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Immer wieder Feuer. Im Jahr 2018 verzeichnete die Berliner Polizei 258 Brandstiftungen , 2019 waren es 344. Im ersten Halbjahr 2020 wurden bereits 158 gelegte Autobrände registriert.

© imago/Christian Mang

Update

Brennende Autos: Wer zündet in Berlin Nacht für Nacht Fahrzeuge an?

Anschlag, Beziehungstat oder Vandalismus? Die vielen brennenden Autos geben der Polizei Rätsel auf. Ob es sich um eine Serie handelt, ist noch unklar.

Montagnacht, kurz vor 3 Uhr: Eine Mieterin alarmiert die Rettungskräfte, weil auf einem Parkplatz unter einem Wohnhaus in der Neuköllner Jahnstraße acht Autos und zwei Mopeds brennen. Fenster zerspringen, der Rauch dringt bis in die Wohnungen. Ein Sprecher der Feuerwehr spricht von „Glück“, dass die Feuerwehrleute so schnell vor Ort waren – so konnte ein Übergreifen der Flammen auf das Wohnhaus verhindert werden.

Die Flammen sind nach rund 15 Minuten gelöscht, gegen 4 Uhr morgens ist der Einsatz beendet. Rund 100 Mieter müssen aus ihren Wohnungen evakuiert werden, sechs Menschen erleiden leichte Rauchvergiftungen. Drei Wohnungen werden so stark beschädigt, dass sie als unbewohnbar gelten. Tage später wird das Bezirksamt das Haus für vorübergehend nicht bewohnbar erklären und auf die Statik verweisen. Zeitgleich brennt wenige Hundert Meter weiter ein Auto in der Karl-Marx-Straße.

Am Dienstag meldet sich Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) zu Wort. „Hier werden Menschenleben riskiert. Ich hoffe sehr, dass die Täter bald erwischt werden“, erklärt er in einem Facebook-Post und verweist auf weitere Brände in der Schönstedtstraße und der Donaustraße einige Tage zuvor.

Ebenfalls am Dienstag, gegen 2 Uhr morgens, hatte ein Taxifahrer ein brennendes Auto in der Neuköllner Bouchéstraße bemerkt. Die Liste ließe sich fortsetzen: In der Nacht zu vergangenem Sonntag brannten zwei Roller in der Pflügerstraße ebenfalls in Nord-Neukölln, fast zeitgleich ging ein Audi am angrenzenden Weigandufer in Flammen auf.

In allen Bränden ermittelt aktuell das Landeskriminalamt wegen des Verdachts auf Brandstiftung, Hinweise auf eine politische Motivation sieht die Polizei bislang nicht. Ob es sich bei den Autobränden in Neukölln um eine Serie handelt, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar.

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Aktivisten und Anwohnende vermuten zumindest teilweise Verbindungen zu rechtsextremen Anschlägen und Farbschmierereien auf Wohnhäusern in den vergangenen Monaten in Nord-Neukölln. So brannte am 19. Juni ein Lieferfahrzeug vor einer syrischen Bäckerei in der Sonnenallee ab. Die Bäckerei selbst wurde mit SS-Runen beschmiert. Die Polizei ermittelt, ob beide Taten zusammenhängen. Die Sonderkommission „Fokus“, die eine Serie von über 70 rechtsextremen Anschlägen und Angriffen in Neukölln aufklären soll, wurde ebenfalls aktiv.

In Berlin werden immer wieder Autos in Brand gesteckt. Seit dem vergangenen Jahr verzeichnet die Polizei einen Anstieg: Wurden im gesamten Jahr 2018 258 Brandstiftungen registriert, waren es 2019 344. Im ersten Halbjahr 2020 (Stichtag 9. Juli) registrierte die Polizei bereits 158 gelegte Autobrände. In einigen Fällen wurden mehrere Fahrzeuge, zum Teil absichtlich, zum Teil zufällig, beschädigt.

In lediglich rund zehn Prozent der Fälle, in diesem Jahr bislang insgesamt 17, geht die Polizei von einer politischen Motivation aus. Die Mehrheit davon, insgesamt 15, rechnet der Staatsschutz Linksextremen zu, zwei Fälle – unter anderem jenen aus der Sonnenallee von Mitte Juni – Tätern aus dem rechtsextremen Bereich. Die Aufklärungsrate bei derartigen Vorfällen ist gering: Seit 2018 konnten demnach lediglich drei Brandstiftungen aufgeklärt werden, bei denen die Polizei von einem politischen Hintergrund ausgeht.

