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Brandenburgs erster grüner Agrarminister: Axel Vogel.

© Thilo Rückeis

Brandenburgs Agrarminister Vogel: "Ich will keine Ställe mit 400.000 Hühnern mehr genehmigen"

Brandenburgs Grünen-Agrarminister Vogel über Massenanlagen im Wald und den Landkauf durch Investoren. Den Wolf hält er für eine „Bereicherung“.

Axel Vogel, 63, einst Mitbegründer der Grünen, ist seit November Agrar- und Umweltminister in Brandenburg, wo er seit 2009 die Landtagsfraktion führte. Ehe er hier nach 1990 die Landesanstalt für Großschutzgebiete aufbaute und leitete, war er einige Jahre im Bundestag und auch mal Bundesschatzmeister seiner Partei.

Herr Vogel, in den vergangenen Jahren waren Sie stets bei der traditionellen "Wir haben es satt“- Demo zur Grünen Woche. Jetzt sind Sie Agrarminister. Gehen Sie trotzdem demonstrieren?
An diesem Samstag werde ich nicht dabei sein. Ich gehe zum zeitgleichen Ehrenamtsempfang der Landesregierung. Der Ministerpräsident hat ausdrücklich darum gebeten, dass alle Minister teilnehmen. Aber ich verspreche Ihnen: In den Folgejahren werde ich wieder auf der Demonstration zu finden sein.

Dann demonstrieren Sie ja quasi gegen sich selbst.
Nein. Die „Wir haben es satt“-Demo steht für eine andere Landwirtschaftspolitik, und die will ich auch.

Sie sind der erste grüne Agrarminister in Brandenburg. Jetzt steht Ihnen die erste „Grüne Woche“ im neuen Amt bevor. Bei wem ist eigentlich der Kulturschock größer: bei Ihnen oder bei den Bauern?
Ich bin von den Bauern offen aufgenommen worden. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich in Brandenburg ja schon seit 1991 in Bereichen Verantwortung trage, die viel mit Landnutzung zu tun haben. Als Direktor der Landesanstalt für Großschutzgebiete war es immer mein Ziel, die Landnutzer bei der Entwicklung von Naturschutzkonzepten einzubinden. Diese Aufgabe habe ich jetzt auch als Minister. Ich sehe viele Probleme, die wir gemeinsam mit den Bauern anpacken müssen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Probleme der Bauern?
Das größte Problem ist die Agrarstruktur. Die DDR-Landwirtschaft war von großen Betrieben geprägt, diese großlandwirtschaftlichen Strukturen haben die Wende überlebt. Das wird jetzt zum Problem. Viele Eigentümer wollen nun in den Ruhestand gehen und aus den Agrargesellschaften ausscheiden, aber es ist rundherum niemand da, der genug Geld hat, um ihnen den Betrieb oder ihre Anteile abzukaufen.

Große Flächen: Immer mehr Ackerland ist nicht in Händen von Bauern, sondern von Investoren.
Große Flächen: Immer mehr Ackerland ist nicht in Händen von Bauern, sondern von Investoren.

© www.imago-images.de

Mit Ausnahme von Aldi-Erben oder anderen Investoren, die einspringen und Land kaufen.
Ja, das ist das Einfallstor für außerlandwirtschaftliche Investoren. Das staatliche Thünen-Institut hat sich ja exemplarisch die Verhältnisse in Märkisch-Oderland angeschaut: Ein Drittel der Betriebe ist inzwischen im Besitz solcher Investoren und Holdings. Der Prozess ist noch nicht beendet, im Gegenteil, er beschleunigt sich noch. Die Anlage in Grund und Boden schlägt derzeit jede Anlage in Staatsanleihen, außerdem entgehen Sie so möglichen Strafzinsen der Banken. Wer jetzt kauft, rechnet mit weiteren Wertsteigerungen.

Was ist daran verwerflich?
Viele der Käufer wollen nicht Landwirtschaft betreiben, sondern Profite maximieren. Sie entziehen den Dörfern Wertschöpfung, vernichten Arbeitsplätze. Man übernimmt einen Betrieb, legt als erstes die Tierhaltung still, weil sich das nicht rechnet. Dann stellt man auf Mais um, den man zu Biogas machen kann. Am Ende bleibt eine ausgeräumte Landschaft zurück. Der ländliche Raum blutet aus. Bauern, die Flächen dazu kaufen möchten, haben das Nachsehen, weil sie die Summen nicht aufbringen können. Pächter laufen sogar Gefahr, dass die von ihnen gepachteten Flächen verkauft werden, und ihnen plötzlich Land fehlt, weil der neue Eigentümer die Pachtpreise heraufsetzt oder das Land anderweitig nutzt.

