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Berlin: Boxer erschlägt seinen Vater

Die Zeugniswoche rückte unaufhaltsam näher, und vermutlich konnte Mario L. in jener Januarnacht an nichts anderes denken.

Die Zeugniswoche rückte unaufhaltsam näher, und vermutlich konnte Mario L. in jener Januarnacht an nichts anderes denken. Um 2 Uhr morgens stand der 16-Jährige schließlich auf, griff zu seiner Hantelstange und schlich sich damit ans Bett seines Vaters. "Als dieser durch ein zufälliges Geräusch erwachte, schlug der Angeschuldigte unverzüglich mit dem Gerät wuchtig auf den Kopf seines Vaters ein, um den Überraschungseffekt für seinen Angriff zu nutzen und eine Gegenwehr des Opfers zu verhindern", heißt es in der Anklageschrift. Nach den Worten des Staatsanwaltes mußte der 51-jährige Mann aus Hohenschönhausen sterben, weil sich sein Sohn vor "Auseinandersetzungen wegen seines schulischen Leistungsabfalls" fürchtete.

Beim Prozessauftakt im Moabiter Kriminalgericht standen die Zuschauer am Dienstag vor geschlossenen Türen. Weil Mario L. erst 16 Jahre alt ist, wurde die Öffentlichkeit während der Verhandlung des Saales verwiesen.

Vermutlich trifft die These vom schulischen Leistungsabfall nur die halbe Wahrheit. Denn Dieter L. soll seinem Kind nicht nur in der Schule, sondern auch in der Freizeit viel abverlangt haben. Seit Jahren versuchte der Arbeitslose, seinen Sohn im Ring zum Box-Champion zu machen. Und das mit gutem Erfolg: Drei Mal wurde Mario Berliner Meister, das Fliegengewicht war auf dem Sprung in die Nationalmannschaft. Am 22. Januar zertrümmerte dann aber der 16-Jährige den Schädel seines Vaters, "weil er sich von ihm erheblich unterdrückt fühlte". So jedenfalls formulierte es die Polizei nach ihren ersten Vernehmungen.

Dieter L. galt als ein Eigenbrötler, den Alkohol in der Regel streitsüchtig und aggressiv machte. Als Marios Mutter vor über zehn Jahren an Krebs starb, blieb der Sohn das einzige Ziel seiner Wutausbrüche. Nachdem Dieter L. nach der Wende auch noch seinen gut bezahlten Job als Fensterputzer verloren hatte, projizierte der Mann offenbar all seine Träume auf den Sohn. 1994 schickte er Mario auf die Sportschule "Werner Seelenbinder" und zum "SC Berlin", wo einst schon die Schwimmerin Franziska van Almsick und der Radprofi Jan Ullrich geformt wurden. Aber obwohl Mario tatsächlich immer besser wurde, konnte er seinen Vater offenbar nie zufrieden stellen. Als der Jugendliche im November 1998 bei der Deutschen Meisterschaft Bronze gewann, soll ihn sein Vater zu Hause nur noch "Pflaume" gerufen haben.

Die ersten Notsignale nahmen weder Marios Lehrer noch seine Trainer, Nachbarn oder Freunde wahr. Im Unterricht baute der sonst durchschnittliche Schüler dramatisch ab. Auf dem Halbjahreszeugnis hatte Mario offenbar in mehreren Fächern mit einer Fünf oder Sechs zu rechnen. Der 16-Jährige fing an zu schwänzen und zu rauchen. Etwa drei Wochen vor dem blutigen Finale kam Mario L. mit einem blauen Auge und einer Platzwunde an der Stirn in die Schule. Seinen Boxkameraden erzählte er, dass es Ärger mit einem Skinhead gegeben habe. Heute vermuten seine Freunde, dass ihn sein Vater so zugerichtet habe.

Ungewiss bleibt, wann sich der 16-Jährige entschloss, seinen Vater umzubringen. Nach den Worten des Staatsanwalts hatte er diesen Plan jedenfalls bereits "seit einiger Zeit" gehegt. Der Jugendliche handelte nach Ansicht der Anklage nicht nur vorsätzlich, sondern auch heimtückisch, als er sich an das Bett des schlafenden Vaters schlich. Deshalb steht Mario nun unter dem Vorwurf des Mordes vor Gericht.

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