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Einer versteht Berlin. Regierender mit Buch.

© dpa

Buchpräsentator Wowereit: Stolz auf Berlin, böse auf Boyes

Klaus Wowereit stellt ein neues Berlin-Buch vor und grummelt über Roger Boyes. Denn der britische Korrespondent versteht Berlin nicht so wie Wowereit.

Wie wird man ein richtiger Berliner? Lässt sich das lernen, und wenn ja: Wie lange dauert das? Über dieses Thema könnte Klaus Wowereit wahrscheinlich so lange plaudern, wie Fidel Castro früher Reden gehalten hat.

Weil aber zu Wahlkampfzeiten die Termine dicht gedrängt sind, beschränkt sich der Regierende Bürgermeister auf ein kurzes Grundsatzreferat, es gipfelt in der Erkenntnis: „Da hat jeder selbst die Definitionshoheit, aber wer offen ist, schafft das in drei Monaten.“ Man könne sich aber auch einen Hund anschaffen – „ein Kind dauert länger, und dafür brauchen Sie ja immer noch einen Zweiten“.

Klaus Wowereit gluckst, das Auditorium lacht. Eigentlich geht es an diesem Montag im Grimm-Zentrum an der Geschwister-Scholl-Straße in Mitte um die Vorstellung eines Buches, es trägt den schönen Titel „Stolz auf Berlin“ und beinhaltet Porträts bekannter und unbekannter, zugereister und alteingesessener Berliner.

Neben Wowereit auf dem Podium sitzen der Schauspieler Leonard Lansink, der Schriftsteller Horst Bosetzky, die Historikerin Helga Grebing, der Puppenspieler Christian Bahrmann und die Rechtsanwältin Negar Hosan-Aghaie. Alles beredte Menschen, die kurzweilige Geschichten über ihr Leben in und mit dieser Stadt erzählen können. Aber wer sich für die Geschichten interessiert, muss das Buch lesen. Denn die Bühne gehört am Montag Klaus Wowereit. Dem Mann, der Berlin nicht nur auf Plakatwänden versteht.

Für Heino Wiese gibt es „keinen, der Berlin im Moment so verkörpert wie er“. Heino Wiese hat mal für die SPD im Bundestag gesessen, jetzt leitet er eine Unternehmensberatung und gibt das Büchlein über die stolzen Berliner heraus. Wowereit hat das Vorwort geschrieben und darin Sätze verfasst wie: „Wir Berlinerinnen und Berliner, die wir in der Stadt geboren oder hier aufgewachsen sind – wir können heute alle stolz auf das Erreichte und unsere Stadt sein.“ Der effektivste Wahlkampf ist immer noch der, zu dem nicht die eigene Partei einladen muss. In einer Stunde schafft es der versiert-charmante Plauderer, sich als verständnisvoller Landesvater anzudienen, ohne dass er ein einziges Mal „SPD“ oder Wahl zum Abgeordnetenhaus“ sagen muss.

Ab und zu kommen auch die anderen zu Wort. Der Puppenspieler ist stolz darauf, dass er am 4. November 1989 mit einem Plakat auf der Demo am Alexanderplatz war, der Schauspieler wähnt Berlin auf dem richtigen Weg, die Historikerin genießt die freie Luft, die Anwältin die Offenheit und der Schriftsteller würde sich freuen, wenn sich die Schwaben am Berliner Dialekt versuchten. In der Mitte thront Klaus Wowereit auf seinem Stuhl, er nickt hier, wirft da eine Bemerkung ein, er plaudert über „den Neptunbrunnen vor meinem Rathaus“ und über Gentrifizierung, bei ihm heißt es weltmännisch „Dschentrifizierung“.

Nur einmal wird der Regierende Bürgermeister ein bisschen böse. Da geht es um Menschen, „die diese Stadt nicht verstehen wollen, die Ressentiments pflegen und dann nach jahrzehntelanger Korrespondententätigkeit nach London zurückgehen. So was soll es ja geben, hab’ ich neulich erst gelesen.“ In Roger Boyes’ Essay im Tagesspiegel. Anders als die anderen Spitzenkandidaten zur Abgeordnetenhauswahl hatte Klaus Wowereit die Einladung, auf Boyes zu antworten, ausgeschlagen. Jetzt hat er das nachgeholt. Ein bisschen grummelig, aber immerhin.

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