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Bürgerliches Engagement: Das Bankgeheimnis

In der Stadt stehen viele gespendete Parkbänke. Jede hat ihre ganz eigene Geschichte: Zu den Motiven der Geldgeber gehören Trauer, Verbundenheit und Dankbarkeit.

Rechts neben der Bank steht die Tränen-Kiefer aus dem Himalaja. Das war’s aber auch schon mit den Tränen an diesem Ort: Fünf Latten in Grün und eine Plakette mit dem Motto: „Ein Ort für schöne Gedanken – Gaby Ganjineh“. Wenn man sich im Umdrehen auf die Bank fallen lässt, schwingen die grandiosen Gewächshäuser des Botanischen Gartens am Horizont in Position.

Der Mann mit dem breitesten Lachen auf der Bank ist Jamshid Ganjineh, Gabys Exmann, der 36 Jahre mit ihr zusammen war. „36 Jahre!“ Er ist selbst noch ganz erstaunt. Ihr Sohn Tinosch, die Lieblingsnichte, Bruder, Neffen und die beste Freundin haben sich hier versammelt und erzählen, wie Gaby bei Schleichers Buchhandlung in Dahlem 27 Jahre lang Bücher verkauft hat. Gaby, die Wohnung nicht weit weg, die Wochenenden im Botanischen Garten, kannte so viele alte Leute, Leser und Professoren, dass die Todesanzeigen für sie immer echte Neuigkeiten enthielten. Doch als 2010 ihr eigener Tod in einer Anzeige bekannt gegeben werden musste, da hatte die Familie ein Problem: Gaby Ganjineh wollte anonym begraben werden. Zwar war es keine Frage, dass man ihren Wunsch erfüllte, aber vor allem ihr Bruder Norbert haderte damit, dass es keinen Ort zum Trauern geben würde.

Warum hatte sie das gewollt? „Die Kosten“, einerseits, glaubt er, und andererseits mochte sie wohl niemanden verpflichten, an ihrem Grab auf Jahre hin nach dem Rechten sehen zu müssen.

Da hatte der Mann ihrer Lieblingsnichte, Stephan Jamal el Din, eine Idee. Er überwies 1000 Euro an den Botanischen Garten. Dann rief er Gabys Bruder an: „Du musst jetzt nicht mehr traurig sein.“ Es gebe jetzt einen Ort.

Seine Kinder waren durch den Garten geschwärmt auf der Suche nach der schönsten Stelle für eine Bank. Und als sie die gefunden hatten, oberhalb des Italienischen Gartens, gegenüber den Gewächshäusern, stellten alle, ja stellte selbst Gabys älteste Freundin „Biene“ fest, dass es exakt der richtige Ort war: mit Blick auf das Café, in dem sie mit Gaby an so vielen Wochenenden gesessen hatte.

Stephan Jamal el Din hatte einen Ort gefunden, an dem sich fortan die Trauer in ein Fest verwandeln würde. Jedes Jahr mitten im Winter, an ihrem Geburtstag am 21. Februar, schnüren sie ein Picknick. Dann treffen sich nicht nur Verwandte, sondern auch Gabys alte Freunde an der Bank. Die Kälte spielt keine Rolle. Sie entkorken den Sekt. Sie feiern. Sie sind dankbar, dass sie sich kennengelernt haben.

Die Familie und die Freunde wären ohne diese Bank auseinandergedriftet, sagt die Lieblingsnichte. Da sind sie sich sicher. Auf einem Friedhof, sagen sie, kämen sie sich seltsam vor als feiernde Gruppe. Aber so ist das Gegenteil der Fall: Weil Gaby so viele Leute kannte, wissen inzwischen sogar viele ehemalige Kunden von ihrer Bank. Spaziert einer aus der Familie vorbei, sitzt häufig schon jemand da. Dieser Ort, glauben sie, ist viel näher an der lebendigen Gaby als es ein Grab je sein könnte.

Jürgen Götte sagt, wenn es Hochzeiten und Geburten zu feiern gilt, drängt es die Leute zum Pflanzen und sie spenden einen Baum. Wenn es etwas zu erinnern gibt, spenden sie Bänke.

Götte sitzt an einem der schönsten Arbeitsplätze Berlins, mitten im Tiergartengrün, das sich im Herbst ins Tiergartenrot und Tiergartengold verwandelt. Der Inspektorenleiter des Tiergartens, Bezirksamt Mitte, blättert durch Kataloge der Bankhersteller, die sich einen harten Wettbewerb liefern.

Von 600 Bänken im Tiergarten ist erst eine gespendet

Der Typ „Berliner Bank“ ist eine feste Größe, er wird deutschlandweit hergestellt: zehn bis 14 Holzlatten, Gussfüße. An deren Dicke sieht der Kenner, wenn gespart wurde. Angenehm sitzt es sich auf Holz, sagt Götte. Plastiklatten heizen im Sommer schnell auf und verziehen sich. Eine morsche Holzlatte aber lässt sich schnell und günstig ersetzen. Von etwa 600 Bänken im Tiergarten, RAL-Ton Moosgrün 6005, sei nur eine gespendet: „Peggy Mead, 1954–1998“. Da ist noch Potenzial.

Seitdem man im Englischen Garten in München für 200 Euro eine Patenschaft für eine Bank übernehmen und diese mit einem eigenen Spruch versehen kann, sind dort kaum noch Bänke zu haben. Aber Patenschaften sind in Berlin teurer. Zwischen 500 und 1000 Euro muss überweisen, wer für vier bis zehn Jahre eine Plakette an seiner persönlichen Bank wünscht. Die meisten denken zuerst an den Berliner Zoo, aber man kann zum Beispiel auch der FU spenden für den Botanischen Garten, dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf für den Lietzenseepark oder dem Bezirksamt Mitte für den Tiergarten. Historische Bänke werden aufgemöbelt, andere neu angeschafft. Dann muss man nur noch entscheiden, was auf die Plakette soll.

Dabei muss auch gar nicht immer der Tod eine Rolle spielen. In Margot Wittig, die über 30 Jahre in Charlottenburg wohnt, hat sich über die Jahre eine Menge Dankbarkeit angestaut. Als ihre Tochter klein war, sammelte sie Kastanien und feierte Kindergeburtstag im Lietzenseepark. Sie grüßte die Obdachlosen und trauerte, als die Schwäne verschwanden. Mehrmals die Woche joggt sie früh um die krumme Wasser-Acht. Sie kennt den Flecken bei Nebel, Schnee und Sonne, er ist längst Teil von ihr, doch hat sie in all den Jahren dort nur kleine, schwindende Wolken Atems zurückgelassen. Und auch die nur im Winter.

Als sie den Aufruf des Bezirksamtes für die Restaurierung der historischen Bänke las, überwies sie 500 Euro für vier Jahre, und das, obwohl sie, die Joggerin, im Park fast nie stehen bleibt. „Für Fremde“, sagt sie, „ist es vielleicht nur schwer nachzuvollziehen“, aber wenn sie oberhalb der Kaskaden um die Ecke biegt und ihr Blick öffnet sich über das Wasser, da öffne sich auch jedes Mal ihr Herz. Dieses Bild, sagt sie, will sie sehen, wenn sie stirbt.

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