Wie wollen Sie das verhindern?
Wir werden jetzt ein agrarstrukturelles Leitbild entwickeln, das spätestens im nächsten Jahr in ein Agrarstrukturgesetz mündet. Mit diesem Gesetz können wir dann Flächenverkäufe an außerlandwirtschaftliche Investoren verhindern. Wir können die Preise begrenzen und Wucherpreise unterbinden, sowohl bei Pachten als bei Verkäufen. Und wir können festlegen, dass ortsansässige Bauern bei der Vergabe von Flächen bevorzugt werden.

Viele Investoren kaufen aber gar nicht Land, sondern Anteile an Agrargesellschaften, denen das Land gehört. Wer solche Share Deals macht, spart sogar Steuern.
Ja, das muss sich unbedingt ändern. Wer heute maximal 94,9 Prozent der Anteile übernimmt, zahlt keine Grunderwerbsteuer, auch nicht beim Weiterverkauf. Dem Steuerzahler bringt das Milliardenverluste. Der Bund kann und sollte das ändern, aber wir werden mit unserem Agrarstrukturgesetz unabhängig davon auch eingreifen.

Viele Tiere, kein Land: Vogel will das ändern.
Viele Tiere, kein Land: Vogel will das ändern.

© dpa

Wollen Sie aus Brandenburg ein Öko-Agrarland machen?
Ich sehe vor allem bei der Tierhaltung große Probleme. Brandenburg hat ein DDR-Erbe angetreten mit riesigen industriellen Tiermastbetrieben. Etliche dieser Betriebe wurden von neuen Investoren übernommen. Wir haben in Brandenburg Legehennen- oder Masthähnchenbetriebe mit einer oder zwei Millionen Tieren. Die sind oft mitten im Wald und haben keinerlei landwirtschaftlichen Flächen. Das werden wir ändern.

Wie soll das gehen?
Wir wollen eine flächengebundene Tierhaltungspolitik, um die Nitratbelastung der Gewässer zu senken und Gülletransporte zu verringern. Tierhalter sollen auch Land vorhalten und bewirtschaften. Und wir wollen eine Größenbegrenzung. Für letzteres brauchen wir aber den Bund. So lange das Bundesimissionsschutzgesetz nicht entsprechend geändert wird, muss das Land solche Anlagen weiterhin genehmigen, das ist extrem misslich. Ich möchte keine neuen Anlagen mit 400.000 oder mehr Hühnern zulassen müssen.

Viele Bauern verabschieden sich aus der Tierhaltung.
Ja, das gilt vor allem für Milchbauern, die unter den schwankenden Milchpreisen leiden, aber seit Jahren auch für Schweinehalter. Viele haben zudem jetzt Angst vor der Afrikanischen Schweinepest.

Die rückt immer näher. Was ist, wenn man das erste infizierte Wildschwein in Brandenburg findet?
China und andere asiatische Länder nehmen dann kein Brandenburger Schweinefleisch mehr ab, die Preise rutschen in den Keller. Es kann Transportverbote geben, etwa für den Weg zum Schlachthof in andere Bundesländer. Wir haben ja in Brandenburg keine großen Schlachthöfe, die Tiere müssten nach Niedersachsen. Die Kosten steigen, die Erlöse sinken. Sobald das erste infizierte Wildschwein am Zaun liegt, ist die Krise da.

Noch sind die Schweinepreise hoch, aber wenn die Afrikanische Schweinepest nach Brandenburg kommen sollte, nehmen China und andere asiatische Länder kein Brandenburger Schweinefleisch mehr ab.
Noch sind die Schweinepreise hoch, aber wenn die Afrikanische Schweinepest nach Brandenburg kommen sollte, nehmen China und andere asiatische Länder kein Brandenburger Schweinefleisch mehr ab.

© imago

Glauben Sie, Sie können das mit Ihren jetzt gebauten Zäunen verhindern?
Wir – und damit meine ich auch das Verbraucherschutzministerium meiner bündnisgrünen-Kollegin Ursula Nonnemacher – versuchen wirklich alles. Unsere Zäune sind elektrisch und wirksam. Und Wildschweine werden an der Grenze zu Polen rigoros gejagt. Bei der Jagd ist jetzt nahezu alles erlaubt: Saufänge, also dass Wildschweine in Fallen gelockt und dort erschossen werden, verpflichtende Treibjagden im Landesforst, der Einsatz von Nachtsichtgeräten. Jedes tote Wildschwein wird auf das Virus hin untersucht. Man muss aber auch sehen, dass sich die Wildschweine enorm vermehrt haben.

"Der Wolf ist eine Bereicherung", meint Vogel.
"Der Wolf ist eine Bereicherung", meint Vogel.

