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Brian Williams (1918-2017)

© privat

Berlin: Brian Williams (Geb. 1918)

Er schmuggelte sein Fräulein in einem Jeep durch die sowjetische Kontrolle

Mochten Sie mit mir tanzen?“ Sein Deutsch war grauenvoll, aber sein Lächeln umwerfend. „Maybe it’d be better if you spoke English!“, entgegnete das Fräulein frech.

Ein Sommerabend im August. Tanz in der „Femina-Bar“. Brian bat Gabi um ihre Hand, zum Tanz. Er hätte unter vielen Fräuleins wählen können in diesen Nächten, in Berlin 1945, aber Gabi ließ es nicht dazu kommen. Eine unmögliche Liebe, eigentlich, denn ohne den Krieg hätten die beiden einander nie gefunden.

„Hands off Spain, Hitler!“, skandierte Brian 1936 vor der deutschen Botschaft in London. Er war ein Labour-Mann, katholisch erzogen, aber ohne Hang zur Religion. Seine Mutter war Irin, daher sein Lachen, sein Vater Waliser, daher die Liebe zu den Bergen. Er selbst fühlte sich als Brite, nicht als Engländer, darauf legte er Wert. Brian hatte eine wunderbare Kindheit in Bolton, nahe Manchester. Seine Eltern spielten im Kinoorchester, bis der Tonfilm ihnen die Arbeit nahm. Der kleine Brian wurde im Kino zum Mann, er traf alle Helden der Zeit und wollte doch selbst nie einer sein.

Er begann in London eine Buchhalterlaufbahn bei der Post, aber als der Krieg ausbrach, blieb ihm keine Wahl, nicht weil er die Deutschen hasste, sondern weil er die Faschisten bekämpfen wollte. Brian meldete sich freiwillig und wurde zum Maschinengewehrschützen ausgebildet. Als er im Herbst 1944 in Frankreich eintraf, schien der Krieg schon fast vorbei. Die Deutschen waren auf dem Rückzug. Wenn er sie unter Beschuss nahm, dann zielte er nicht auf einzelne Soldaten, sondern mähte mit dem Gewehrfeuer ganze Areale. Die Moral war gut, Tote sah er selten.

Weihnachten hatten sie die Grenze zu Deutschland überquert. Es hagelte keine Bomben, sondern Christmas cards, ein verzweifelter Akt der psychologischen Kriegsführung, mit dem die Deutschen sie zur Heimkehr bewegen wollten. Aber Brian stürmte voran, bis er mit einem Spähtrupp unter Granatwerferbeschuss geriet. Die meisten Schrapnells fing sein Kamerad ab, dem es die Schädeldecke wegriss, was die Sanitäter erst bemerkten, als sie den Helm abnahmen. Brian hatte Bombensplitter im Rücken, in den Beinen, im Unterleib. „Gerade noch mal Glück gehabt“, meinte die Krankenschwester in Amiens. Nach vier Wochen kehrte er zu seiner Einheit zurück.

„The great rush through“; sie marschierten in wenigen Wochen bis nach Hamburg. Deutsche sah er kaum. Hin und wieder vereinzeltes Feuer, aber keine geordnete Gegenwehr. Die Bevölkerung auf dem Land schien keinen Hunger zu leiden. Von Kriegsschäden war wenig zu sehen, bis sie Hamburg erreichten. Ein Trümmerfeld. Allein in dieser Stadt wurden durch die Bombenangriffe und das große Feuer mehr Häuser zerstört als in ganz England während des gesamten Krieges, rechnete Brian gelegentlich vor.

Am 4. Juli marschierte er in Berlin ein und wurde mit einem Himmelfahrtskommando betraut. Er sollte die Stadt von Kriegshinterlassenschaften räumen, Patronen, Gewehre, Panzer und natürlich Bomben. „Shitscared“ war er bei diesem Job. Am Tag Lebensgefahr, am Abend Ausgang ins Leben. Er war Captain der Sieger, er war ein gut aussehender Mann, und er wollte endlich wieder Spaß haben.

Waltraudt Gerda Gabriele war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Der Vater hatte sich in den Jahren der Wirtschaftskrise mit allen möglichen Arbeiten durchgeschlagen, die Mutter die Wäsche anderer gewaschen. Beide waren sie Sozialdemokraten, aber ohne große Hoffnung auf ein besseres Leben. Der Vater machte sich davon, die Mutter krempelte die Ärmel hoch, gründete einen kleinen Lebensmittelhandel, schaffte es von Moabit nach Wilmersdorf, betrieb fortan Delikatessenhandel. Ihre Tochter sollte es besser haben, studieren, in die Welt hinausgehen, aber Hitler machte alle Hoffnungen zunichte. Gabi gab ihre Bücher dennoch nicht auf, sondern wechselte nur die Umschläge. So konnte sie weiterhin Heine lesen, während die anderen Rilkes wehrertüchtigende „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ rezitierten und sehr laut Wagner hörten. Sie zog Mendelssohn vor.

