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Berlin: Bomben zu Kunstwerken

Von Andreas Conrad „Der Insulaner verliert seine Ruhe nicht“, hieß es vor Jahrzehnten. Daran scheint sich auch aus Sicht des Hauptstädters nicht viel geändert haben.

Von Andreas Conrad

„Der Insulaner verliert seine Ruhe nicht“, hieß es vor Jahrzehnten. Daran scheint sich auch aus Sicht des Hauptstädters nicht viel geändert haben. Was muss noch passieren, dass Aufregung die Passanten ergreift, sie sich womöglich zu einem Auflauf zusammenrotten? Eine Sprengbombe von Furcht einflößenden Maßen, erkennbar kein Modell, wird vor der Nikolaikirche von einem Lastwagen geladen, doch kaum einer würdigt sie nur eines Blickes. Oder hat sich die Menge schon wieder verlaufen, wurde zerstreut durch die Monotonie der Munition, die die Ladefläche gefüllt hatte und nun im Kircheninneren ausgebreitet ist? Wie aufgebahrt liegt sie da, ein Gedanke, der schon wieder Interpretation ist, subjektive Deutung der „Sprache der Dinge“, auf die Raffael Rheinsberg so viel Wert legt, ohne festlegen zu wollen, was genau sie zu sagen haben.

Aber im Moment hat er für solche Erörterungen keine Zeit, sorgt sich vielmehr, wie der stählerne Eintonner, das dickste Ding in seiner Installation „Helden“, vom Hubwagen zu Boden gebracht wird, ohne den Fliesenboden oder gar die eine oder andere Zehenspitze zu zerdeppern. Er könnte noch größere Bomben haben, aber das hätte ein logistisches Problem aufgeworfen, und so macht er es lieber eine Nummer kleiner. Eile ist geboten, denn heute muss seine Galerie der Granaten fürs Katalogfoto fertig sein. Rund 1000 Minen, Bombenhülsen, Reste von Panzerfäusten, Maschinengewehren, Karabinern und Handgranaten müssen arrangiert werden, zwei Lastwagen voll, die das Technische Hilfswerk vom Sprengplatz Grunewald ins Nikolaiviertel transportiert hat. „Allesamt ohne Sprengstoff und Zündmittel“, versichert Polizeifeuerwerker Jürgen Seiffert, anders komme nichts vom Hof. Alles stamme aus Berliner Boden, von Amerikanern, Briten, Russen und natürlich Deutschen, die von Moos überwucherten Bomben mit Betonmantel etwa, Indiz für die Rohstoffknappheit, die gegen Kriegsende um sich griff.

Umstandslos hatten die Polizeifeuerwerker die Bombenreste herausgerückt, ein Empfehlungsschreiben des Stadtmuseums, unter dessen Obhut die Installation entstand, tat seine Wirkung. Für Rheinsberg rundet sich damit ein ganzer Ausstellungszyklus ab, zu dem 1982 ein Arrangement von Fundstücken aus den verlassenen Botschaften im Tiergartenviertel gehörte oder unlängst ein Feld von 20 000 Patronenhülsen, das er in Marburg und Göttingen zeigte.

„Ich kann nur mit dem arbeiten, was ich finde. Ich kann mir nichts ausdenken. Mein Atelier ist draußen“, beschreibt Rheinsberg seine Methode, oder auch „Ich bin die Wahrnehmung.“ Seine Arbeit hat er diesmal den Feuerwerkern auf dem Sprengplatz Grunewald gewidmet, „Helden“ eben, deren Heldentum sich nicht im Gebrauch der Waffen beweist, sondern gerade in deren Vernichtung. Auch der 11. September spielt da rein, aber nur indirekt, nicht als plakativer Kommentar. Die Initialzündung fand ohnehin nicht in New York statt, sondern während einer Bahnfahrt in Paderborn, als es wegen einer Bombenräumung zum unfreiwilligen Stopp kam. Nun musste nur noch der Raum dazukommen, das ehrwürdige Schiff der Nikolaikirche mit seinen Epitaphen – und die Idee zu „Helden“ war geboren - einer Auseinandersetzung mit der „Ästhetik des Bösen“.

Nikolaikirche, 6. Juli bis 8. September, täglich 10 bis 18 Uhr (außer montags)

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