© dpa

Ein weiterer Bewohner hat sich ebenfalls stark vermehrt, der Wolf. Bauern fürchten um ihre Nutztiere und fordern wolfsfreie Zonen. Wie sehen Sie das? Ist der Wolf eine Bereicherung oder eine Bedrohung?
Der Wolf ist eine Bereicherung. Wir freuen uns darüber, dass er bei uns ist, und er muss unbedingt weiter geschützt werden. Wir werden mit ihm leben, und auch die Landwirte leben mit dem Wolf. Wir ersetzen Schäden, wenn Nutztiere vom Wolf gerissen werden und zwar auch dann, wenn zwar nicht hundertprozentig feststeht, dass es der Wolf war, es aber auch nicht ausgeschlossen ist, dass ein Tier vom Wolf gerissen wurde. Wir setzen aber vor allem auf Prävention. Wir zahlen Schutzzäune und Herdenschutzhunde. Und wir wollen zukünftig auch die Futterkosten für die Hunde übernehmen. Die sind für viele Schäfer ja ein Problem. Die meisten Landwirte verstehen inzwischen auch, dass sie Vorkehrungen treffen müssen. Die Zahl der wahrscheinlich vom Wolf getöteten Tiere ist kaum angestiegen, obwohl es nun weit mehr Wölfe gibt.

Kürzlich ist das Bundesnaturschutzgesetz geändert worden. Wölfe können jetzt schneller getötet werden. Ist das richtig?
Ja. Früher durften Wölfe nur geschossen werden, wenn sie existenzbedrohende Schäden für einen Betrieb angerichtet haben, jetzt reicht ein ernster Schaden. Entscheidend bleibt die Überwindung der Schutzzäune. Das finde ich richtig. Es bleibt aber immer eine Einzelfallentscheidung – so wie wir es in unserer Wolfsverordnung bereits festgelegt haben.

Sie haben erwähnt, dass es in Brandenburg so gut wie keine Schlachthöfe gibt. Brandenburger Schlachtvieh reist durch die Republik. Wie kann man solche langen Tiertransporte verhindern?
Wir haben etliche kleine Dorfschlachtereien in Brandenburg, und es gibt die Prignitzer Landschwein Gesellschaft, die ein echter Vorzeigebetrieb ist und nebenan einen Schlachthof hat. Die Schlachtkapazitäten reichen jedoch hinten und vorne nicht. Es gibt aber keine Investoren, die in Brandenburg einen Schlachthof bauen wollen.

Warum nicht?
Weil die Branche extrem konzentriert ist. Mit 20.000 Schweineschlachtungen am Tag kann man es vielleicht schaffen, Discountern niedrige Preise zu machen. Solche Schlachtfabriken will ich hier nicht. Aber damit sich regionale, kleinere Schlachthöfe rechnen, müssen die Verbraucher bereit sein, mehr für das regionale Fleisch zu zahlen. Das Problem gibt es auch in anderen Bundesländern. Immer mehr kleine Schlachthöfe machen zu. Nötig ist ein Gesamtkonzept.

Giga-Factory in Grünheide: Derzeit sieht es für Tesla gut aus.
Giga-Factory in Grünheide: Derzeit sieht es für Tesla gut aus.

© dpa

Würde einem Regionalschlachthof-Investor genau wie Tesla der rote Teppich ausgerollt?
Natürlich! Wir würden alles tun, was möglich ist, um das zu unterstützen.

In Ihrer Verantwortung liegt auch das Imissionsschutz-Genehmigungsverfahren für die Elektroautofabrik. Kann das Projekt daran scheitern?
Ich denke nicht. Tesla hat ein renommiertes Büro gebunden, kopiert für Grünheide ja praktisch eine schon vorhandene Fabrik. Sie müssen also nicht alle Zeichnungen neu fertigen, der technische Ablauf ist klar und auch, was an Neben- und Abfallprodukten entsteht. Für unsere Behörden ist das Verfahren beherrschbar und auch in relativ kurzer Zeit leistbar. Und die parallel laufenden wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren, die beim Landkreis angesiedelt sind, werden wir mit unseren Fachleuten unterstützen.

Bei größeren Projekten, ob in Brandenburg oder bundesweit, gab es bisher stets Klagen von Umweltverbänden und oft Verzögerungen. Warum soll das ausgerechnet bei Tesla anders sein?
Wir haben einen Rechtsstaat, Klagen kann man nie ausschließen. Tesla und die Landesregierung haben gemeinsam ein hohes Interesse an einem rechtssicheren Verfahren. Wichtig ist dafür, dass wir uns an alle Bestimmungen einwandfrei halten, keinen politischen Einfluss nehmen, um keinen Stopp zu riskieren.

