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Berlin: Budget erschöpft, Behandlung verschoben Sogar Notfallpatienten sollen Ärzte schon vertröstet haben,

weil der Honoratopf fürs laufende Quartal aufgebraucht ist

Für Kranke eine kaum erträgliche Vorstellung: Der Arzt verweigert ihnen die Behandlung, weil sein Honorarbudget aufgebraucht ist. Bei der Berliner AOK jedoch sind in den letzten Tagen zwei sogar besonders schwere Vorwürfe gegen Mediziner erhoben worden: So soll einem Patienten mit Verdacht auf einen leichten Schlaganfall gleich von fünf Kardiologen erst ein Untersuchungstermin in einigen Wochen angeboten worden sein. In dem anderen Fall soll ein Arzt einen Bluter mit Verdacht auf Magengeschwür ebenfalls auf viele Tage vertröstet haben. Beide Fälle wurden von der Krankenkasse an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin übergeben. „Wir prüfen die Vorwürfe“, sagt Dusan Tesic, Hauptgeschäftsführer der KV.

Sollten sich die Fälle bestätigen, drohen den betroffenen Doktoren Disziplinarstrafen. „Kein Arzt darf im Notfall die Behandlung eines Patienten verweigern.“ Dies gelte allerdings nicht für planbare Behandlungen. So könne es sein, dass man für eine normale Röntgen-Kontrolluntersuchung „nicht gleich am selben Tag einen Termin bekommt“, sagte Tesic dem Tagesspiegel. Dass ein Kranker Geduld aufbringen müsse, sei in anderen Ländern durchaus üblich. „In Schweden warten 60 Prozent der Kranken im Schnitt fünf Tage auf einen Termin bei ihrem Hausarzt.“

Inzwischen müssen auch die Berliner Patienten gerade zum Quartalsende mit Terminschwierigkeiten bei ihrem Arzt rechnen. Hintergrund: Die KV hat das Verteilungssystem für die Honorare zum 1. Juli so geändert, dass jeder niedergelassene Mediziner auf den ersten Blick sieht, wann sein Budget erschöpft ist. Er muss dann entscheiden, ob er seine Patienten umsonst weiterbehandelt oder aber die Therapie ins nächste Quartal verschiebt, wenn sein neues Budget gilt. Derzeit erbringen nach KV-Schätzungen die Mediziner 30 Prozent ihrer Leistungen ohne Bezahlung.

Die gesetzlich geforderte „notwendige und ausreichende“ Versorgung der Kranken sei durch das neue Honorarsystem nicht gefährdet, sagt Tesic. „Aber die Unannehmlichkeiten für die gesetzlich versicherten Patienten werden größer.“ Man könne es keinem Mediziner verübeln, wenn er seine raren Termine dann an Privatpatienten vergibt, die ihm weiterhin Honorare garantieren – „natürlich nur, wenn ein gesetzlich Versicherter nicht gefährdet ist“.

Mancher Kranke ist dennoch unzufrieden. Insgesamt registrierte die AOK zum Ende des abgelaufenen Quartals zehn Beschwerden ihrer Versicherten über späte Termine oder aufgeschobene Behandlungen, bei der Barmer Ersatzkasse waren es drei. Auch die Ärztekammer prüft mehrere Beanstandungen. Allerdings könne man nicht von einer Häufung sprechen, sagt Kammersprecherin Sybille Golkowski. Auch wenn sie die genaue Zahl der Beschwerden nicht nennen kann, sei das zum Ende eines jeden Quartals normal. „Wir gehen jeder Beschwerde nach, die uns schriftlich erreicht“, sagt Golkowoski. Dann würden die betroffenen Ärzte aufgeklärt, dass der Hinweis auf ein aufgebrauchtes Budget kein Argument sein dürfe, eine Behandlung zu verschieben. „Viele Mediziner wissen das nicht.“

Der Berliner Gesundheitsstaatssekretär Hermann Schulte-Sasse forderte unterdessen alle Berliner auf, solche Fälle ihrer Kasse zu melden. „Finanzielle Probleme einzelner Arztgruppen sind durch die KV selbst zu lösen – nämlich durch eine geänderte Verteilung der Gesamtvergütung, nicht aber auf dem Rücken von Kranken“, sagte Schulte-Sasse. Er werde gegen mögliche ungesetzliche und unverantwortliche Aktivitäten der Kassenärztliche Vereinigung vorgehen.

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