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Berlin: Brandenburgs längste Schlange

In keinem Bundesland gibt es gemessen an der Einwohnerzahl weniger Fachärzte. Die Patienten müssen enorm lange warten – und Besserung ist nicht absehbar.

Von Matthias Matern

Potsdam - Das Land Brandenburg ist bei der fachärztlichen Versorgung bundesweites Schlusslicht. In keinem anderen Bundesland gibt es weniger Fachärzte pro Einwohner. In Deutschland kommen auf einen Facharzt durchschnittlich 1155 Einwohner, in Brandenburg sind es nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung des Landes (KV) 1416. Selbst andere ostdeutsche Flächenländer wie Mecklenburg-Vorpommern (1:1271) oder Sachsen-Anhalt (1:1302) weisen ein besseres Verhältnis auf. „Wir haben kein hausärztliches Versorgungsproblem, sondern ein fachärztliches“, sagt der Vorstandsvorsitzende der KV Brandenburg, Hans-Joachim Helming. In der Politik werde der Fokus immer völlig falsch auf die Hausärzte gelegt. Zwar gebe es auch bei den Allgemeinmedizinern zahlreiche nicht besetzte Stellen, doch könnten dort Engpässe durch Praxen in Nachbarregionen noch einigermaßen ausgeglichen werden. Einige Fachärzte dagegen müssten bereits neue Patienten wegen Überlastung abweisen, berichtet Helming. Am größten sei der Mangel bei Hautärzten.

Wie schwierig es teilweise ist, einen Facharzttermin zu bekommen, hat sich vor kurzem in Rathenow (Havelland) gezeigt. Bis zu 260 Menschen harrten dort bei eisigen Temperaturen in einer langen Warteschlange aus, um bei der Terminvergabe zu Quartalsbeginn berücksichtigt zu werden. Berichte über die Situation vor Ort hatten für Aufregung gesorgt, Wartende äußerten sich verärgert. Wartezeiten von mehreren Monaten für einen Facharzttermin sind der KV zufolge im Land Brandenburg keine Seltenheit. „Meist spielt sich das aber telefonisch ab. Solche Warteschlangen wie in Rathenow sind eher die Ausnahme“, sagt der KV-Vorstandschef. Das Problem sei, dass sich zum Beispiel bei Augenärzten viele Spezialisten ausschließlich auf Operationen konzentrieren, aber die augenärztliche Grundversorgung gar nicht anbieten.

Mit einer Flexibilisierung der sogenannten Bedarfsplanung soll dem zunehmenden Ärztemangel in vielen ländlichen Regionen bundesweit begegnet werden. Sie regelt, wie viele Ärzte sich in einer Region niederlassen dürfen. Ende 2012 hatte sich der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken wie berichtet auf eine entsprechende Neuregelung geeinigt. Um auf den Bedarf vor Ort besser reagieren zu können, sollen Länder künftig die Planungsbereiche, die sich bisher an den Landkreisen orientierten, nach der Größe der untergeordneten Mittelbereiche gestalten dürfen, also jener Städte und Gemeinden, denen eine besondere Versorgungsfunktion für umliegende Ortschaften zukommt. Die alte Einteilung hatte in Brandenburg zum Beispiel dazu geführt, dass in der Gesamtbetrachtung eines Kreises die Ärzteversorgung zwar ausreichend war, sich im Detail aber zeigte, dass sich in nahe an Berlin gelegenen Kommunen Praxen häuften, diese andernorts aber fehlten. Zudem blieben bei der Festlegung der Ärztestellen Kriterien wie die Altersstruktur völlig außer Acht. Dies soll künftig durch einen Demografiefaktor berücksichtigt werden. Bundesweit soll es bis zu 3000 neue Arztstellen geben – aber nur für Hausärzte.

Bis zum Sommer haben die Bundesländer Zeit, die neue Bedarfsrichtlinie umzusetzen. Nach der alten Planungsrichtlinie fehlen derzeit in Brandenburg der KV zufolge etwa 120 Haus- und sieben Fachärzte, darunter vier Hautärzte. Doch die Zahl steigt ständig, weil immer mehr Ärzte altersbedingt aufhören oder keinen Nachfolger finden. Zwar begrüßt auch der KV-Vorstandsvorsitzende Hans-Joachim Helming die Lockerung der Ärzteeinteilung, das Problem des Ärztemangels auf dem Land ist aus seiner Sicht damit aber noch nicht beseitigt. „Wie bekomme ich die Ärzte auf die freien Stellen?“, fragt Helming. Junge Mediziner, die etwa nach ihrem Studium in Berlin zur Facharztausbildung nach Brandenburg kämen, würden oft schnell wieder wegziehen, weil sie feststellten, wie hoch das Arbeitspensum bei vergleichsweise schlechter Bezahlung sei. Lediglich 338 Euro pro Jahr und Patient stellen die Krankenkassen den Ärzten in Brandenburg für die medizinische Versorgung zur Verfügung. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 346 Euro. Darüber hinaus, so Helming, fehle es in vielen strukturschwachen Regionen einfach an der nötigen Lebensqualität, um junge Leute zu binden.

Renommierte Mediziner wie der Potsdamer Krebs-Spezialist Professor Georg Maschmeyer setzen auf den Aufbau einer eigenen medizinischen Ausbildung. Brandenburg ist das einzige Bundesland ohne eine entsprechende Fakultät. Allerdings gibt es derzeit zwei relativ weit gediehene Projekte. Die Hoffnung: Wer sich zur Ausbildung niederlässt, geht so schnell nicht mehr weg. Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) dagegen meint, die Ausbildung könne zwar ein Baustein sein, der Hausärztemangel im ländlichen Raum lasse sich dadurch aber kaum beheben.

Auch der KV-Vorstandsvorsitzende Helming ist skeptisch. Nötig seien finanzielle Anreize, die den Druck des unternehmerischen Risikos bei Übernahme oder Aufbau einer Praxis auf dem Land milderten. Auch die Zahlung einer Art Bafög während der Facharztausbildung, das bei Verbleib in der Region nicht zurückgezahlt werden müsse, sei ein guter Ansatz. Solche Angebote gebe es noch nicht in ausreichender Menge. Die KV ihrerseits ist dabei, ein spezielles System aufzubauen für Ärzte, die sich in unterversorgten Regionen niederlassen wollen, aber das Risiko scheuen. Dabei tritt die KV über eine Tochter des Bundesverbandes selbst als Praxisbetreiber auf, sorgt für die technische Ausstattung und stellt die Ärzte an. Anfang Januar hat die KV eine erste sogenannte „KV RegioMed Praxis“ in Joachimsthal (Barnim) eröffnet.

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