Alles lief auf Krieg hinaus. Der Körperkult, die Verunglimpfung der jüdischen Nachbarn, die Hetzjagd auf Andersdenkende. Freunde kamen ins Konzentrationslager, nur wenige kehrten zurück, schwiegen über die Misshandlungen aus Angst vor weiteren. Ihre Mutter weinte, als der Krieg ausbrach, die Massen jubelten. Der Jubel hielt an, bis die Bomben immer dichter auf Berlin fielen. Die Not machte kleinlaut. Essen, warme Kleidung, Kohlen, sauberes Wasser, es mangelte an allem. Die heimgekehrten Invaliden bezeugten die Schrecken des russischen Winters, ungeheure Opferzahlen machten die Runde, die Brände der Phosphorbomben loderten wochenlang. Zehn Minuten von der Wohnung bis zum Bunker, ein Wunder, dass Mutter und Tochter überlebten. Viele wollten jetzt das Ende des Krieges. Alle fürchteten die Rache der Sieger.

Am 26. April feierte Gabi ihren 18. Geburtstag. Gewehrfeuer, Straßenkampf. Nazis, die um Zivilkleidung bettelten. Kein Wasser, nichts zu essen. Im Keller sitzen, warten, eine Woche lang Hölle. Artilleriebeschuss, Lastwagen voller Leichen, Kindern wurden Panzerfäuste in die Hand gedrückt, Greise mit Gewehren bewaffnet, ohne einen Schuss Munition. Der Gang zum Hydranten, um Wasser zu holen, war lebensgefährlich. Am 2. Mai waren die Russen auch in Wilmersdorf. Gabi begrüßte sie nicht als Befreier. Weil sie grausam waren, gierig nach Rache. Andere gaben Essen, die russischen Soldaten forderten es, das machte für sie den Unterschied. Und dann war plötzlich Sommer in Berlin.

„Morgen muss ich fahren“, eröffnete ihr Brian.

„Ich komme mit“, entschied Gabi. „Ich habe keine Lust, Trümmerfrau zu sein, obwohl ich gar nichts zertrümmert habe!“

Ihr Vater war gegen die Heirat: „Ist ein Deutscher nicht gut genug?“ Und gab dann doch seine Einwilligung. Brian wurde als „War Crimes Investigator“ nach Schleswig-Holstein versetzt und schmuggelte sein Fräulein in einem Jeep durch die sowjetische Kontrolle.

Sie heirateten Silvester 1947 in London. Das Leben ging wieder seinen gewöhnlichen Gang. Brian kehrte ins Post Office zurück, Gabi fand eine Stelle beim Sozialamt, ihre Tochter wurde geboren. Jeden Sonntag spielte Brian Tennis mit seinen Freunden. Die beiden musizierten, Sibelius mit Vorliebe, Beethoven, aber die deutsche Sprache mied Gabi.

Brian war noch immer ein überzeugter Labour-Mann. Wenn seine ganz persönliche Feindin Margaret Thatcher erschien, schmiss er gern auch mal mit Gegenständen auf den Fernseher. Und wenn die Royals paradierten, stimmte er seinen Kampfgesang an: „We’ll turn Buckingham Palace into blocks of workers’ flats.“

Den Worten ließ er Taten folgen, nach seiner Pensionierung arbeitete er acht Jahre als Labour-Bezirksabgeordneter. Der Klassenkonflikt wurde für ihn schmerzhaft real, als Gabi schwer erkrankte. Wer auf das britische Gesundheitswesen angewiesen ist, lernt hoffen.

Gabi starb, die Stadt war leer ohne sie. Die Tochter arbeitete schon viele Jahre in Berlin für die britische Botschaft, und so entschloss sich Brian, als Rentner in die Stadt zurückzukehren, in die er einst als Soldat einmarschiert war. Aber er behielt seine britische Lebensweise bei. Was in erster Linie hieß, dem „Guardian“ treu zu bleiben und mit überschaubarem Erfolg die unerhört schweren Kreuzworträtsel zu lösen. Er brachte seinen Enkeln das Fußballspielen bei und nahm Deutschunterricht – mit mäßigem Erfolg, denn er konnte sich auch so gut verständigen. Wo immer es in Schönow einen Bierausschank gab, stand er seinen Mann. Drei Bier, dann war es genug. Das Trinkgeld entsprach allerdings stets der doppelten Menge.

Er ging gern umher in der Gegend und staunte zuweilen über die Deutschen und ihre seltsamen Angewohnheiten. Warum aßen sie in der S-Bahn? Warum mussten sie dauernd über Krankheiten sprechen? „Ich nehme keine Tabletten. Mal sehen, wie schlimm es wird.“ Als in einem Jahr gleich sieben seiner Freunde zu Grabe getragen wurden, wusste er, dass es auch mit ihm bald zu Ende gehen würde. Das machte ihm keine Angst. Er hatte das Leben mit all seiner Kraft geliebt, mehr konnte er nicht tun. Geld und Ruhm waren ihm nie wichtig gewesen, aber das Lachen zur rechten Zeit. Das war das Geheimnis seines hohen Alters, welches ihm alle ablauschen wollten und welches er so freimütig verriet: „It’s being so cheerful that keeps me going.“

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