zum Hauptinhalt

Brandenburgs Regierungschef: Mit Platzeck soll der BER abheben

Der brandenburgische Regierungschef soll es nun richten. Als Deichgraf hat er sich bewährt, als Parteichef war er überfordert. Kann Matthias Platzeck das Großprojekt retten?

Außerhalb der Region und im Selbstverständnis der Metropole ist immer vom neuen Berliner Hauptstadt-Flughafen die Rede, der im brandenburgischen Schönefeld gebaut wird: Es lag zumindest eine gewisse Logik darin, dass Berlin mit dem Regierenden Bürgermeister den Vorsitz des BER-Aufsichtsrates für das wichtigste Infrastrukturprojekt Ostdeutschlands stellte – bis zum Pannendesaster und der jetzt erneut gescheiterten und auf unbestimmte Zeit verschobenen Eröffnung. Nun gibt Klaus Wowereit das Amt auf – und dabei den Berliner Vorsitz an den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck ab, der bislang dort sein Vize war. Das verändert die Koordinaten am BER.

Was bedeutet die Rochade formal, welche Kompetenzen hat der BER-Aufsichtsratschef überhaupt?

Der Vorsitzende ist, Wowereit hat es stets zelebriert, die Nummer eins. Er ist es, der zu den Sitzungen des Kontrollgremiums einlädt. Er koordiniert, beeinflusst selbst maßgeblich, was auf die Tagesordnung kommt, welche Unterlagen die Mitglieder erhalten. Und er leitet die Sitzungen. Mehr noch: Vor allem der Vorsitzende hält zwischen den Sitzungen den permanenten Kontakt zur Geschäftsführung, hat einen anderen Zugang zu Informationen. Klaus Wowereit, Machtpolitiker durch und durch, ging in dieser Rolle auf. Er hat das Kontrollgremium dominiert, sich auch im Amt gesonnt. Am desaströsen Ergebnis, dass der BER ein verpfuschter Schwarzbau ist, nicht fertig und immer teurer wird, ändert es nichts. Für Berlin ist die Abgabe des Vorsitzes dennoch ein weiterer Prestigeverlust. Formal hält Brandenburg mit 37,5 Prozent allerdings einen gleich hohen Anteil wie Berlin am Flughafen. Er entsteht auf brandenburgischem Gebiet, vor allem dort wirken die Nachteile und Belastungen.

Kann Platzeck die Karre aus dem Dreck ziehen?

Zweifel daran sind mehr als angebracht. Zu groß ist das Desaster, zu unkalkulierbar. Brandenburgs Regierungschef war als bisheriger Vize-Aufsichtsratschef bei allen bisherigen Entscheidungen zum BER beteiligt. Die eigentliche Frage ist, ob bei einem so aus dem Ruder gelaufenen Projekt wie dem BER überhaupt ein Politiker den Aufsichtsrat führen sollte. Eine plausible Begründung, warum der Vorsitz nicht an einen Industriemanager gegeben wird, gibt es nicht.

Warum hat Platzeck es als Vize nicht besser gemacht?

Das ist eine Achillesferse. Er selbst hat stets betont, dass die Entscheidungen im Aufsichtsrat alle einvernehmlich gefallen sind. Es ist nicht bekannt, dass es Vorstöße Platzecks im Aufsichtsrat gab, die an Wowereit gescheitert wären, etwa für eine strengere Kontrolle der Geschäftsführung. Im Gegenteil, es war eher so, dass sich Platzeck und Brandenburgs Vertreter auf Wowereit verließen. Der war, wie auch aus Aufsichtsratsprotokollen hervorgeht, dort der Wortführer. Auch Flughafenmanager Rainer Schwarz hielt sich lange allein an Wowereit, ließ Platzeck eher links liegen.

Kann es auch Vorteile haben, dass Platzeck BER-Aufsichtsratschef wird?

Durchaus möglich. Platzeck hat ein anderes Naturell als der eher ruppig-schnoddrige Wowereit, gilt als verbindlicher, kommunikativer, pflegt einen anderen Umgangs- und Führungsstil. Spät, nämlich mit der Krise seit Frühjahr 2012, hat Platzeck sich in das Projekt hineingekniet. Viele Probleme, die jetzt zu lösen sind, etwa nach den eklatanten Verstößen gegen die Baugenehmigung das Terminal samt Brandschutzanlage funktions- und abnahmefähig zu machen, erfordern enge Abstimmungen mit brandenburgischen Behörden. Und Platzeck hat nunmehr zwanzig Jahre politische Führungserfahrung. Andererseits fehlt es – bislang – an Know-how, an einem professionellen Apparat: In Platzecks Staatskanzlei sind für die Begleitung des Flughafenprojekts nicht einmal eine Handvoll Mitarbeiter zuständig.

