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Berlin: Botschafter des Zivilgeistes

Von Elisabeth Binder Er tritt auf wie ein Grandseigneur. Wenn er zum Beispiel die Vorsitzende der Bürgerstiftung Berlin vorstellen möchte, lädt er mit Grandezza zum Essen ein, bevor er mit vielen blumigen Wendungen zur Sache kommt.

Von Elisabeth Binder

Er tritt auf wie ein Grandseigneur. Wenn er zum Beispiel die Vorsitzende der Bürgerstiftung Berlin vorstellen möchte, lädt er mit Grandezza zum Essen ein, bevor er mit vielen blumigen Wendungen zur Sache kommt. Jörg Kastl, Botschafter a. D., ist gerade 80 Jahre alt geworden. Zum Tee aus dünnwandigen ostfriesischen Tassen empfängt er in Jeans, kurzärmeligem hellblauen Hemd und rotbraunen Schuhen, die im Ton exakt zur Krawatte passen. Gebräuntes Gesicht zu blitzenden Augen und schlohweißen Haaren. Jörg Kastl hat ein theatralisches Temperament, kein Zweifel. In Berlin geboren, siedelte die Familie nach München um, als der Vater, Präsident des Reichsverbandes der Industrie 1933 von den Nazis aus dem Amt entfernt wurde. 1941, mit nur 19 Jahren, hatte Kastl bereits das Erste Staatsexamen im Fach Jura bestanden, aber das war es nicht, wohin sein Herz ihn zog. Er fühlte eine künstlerische Berufung. Wollte Stücke schreiben, Regie führen, in fremde Rollen schlüpfen. Ging zur Bühne. Spielte in der ersten Inszenierung von Paul Verhoeven nach dem Krieg, im Sommernachtstraum. Die Kritiken waren ein Albtraum für den jungen Mimen. Ohne Kastl wäre es vielleicht gerade noch gegangen, so oder so ähnlich hieß es im Verriss. Vielleicht hat ihn das Theatralische in seiner Natur einfach zu sehr mitgerissen. Vorstellen könnte man sich das selbst heute noch, da er in einem Alter ist, wo bei anderen sich das Temperament etwas abdämpft.

Schließlich ging er „in die Provinz“, nach Passau, die Kritiken blieben schlecht. Nur sein Jedermann, der wurde gelobt. Dann Nürnberg. Wie gehabt. Ältere Schauspielerinnen trösteten ihn: durchhalten! Er werde noch ein ganz großer, schwerwiegender älterer Herr. „Du wirst Erfolg haben", flüsterten sie ihm zu. Zu spät. Irgendwann entdeckte er die Anzeige des Auswärtigen Amts, in der Nachwuchs für die Diplomatie gesucht wurde. 1951 bestand er die Aufnahmeprüfung für den Höheren Auswärtigen Dienst. Zwischen 1952 und 57 folgten die ersten Auslandsposten in Paris, im Argentinien des Generals Perón und im Paraguay des Generals Strössner. Von da an galt er als Experte für lateirikanische Diktaturen. Als Botschafter arbeitete er in den 70er Jahren wieder in Argentinien und Brasilien.

Aus den Erfahrungen dieser Zeit zieht er seine Motivation für bürgerschaftliches Engagement. „Wir müssen uns engagieren. Müssen uns für die Gemeinschaft einsetzen. In den Diktaturen wird zu viel weggesehen." Sein Erweckungserlebnis in diese Richtung war 1992 die Lichterkette in München. Damals sorgte er dafür, dass die Honoratioren aus seinem Bekanntenkreis mit hingingen.

Die Idee zur Bürgerstiftung entstand in einer Versammlung im Club von Berlin, als der Hannoveraner Jurist Christian Pfeiffer einen entsprechenden Vortrag hielt: „Bürgerstiftungen wachsen aus den Wurzeln der Gesellschaft nach oben", sagt er. „Sie wollen den Nachbarn, Kollegen oder Freund dazu anstiften, im Ehrenamt freie Zeit zu opfern oder Geld zu spenden, um unsere keineswegs intakte Gesellschaft zu stärken." Die Bürgerstiftung Berlin kümmert sich vor allem um gefährdete Jugendliche, bietet unter anderem Hausaufgabenhilfe an. In Lateinamerika hat er lange genug erlebt, wie die hemmungslose Ausbeutung armer Menschen Gesellschaften schwächen kann.

Jörg Kastl, seit 45 Jahren in zweiter Ehe verheiratet mit der Argentinierin Eva, ist keineswegs ein konfliktscheuer Mensch. Vielleicht kommt die große Auseinandersetzung seinem theatralischen Talent sogar entgegen. „Ich habe meinen eigenen Kopf", sagt er. „Und den halte ich hoch." Damals hat man ihm vorgeworfen, sich in Argentinien, wo auch viele Deutsche verschwunden sind in den Kerkern der Junta, nicht genug für die Linken eingesetzt zu haben. Im Deutschen Club von Buenos Aires habe man das genau umgekehrt gesehen, sagt er. Mit dem ehemaligen Außenminister Genscher geriet er später in heftigen Streit, weil er dessen Haltung gegenüber Russland viel zu weich fand. Zur Illustration erzählt er gern, wie er sich in Moskau mit seiner Frau nur in einer abhörsicheren Kammer über wichtige Familienangelegenheiten unterhalten konnte. Alles war verwanzt. „Man hätte viel härter sein, den Russen auf Augenhöhe begegnen müssen", sagt er. Er schied dann vorzeitig aus dem diplomatischen Dienst aus, veröffentlichte Bücher unter anderem über Russland, und über die ersten deutschen Botschafter im Deutschen Reich 1871 - 1892. „Am straffen Zügel“ hieß es. „Während ich es schrieb, habe ich immer Genscher vor Augen gehabt“, lacht er vielsagend. Für die oberste Führungsebene sei er selbst wohl zu temperamentvoll gewesen, auch zu extrovertiert. Die Strenge, die er seinen Vorgesetzten gegenüber walten ließ, ist noch berüchtigt. Mit manchen seiner ehemaligen Untergebenen sei er dagegen heute noch befreundet. Seine letzte Theaterrolle war übrigens der Orest in der Iphigenie. Auch für den gab es nur Verrisse.

„Man muss durch tiefe Täler gehen“, sagt er mit der volltönenden Stimme, die auch bei Reden vor größerem Publikum kein Mikrofon braucht. Das hilft ihm im Rahmen seiner Arbeit, für die Bürgerstiftung Berlin möglichst viele neue Mitstreiter zu gewinnen.

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