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Bürgerbeteiligung: Mitreden erwünscht am Blumengroßmarkt

Bei der Ausschreibung von drei Grundstücken am Jüdischen Museum geht die Stadt neue Wege. Doch nur wenige Anwohner äußern ihre Meinung zu den geplanten Neubauten in ihrer Nachbarschaft.

Mehr Bürgerbeteiligung geht nicht. Schade nur, dass offenbar nur wenige Bewohner der südlichen Friedrichstadt diese Chance ergreifen, ihre Meinung zu den in ihrer Nachbarschaft geplanten Neubauten zu äußern. Aus der eher enttäuschend geringen Zahl von Besuchern der Ausstellung „Kunst und Kreativquartier-Dialog“ in den Räumen des Jüdischen Museums macht Florian Schmidt kein Hehl. Dabei setzt sich der Planer und Stadtaktivist seit Jahren dafür ein, dass Bürger ihre Ideen einbringen und Einfluss nehmen auf die Auswahl der Investoren, die auf den Flächen rund um die frühere Blumengroßmarkthalle an der Kreuzberger Lindenstraße ihre Pläne umsetzen möchten.

Erklärungen dafür hat Schmidt nicht wirklich, vielleicht hätte man mehr Flyer verteilen sollen, sagt der Planer. Andererseits haben Stadtsoziologen im Auftrag des Senats festgestellt, dass dieses Quartier ganz unten im Ranking des „Monitoring soziale Stadt“ steht. Viele Arbeitslose, Kinderarmut, ein hoher Anteil von „bildungsfernen Migranten“ zählen zu den Gründen für dieses schlechte Abschneiden. Rund um die frühere Blumengroßmarkthalle lebt eben nicht das Kreuzberger oder Friedrichshainer Kreativprekariat, dessen Einkünfte nicht unbedingt viel höher sind als das der Bewohner der südlichen Friedrichstadt, die dafür aber umso klarer die zerstörerische „Dialektik des Wohnungsmarktes“ darlegen können – und kräftig Widerstand organisieren.

Andererseits braucht es hier auch gar keine Revolte, weil die landeseigene „Berliner Großmarkt Gesellschaft“ ohnedies ganz neue Wege geht: Nicht der höchste Preis, sondern das Konzept entscheidet überwiegend über die Vergabe. Und um Beliebigkeit, Sympathien oder dem Einfluss von Netzwerken vorzubeugen, werden die Konzepte der Bewerber mithilfe spezifischer Kriterien beurteilt: Kleinteilig und damit vielfältig sollen die Projekte sein, Kunst und Kreativität fördern, die Räume in den Erdgeschossen sollen für die Anwohner und Passanten zugänglich sein und die Nutzer künftiger Gebäude auf den Bedarf im Umfeld ausgerichtet und dazu noch „originell“ sein – auch eine niedrige Miete der neu entstehenden Wohnungen wird als Bonus gewertet.

Günstige Mietwohnungen für neun Euro je Quadratmeter.

Das klingt wie ein vernünftiges Rüstzeug zur Verhinderung abweisender Investorenarchitektur, die – an Filial-Multis vermietet – maximale Rendite abwirft. Und die Ausstellung im Jüdischen Museum zeigt, dass dieser Rahmen jedenfalls bei einigen Vorschlägen zu überraschenden Konzepten geführt hat. So schlägt „Fritz Z23“ um Initiator Helmut Riethmüller den Bau einer Art kreativwirtschaftlichen Bildungshauses vor, in dem ein Teil der Flächen im Erdgeschoss provisorisch über ein Buchungssystem gemietet werden können. Hintergrund: Stiftungen und Initiativen wie „Respekt“, „Heinrich Böll“ oder „Yam-Yam“, die zum Netzwerk der Planer gehören, brauchen oft nicht auf Dauer Veranstaltungsflächen – sie bekämen hier „Gemeinschaftsräume“, die zudem trennscharf abgerechnet werden.

Die politische Vision von gemeinsamen Neubauten für Mieter und Eigentümer mit auseinanderklaffendem Haushaltseinkommen will eine Bewerbergruppe um das Baufeld IV südlich der Markthalle realisieren: Eine Baugruppe, eine Genossenschaft, Café- und Restaurantbetreiber sowie eine Kita sollen Platz unter einem gemeinsamen Dach finden. So entstünden relativ günstige Mietwohnungen (neun Euro je Quadratmeter und Wohnung) für Berliner mit kleinen Einkommen, Eigentumswohnungen (2593 Euro je Quadratmeter) für Besserverdienende und Infrastruktur.

Aber auch Luxus gibt es. Ein Architektenpaar regt den Bau eines „Interkulturellen Mosaiks“ an. Das Gebäude wird in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Dafür verpflichten sich deren Käufer, als Mitglieder der Hausgemeinschaft die Kunst- und Kreativräume im Erdgeschoss zu subventionieren, als Mäzene gleichsam. Ob die Architekten außerdem die Migranten in der benachbarten Mieterschaft im Sinne hatten, als sie die Nutzung der Gewerbeflächen thematisch überhöhten? Arabesken und orientalische Muster liegen über den Vorentwürfen, „Düfte und Aromen“, „Stoffe und Textilien“ werden als Leitbild für die Nutzung der Handelsflächen genannt – das Bild eines orientalischen Basars soll das wohl zeichnen.

Auch einige Entwürfe mit teils kühner, teils erwartbarer Architektur sind im Jüdischen Museum zu besichtigen: Aufeinandergestapelte, gegeneinander versetzte Kuben etwa oder die berlintypische, in Sandstein eingefasste Lochfassade. Sie fallen durch bei der Polizistin vom nahe gelegenen Abschnitt V, der Sprecherin der Berlinischen Galerie und der Initiatorin eines Bildungsprojektes, die sich an diesem Tag das „dialogische Konzeptverfahren“ von Stadtaktivist Schmidt erklären lassen. Wer sich eine eigene Meinung bilden will, kann bis Sonnabend die Ausstellung besuchen. Am Sonnabend ab 10 Uhr stellen die Bewerber ihre Projekte in einer „Öffentlichen Dialogwerkstatt“ vor. Eine Anmeldung per E-Mail unter info@kreativ-quartier-berlin.de ist erforderlich.

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