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Berlin: Bruchrechnung mit Unbekannten

Das Knochenbruch-Risiko bei Osteoporose lässt sich errechnen – wer Sport treibt und auf die Ernährung achtet, kann vorbeugen

Das Alter sitzt dem Menschen oft auch in den Knochen: Dass die Knochenmasse mit dem Alter allmählich abnimmt und die Architektur des Knochengewebes sich gleichzeitig verschlechtert, ist leider keine Seltenheit. Nach Angaben des Kuratoriums Knochengesundheit leidet etwa ein Viertel der über 50-Jährigen unter einer Osteoporose, bei den über 75-Jährigen sollen es mehr als die Hälfte sein – deutlich mehr Frauen als Männer.

Langsam aber stetig von innen zu zerbröseln ist keine angenehme Vorstellung. Zumal es dazu führen kann, dass Rippen ohne jeden akuten Anlass brechen, Wirbelsäulen zusammensinken, Arme und Schenkelhals bei eigentlich harmlosen Stürzen brechen. So ist Osteoporose denn auch kein Thema, bei dem man freiwillig gern länger verweilen würde.

Auch für die Solidargemeinschaft der Versicherten ist sie ein unerfreuliches Kapitel. Einer Untersuchung des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) zufolge geben die Kranken- und Pflegekassen jedes Jahr 5,4 Milliarden für die Behandlung der Krankheit aus. Am teuersten sind dabei genau genommen die Folgen. Denn für die Behandlung und Betreuung eines Patienten nach einem oder mehreren Knochenbrüchen entstehen leicht Kosten im fünfstelligen Bereich – ganz abgesehen von der Gefahr, dauerhaft pflegebedürftig zu werden. Doch an der richtigen medikamentösen Therapie, die entscheidend mithelfen kann, Knochenbrüche zu verhindern, hapert es, wie die Daten zeigen.

Nur jeder fünfte Patient wird heute der IGES-Studie zufolge mit Medikamenten behandelt, die auf den Knochenstoffwechsel positiv Einfluss nehmen, etwa Mitteln aus der Gruppe der Bisphosphonate oder Kalzium und Vitamin D. Wie, wann und bei wem die Osteoporose-Medikamente zum Einsatz kommen sollten, legt seit letztem Jahr eine Leitlinie fest, an deren Abfassung die einschlägigen Fachgesellschaften beteiligt waren. „Doch den Hausärzten, die meist die erste Anlaufstelle sind, fehlen häufig noch ausreichende Informationen“, bedauert die Berliner Osteoporose-Expertin Jutta Semler, Leiterin der Osteologischen Abteilung im Immanuel-Krankenhaus am Wannsee und Vorstandsmitglied des Kuratoriums Knochengesundheit. Die Folge ist nicht nur eine Unterversorgung mit Mitteln, die den Knochen stabilisieren, sondern auch eine Überversorgung mit Schmerzmedikamenten. Orthopäden oder auch Frauenärzte, die weitere mögliche Anlaufstellen für Betroffene sind, nehmen sich oft nicht genügend Zeit. Die aber ist vor allem zu Beginn der Behandlung wichtig. „Dann sollten Arzt und Patient gemeinsam anhand eines Fragebogens das Knochenbruch-Risiko ermitteln“, fordert Semler.

Osteoporose ist eine Krankheit, kein Schicksal. Das gilt nach Ansicht der Experten auch für hochbetagte Menschen. „Die Verpflichtung zur Behandlung hat sich heute mehr auf den alten Menschen verschoben“, sagt Jutta Semler. Die Leitlinien empfehlen, sie schon bei einer Knochendichte zu behandeln, die nur knapp unter dem Durchschnitt der Altersgruppe liegt. Denn Ältere sind besonders gefährdet, aus geringfügigem Anlass zu stürzen: Weil sie mit größerer Wahrscheinlichkeit Koordinationsstörungen haben, weil ihnen oft die Kraft in den Beinen fehlt, weil sie wegen anderer Erkrankungen Medikamente nehmen, die benommen machen.

Man kann dagegen antrainieren. „Es stimmt einfach nicht, dass man mit 70 Jahren nicht mehr mit dem Kraft- und Muskelaufbau-Training beginnen kann“, sagt Semler. „In dieser Hinsicht hat sich unser Weltbild in den letzten Jahren entscheidend geändert.“ Dazu haben nicht zuletzt Studien wie die des Charité-Radiologen Dieter Felsenberg über den Zusammenhang zwischen Muskelarbeit und Knochen beigetragen. So weiß man heute, dass Senior-Sportler im Schnitt eine größere Knochendichte haben als ihre weniger aktiven Altersgenossen.

Weiterer wichtiger Baustein der Vorbeugung ist die „knochenfreundliche“ Ernährung. Dass hier das Kalzium eine entscheidende Rolle spielt, hat gerade eine Analyse von 29 Studien mit insgesamt 64 000 Teilnehmern über 50 Jahre gezeigt, die im Medizinerblatt „Lancet“ veröffentlicht wurde. Diejenigen unter ihnen, die zusätzlich zur Nahrung täglich Kalzium und Vitamin D einnahmen, hatten weniger Knochenbrüche. Besonders auffällig war das bei Teilnehmern über 70 mit besonders hohem Ausgangsrisiko.

„Wie empfohlen täglich 1200 bis 1500 Milligramm Kalzium über die Nahrung aufzunehmen, ist schwer zu schaffen“, sagt Jutta Semler. „Für die positive Kalziumbilanz ist aber auch das Verhältnis der Nährstoffe untereinander wichtig, alles spricht also für eine bunte Mischung, die einem persönlich schmeckt.“ Semler rät auf jeden Fall dazu, neben Milch und Milchprodukten auch Gemüse und kalziumreiche Mineralwässer auf den Speise- und Getränkeplan zu setzen. Außerdem sollte man sich möglichst oft eine Portion Seefisch gönnen, der Vitamin D enthält und noch dazu mit seinen Omega-3-Fettsäuren für die Blutgefäße gesund ist. Vitamin D sorgt dafür, dass der Knochen Kalzium aufnehmen kann. Wir „tanken“ das Vitamin zwar mit dem UV-Licht – doch im Winter bei tief stehender Sonne kommt es leicht zum Mangel, vor allem bei Älteren, deren Haut schlechter dazu in der Lage ist, es aufzunehmen. Ein guter Grund, auch in der kalten Jahreszeit möglichst viel „Outdoor“ unterwegs zu sein.

Mehr Informationen im Internet

www.osteoporose.de

Adelheid Müller-Lissner

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