaler Feierritus.
Und wegen der Bilder von jungen Männern, die Feuerwerk auf Feuerwehrleute schießen oder Feuerlöscher auf Rettungswagen werfen. Von jungen Männern, vor denen die Polizei die Rettungskräfte regelrecht schützen muss. Und die mit Raketen Polizisten lebensbedrohlich verletzten. Hakt’s?
Eine Umfrage des RBB ergab jüngst, dass Dreiviertel der Berliner sich für ein Verbot des privaten Feuerwerks zum Jahreswechsel aussprechen. 87 Prozent wünschen sich, dass mehr Böllerverbotszonen an stark belasteten Orten eingerichtet werden. Nicht ganz so groß ist die Zustimmung für ein Verkaufsverbot von Silvesterfeuerwerk – nämlich 63 Prozent.
Wenn es nach Innensenatorin Iris Spranger (SPD) geht, sollte es mit dem Wandel der Silvesterkultur schneller gehen: größere, flächendeckende Verbotszonen und stark kontrollierte Feuerwerkszonen. Doch die Gesetzeslage im Bund steht dem bislang entgegen.
Schon seit einer Weile versucht Berlin eine Öffnungsklausel zu bekommen. Bislang ohne Erfolg. Es laufen auch in diesem Jahr wieder Gespräche mit dem Bundesinnenministerium, ab Mittwoch steht die Innenministerkonferenz an.
An den vergangenen beiden Jahreswechseln wurde versucht, die gefährliche Böllerei mit massiver Polizeipräsenz in den Verbotszonen zu unterbinden. Geholfen hat das nur bedingt. Die Knallchargen gingen woanders hin, die Kugelbomben gingen dennoch hoch und verletzten Menschen schwer und richteten erheblichen Schaden an.
Angesichts des verständlichen Impulses, Böllern einfach stadtweit zu verbieten, muss man sich nichts vormachen: Jede Regel ist nur so gut, wie sie vom Staat auch durchgesetzt werden kann und wird.
Ein Radikalverbot ist auch ein Offenbarungseid: Der Staat ist mit Zuständen konfrontiert, die nichts mit einem zivilisierten Zusammenleben zu tun haben.
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Dass die Polizei stadtweit oder zumindest innerhalb des S-Bahn-Rings ein Verbot durchsetzen kann, ist illusorisch, der Aufwand wäre enorm. Anderes Beispiel: Auch verstärkte Grenzkontrollen nach Polen ändern wenig an den vielen illegalen Böllern.
Was die Verbotsapologeten im angeblich so liberalen Berlin gern überspielen: Der Ruf nach einem Verbot, um Vernunft gegen dummes und lebensgefährliches Böllern zu erzwingen, schließt den Ruf danach ein, die Freiheit der Vernünftigen zu beschränken.
Und was ist mit jenen, die mit Ballaballa-Böllerei nichts zu tun haben?
Die Freiheit jener, die mit der Ballaballa-Böllerei nichts zu tun haben, aber doch ein friedliches Feuerwerk zünden wollen: Familien, nicht nur am Stadtrand, die Verantwortung übernehmen und ihren Kindern beibringen – auch beim Umgang mit Feuerwerk. Berlinerinnen und Berliner, die nicht mit Raketen und Schreckschusspistolen Krieg spielen wollen.
Diese Menschen dazu zu bringen, anstatt in der Silvesternacht vor der Haustür eine Rakete in die Sektflasche zu stellen, besser zu „Böllerbereichen“ zu fahren – wie lebensfremd – oder eine Drohnenshow anzusehen, ist noch ein weiter Weg.
Und ein Radikalverbot ist auch ein Offenbarungseid: Der Staat selbst kann die Sicherheit seiner Bürger in bestimmten Bereichen in der Silvesternacht nicht mehr gewährleisten.
Vielmehr ist er mit Zuständen konfrontiert, die nichts mit einem zivilisierten Zusammenleben zu tun haben. Ein Verbot hülfe vielleicht kurzfristig gegen Symptome. Besser wäre es, uns darob tiefergehende Debatten über den Verlust der Zivilität nicht zu ersparen.
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