Was will Platzeck anders machen?

Er hat eine erste Agenda vorgestellt, nach der er Strukturdefizite beheben will – und zwar im Aufsichtsrat und in der Geschäftsführung. Danach soll das Kontrollgremium um externen Sachverstand erweitert werden. Zum anderen soll die künftige BER-Geschäftsführung – nach der als sicher geltenden Ablösung des Managers Rainer Schwarz – einen Vorsitzenden haben. Und daneben zwei weitere Mitglieder, neben Technikchef Horst Amann einen weiteren Finanzvorstand, nach dem schon länger hinter den Kulissen gesucht wird. Schwarz ist bislang lediglich „Sprecher“ der Geschäftsführung, für Bauprobleme hatte er sich etwa bei Anhörungen durch die Soko des Bundesverkehrsministeriums für nicht zuständig erklärt. Amann und Schwarz ziehen nicht an einem Strang.

Wie ist Platzecks Rückhalt in Brandenburg?

Für einen, der zwanzig Jahre in Amt und Würden und für das BER-Debakel mitverantwortlich ist, erstaunlich hoch. Platzecks Lage ist – bislang – fundamental anders als die von Klaus Wowereit in Berlin, der in der Bevölkerung und der eigenen Partei mit dem BER-Fiasko rasant an Vertrauen verlor, und mit ihm die SPD. Platzeck und die von ihm geführten Sozialdemokraten haben im letzten Jahr kaum Einbußen in der Wählergunst hinnehmen müssen. Nach einer  Forsa-Umfrage glaubten im Dezember 2012 schon 75 Prozent der Brandenburger nicht mehr, dass der Airport im Oktober 2013 eröffnet wird. Trotzdem kam Platzecks SPD bei der Sonntagsfrage auf 36 Prozent, vor den mitregierenden Linken mit 24 Prozent und der CDU-Opposition mit 22 Prozent. Platzeck regiert mit einer stabilen rot-roten Koalition. Trotzdem wird der Druck auf ihn größer. Nach der CDU fordern jetzt auch die Grünen im Landtag Platzecks Rücktritt als Regierungschef.

Wie stemmt Brandenburg die ständig wachsenden Kosten für den Bau?

Das ist die zweite große Achillesferse für den Regierungschef. Der BER hat inzwischen Sprengkraft für den Landeshaushalt Brandenburgs, der ein Jahresvolumen von rund 10 Milliarden Euro hat. Schon die 440 Millionen Euro, die der Landtag im Dezember bewilligte, sind höher als die jährlichen Landesausgaben für alle Hochschulen des Landes. Bei der Polizei wird gespart, das Bildungssystem gilt als schlecht und unterfinanziert, es ist kaum noch Geld für Straßenreparaturen da. Wenn hunderte Millionen für den Flughafen nachgeschossen werden müssen, verschärfen sich die Konflikte.

Ist Platzeck dem enormen Druck, der nun auf ihm lastet, gewachsen?

Mit dem Aufsichtsratsvorsitz setzt Platzeck, gerade 59 geworden, alles auf eine Karte. Scheitert er mit dem Versuch, die Karre aus dem Dreck zu ziehen, sind auch seine Tage als Ministerpräsident gezählt. 2014 sind Landtagswahlen in Brandenburg, die nun vom Flughafenthema überlagert werden, mit dem SPD-Spitzenkandidaten als Hauptverantwortlichem für das Krisenmanagement. Platzeck, der sich bislang im Schatten Wowereits hielt, wird nun zur Zielscheibe härterer Auseinandersetzungen – auch in Berlin, auch auf Bundesebene. Er gilt als sensibler, weniger robust als Wowereit, musste als kurzzeitiger SPD-Bundesvorsitzender wegen Überlastung und gesundheitlicher Probleme zurücktreten. Andererseits gehört es gerade zu Platzecks politischer Vita, dass er in Krisensituationen stärker wurde, etwa als „Deichgraf“ bei Jahrhundertfluten an Oder und Elbe, aber auch im Landtags- und Bundestagswahlkampf 2004, wo er auf den Marktplätzen die umstrittene Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze gegen den Volkszorn verteidigte.

Wird aus dem Brandt-Flughafen nun vielleicht der HildeBrandt-Flughafen?

Kein Namenspatron hätte es verdient, dass sein Name mit dieser Pleite verbunden wird. Wie am Hauptstadt-Flughafen Milliarden verschleudert werden, hätte die frühere brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt sicher auf die Barrikaden getrieben. Aber eins ist klar, der Aufsichtsratsvorsitzende hat auch nur eine Stimme, an den Mehrheitsverhältnissen ändert sich nichts. Es wird jetzt kein brandenburgischer Aufsichtsrat, der handstreichartig sogar den Namen ändern könnte.

Zur Startseite