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Ob der oder die Täter aus politischen Gründen zündelten, ist allerdings nicht so einfach zuzuordnen. „Bei den politisch motivierten Taten können die jeweiligen Motive nur festgelegt werden, wenn es entsprechende Selbstbezichtigungsschreiben gibt“, teilt Anja Dierschke, Sprecherin der Berliner Polizei, mit. Entsprechende Schreiben gibt es demnach oftmals aus dem linksextremen Milieu – hier würden Täter ihre Motive in Bekennerschreiben am häufigsten mit der Gentrifizierung, dem Antifaschismus, dem Antimilitarismus und der Antirepression begründen. Fehlt ein entsprechendes Bekennerschreiben, tappt die Polizei oft im Dunkeln.

Seit 2018 wurde laut Polizei gegen insgesamt 83 Personen ermittelt, die verdächtigt wurden, aus nicht politischen Gründen Autos angezündet zu haben. Wie viele Fälle letztendlich aufgeklärt wurden, bleibt unklar. Die Ermittler gehen davon aus, dass viele Autobrände auf Vandalismus – etwa aus Langeweile –, auf Beziehungstaten oder Versicherungsbetrug zurückgehen, die Täter psychische Erkrankungen aufweisen oder andere Straftaten durch die Brände verdeckt werden sollen.

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In einigen Fällen spiele auch Sozialneid eine Rolle. Dieser wurde etwa dem 2012 verurteilten Serienbrandstifter André H., einem gelernten Lackierer und Maler, von den Ermittlern attestiert. H. gestand vor Gericht 102 Brandstiftungen – mehr, als die Ermittler ihm bis dahin überhaupt zugerechnet hatten. Im Prozess sagte er aus, er habe es „ungerecht gefunden, dass sich andere teure Autos kaufen können, während ich in Schulden stecke.“ Er erklärte: „Reiche sollten sich auch mal ärgern.“ Damals ermittelte eine Sonderkommission.

Auch Mitte 2019, als sich eine erneute Häufung der Brandstiftungen abzeichnete, berief die Polizei die Einsatzgruppe „Nachtwache“ mit zunächst fünf Ermittlern ins Leben.

Parallel kündigte die Berliner CDU eine Prämie von 1000 Euro für sachdienliche Hinweise an, die zur Aufklärung von Brandstiftungen führen – der Neuköllner Kreisverband wollte noch einmal 200 Euro drauflegen. Ausgezahlt wurde die Prämie allerdings nie, wie der Neuköllner Kreisvorsitzende und stellvertretende Landesvorsitzende der CDU, Falko Liecke, auf Anfrage bestätigt. „Mit unserem öffentlichen Aufruf und der ausgelobten Prämie wollten wir politisch verdeutlichen, dass wir anders als der Innensenator nicht gewillt sind, tatenlos zuzuschauen, wie Nacht für Nacht in Berlin Autos abfackeln“, teilte Liecke mit.

CDU hätte die Prämie "sehr gerne ausgezahlt"

Wäre jemand durch einen entsprechenden Hinweis rechtskräftig verurteilt worden, hätte die CDU die Prämie „sehr gerne ausgezahlt“. „Ob das so war, können wir nicht sagen, aber wir können zumindest festhalten, dass sich niemand bei der CDU gemeldet und Anspruch auf die Prämie erhoben hat“, sagt Liecke weiter und kündigt an, weiter mit Nachdruck darauf pochen zu wollen, dass der Senat „endlich einen ernsthaften Aufklärungswillen zeigt“. Auch die Polizei will nicht spekulieren, ob die Ankündigung der CDU ernsthaft zu Hinweisen geführt hat. Entsprechende Statistiken zu den Hinweisen würden nicht geführt und politische Kampagnen nicht bewertet, heißt es.

Derweil brennen weiter fast jede Nacht Autos in Berlin – am Mittwoch ein Wohnanhänger in Prenzlauer Berg, am Donnerstag ein Renault in Hellersdorf. Am Samstag wurden bei einem Brand in einer Tiefgarage in Charlottenburg drei Autos komplett zerstört. Am Sonntag teilte die Polizei mit, sie vermute Brandstiftung. Die Ermittlungen in allen drei Fällen dauern an.

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