Warum sind Sie so optimistisch?
Auch deshalb, weil Tesla früh und offensiv auf die Naturschützer zugegangen ist. Das Angebot, den zu rodenden Kiefernwald dreifach zu kompensieren, kam von Tesla selbst. Die offensive Strategie von Tesla sollte stilbildend für andere Projekte sein. Und insgesamt will Tesla ja nicht nur eine CO2-neutrale Fabrik errichten, sondern Produkte herstellen, bei denen die deutsche Automobilindustrie die Zeit verschlafen hat: nämlich einhundert Prozent Elektro. Jeder Tesla ist ein Auto mit Verbrennungsmotor weniger. Es wird Sie nicht wundern, dass Bündnisgrüne das gut finden.

Haben Sie mal sondiert, einen Tesla als Dienstwagen zu fahren?
Das habe ich wohlweislich bisher nicht getan.

Sie warten ab, bis die Fabrik steht, damit es nicht einmal den Anschein von Interessenverquickungen geben kann?
Genau.

Bio-Essen aus Brandenburg sollen Berliner Schulkinder künftig bekommen. Doch noch kann Brandenburg Berlin nicht satt machen.
Bio-Essen aus Brandenburg sollen Berliner Schulkinder künftig bekommen. Doch noch kann Brandenburg Berlin nicht satt machen.

© dpa

Zurück zur zeitgemäßen Agrarpolitik. Berlin hat eine neue Ernährungsstrategie. Danach soll sich die Stadt bio-regional ernähren. Kann Brandenburg das leisten?
Brandenburg kann das bisher nicht. Aber genau das ist das Ziel. Die Schwachstellen kennen wir seit dem gescheiterten Versuch, die Verpflegung von Berliner Kitas eine Woche lang bio-regional zu organisieren. Damit das künftig gelingt, müssen infrastrukturelle Voraussetzungen geschaffen werden, auch Kapazitäten. Es geht also um eine länderübergreifende Ernährungsstrategie, mit der Berliner Nachfrage und Brandenburger Produzenten endlich wirksam vernetzt werden.

Noch sieht die Realität so aus, dass in Niedersachsen Biokartoffeln auf 2700 Hektar angebaut werden, in Brandenburg aber nur auf 270 Hektar.
Ja, gerade bei Gemüse und Obst können wir bisher die Nachfrage Berlins nicht bedienen. Deshalb wollen wir die Prämien für Betriebe erhöhen, die auf Biogemüse umstellen oder Bioobst produzieren.

Wann kommt das geplante „Regionalsiegel“ für Lebensmittel aus der Mark?
So schnell wie möglich, aber bis 2021 wird es wohl dauern. Wir arbeiten mit Hochdruck am Brandenburger Regionalsiegel. Dabei muss allerdings vieles bedacht werden, damit es von der EU genehmigt wird. Es allein auf die Geografie zu beziehen, auf Brandenburg, wird nicht reichen. Wir müssen uns da mehr einfallen lassen. Aber wir werden es schaffen, ein Regionalsiegel einzuführen.

Wird es ein reines Bio-Siegel sein?
Nein, denn das Ziel ist es, mit dem Siegel bei Ausschreibungen etwa von Kitas, Schulen oder Kantinen im Verbund mit der Berliner Ernährungsstrategie regionale Produkte aus Brandenburg in die Vorhand zu bringen, aus ökologischer und konventioneller Herstellung.

Für einen Grünen sind das ungewöhnliche Töne.
Das sehe ich nicht so. Wir bewegen uns schließlich in einem europa-, ja weltweiten Markt. Mit den Preisen für spanisches Obst und Gemüse können Brandenburger Bio-Produzenten bisher nicht mithalten. Wir wissen, dass die nicht nachhaltig produziert werden, auch wenn da ein Ökosiegel drauf ist. Auch deshalb ist es für uns entscheidend, nicht nur auf Bio zu setzen, sondern es mit dem Regionalen zu verbinden.

Ist das Gemüse aus konventioneller Produktion in Brandenburg im Zweifelsfall immer noch besser als Bio-Tomaten aus spanischen Mega-Plantagen?
Ja, das könnte man so sehen.

Wann kann Brandenburg generell Berlin satt machen?
Genau dann, wenn wir diesen internationalen Wettbewerb bestehen. Das geht nicht allein über den Preis, über Bio-Zertifizierungen. Am Ende schaffen wir das nur, wenn tatsächlich ein Bewusstsein bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern wächst, ganz egal ob aus Verbundenheit zu Brandenburg oder aus ökologischer Vernunft, weil wir nicht wollen, dass unsere Tomaten tausend oder zweitausend Kilometer hergefahren werden. Wir haben gewonnen, wenn das ankommt: Regional ist erste Wahl.

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