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Berlin: Britta Schneider (Geb. 1980)

Sie lernte, Libellen mit der Hand zu fangen, ohne sie zu verletzen

Sie war immer unterwegs, immer auf der Suche nach etwas Neuem. Vielleicht hängt das mit Pinningen zusammen, dem kleinen Ortsteil im Saarland, wo sie aufgewachsen war. Der Enge auf dem Land, wo alle Katzen „Mohrle“ oder „Blacky“ hießen, versuchte sie sich zu entziehen. Sie machte eine Orgelausbildung in der Kirche, spielte den Konfirmanden aber statt Kirchenliedern Beatles-Harmonien vor. Sie sparte auf ein Moped und fuhr damit nachts heimlich auf Punkkonzerte, bevor sie morgens wieder in der Kirche saß und Orgel spielte.

Als sie vor zehn Jahren nach Berlin zog, fand sie schnell Freundinnen und Freunde. Das fiel ihr leicht. Wenn sie erzählte, leuchteten ihre braunen Augen, und ihre Hände gestikulierten wild. Das Klavier, das ihr eine Freundin geschenkt hatte, rührte sie aber nicht wieder an.

Sie verliebte sich in Mel, die beiden blieben fünf Jahre lang ein Paar. Gemeinsam sahen sie Filme von Fassbinder und Fußballspiele, besuchten das „Theater unterm Dach“ und gingen auf Parties. Britta tauchte ein in die Protestkultur, diskutierte über Frauenrechte und Rollenbilder und trank dabei mitunter so viel Wein, dass sie am Ende eines Satzes nicht mehr wusste, wo sie angefangen hatte. Sie stellte sich den Wecker auf fünf Uhr morgens, um auf dem Kreuzberg den Sonnenaufgang zu filmen oder um im Berghain feiern zu gehen.

In Eberswalde studierte sie Landschaftsnutzung , außerdem drehte sie Dokumentationen über Castortransporte und Klimagipfel für „KanalB“, eine alternative Video-Informationsseite im Internet. Beim Protest gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm war sie mit der Kamera mittendrin.

Mit Mel wanderte sie durch Schottland und kletterte auf Berge in Sardinien. Ging etwas schief, Zeltstangen verloren, Handy geklaut, dann fand Britta eine Lösung. Sie lernte Libellen mit der Hand zu fangen, ohne sie zu verletzen. Auf Malta machte sie ein Praktikum und barg angeschossene Wasservögel mit dem Boot oder befreite sie aus Netzen. Eine verschneite Silvesternacht verbrachte Britta mit zwei Freundinnen im Zelt bei Lagerfeuer und Wein. Mit dem Fahrrad fuhr sie alleine an die Ostsee; als es auf halber Strecke kaputt ging, fuhr sie mit der Bahn weiter.

Im Jahr 2010 drehte sie mit einer Freundin einen Film bei der Earth Mountain Farm in den USA. „Mein Herz ist in Earth Mountain“, sagte sie – und beschloss, das Leben in wüstenähnlichen Gebieten zu studieren. Zum Masterstudium schrieb sie sich an der Humboldt Universität ein.

Lange Partynächte wechselten sich ab mit wochenlanger Arbeit am Studium oder an einem Film. Es konnte schwer werden, mit ihr zu arbeiten; manchmal trank sie zu viel in ihrer Kreuzberger Lieblingskneipe, ihrem „Wohnzimmer“; sie fing dann scheinbar grundlos an zu weinen oder schlief dort ein. Sie wirkte manchmal ausgebrannt. Tagelang ließ sie sich nicht in ihrer WG blicken.

Der für März 2012 geplante Studienaufenthalt in Texas verschob sich von einem Monat auf den nächsten. Britta hatte inzwischen Isabel kennen und lieben gelernt. Doch sie hatte auch Angst, sich zu binden. Jede Woche feierte sie Abschied. Sie konnte dann sehr traurig werden und an allem zweifeln. Im Juni ging es endlich nach Lubbock, Texas. Sie sollte dort das Leben von Reihern erforschen. Doch es war öde und „scheißheiß“, es gab nur Sportbars und keine interessanten Leute. Reiher waren kaum zu finden.

Sie lernte dann doch noch nette Leute kennen und besuchte an einem Juliabend eine WG, in der Wohnzimmerkonzerte stattfanden. Es war schön dort, sie stellte sich vor, wie es wäre, hier einzuziehen. Auf dem Rückweg war sie vermutlich glücklich, als sie ein schwerer Pick-up mit voller Wucht vom Fahrrad rammte. Der Fahrer war angetrunken.

Bevor sie von zu Hause aufgebrochen war, hatte Britta noch mit Isabel geskypt. „Mach dir einen schönen Abend“, hatte sie zum Abschied gesagt, „morgen berichte ich dir.“ Darius Ossami

Darius Ossami

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