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Sie werden gebraucht. Die 70-jährige Gabriele Petersen ist „Bufdi“ im DRK-Wohnheim.

© dpa

Bundesfreiwilligendienst: Die neuen Zivis lassen auf sich warten

Der Bundesfreiwilligendienst läuft schleppend an, dabei bietet er Chancen. Leidtragende sind die Bedürftigen in Kliniken und Heimen.

Freiwillige vor! Mirko Geißler ist einer der ersten, der nach der Aussetzung der Wehrpflicht jetzt den neuen Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) in Berlin leistet. Der 25-Jährige arbeitet bei der Bahnhofsmission. Aus dem verpflichtenden Zivildienst als Ersatz für den Grundwehrdienst ist ein Freiwilligenamt geworden. „Ich mache das, weil ich etwas Sinnvolles tun kann“, sagt Geißler. Der gelernte Sozialassistent ist arbeitslos und ALGII-Empfänger. Ein Jahr lang will er die Stadtmission am Hauptbahnhof unterstützen. Er hilft allein reisenden Kindern, assistiert Rollstuhlfahrern beim Umsteigen und kümmert sich um gestrandete Fahrgäste oder Obdachlose. Für ihn eine willkommene Alternative zur Arbeitslosigkeit. „Ich komme wieder unter Leute.“ Er hofft, nach dem Dienst wieder eine Stelle zu finden. Das Jobcenter unterstütze ihn und von den gut 300 Euro Taschengeld darf er 60 Euro behalten. Geißler meint, dass der Dienst für viele Arbeitslose attraktiv sein könnte, doch noch ist er die Ausnahme.

Für die Stadtmission wie für die meisten sozialen Einrichtungen, die auf die Hilfe von Zivildienstleistenden angewiesen waren, ist die Umstellung auf den Freiwilligendienst eine Herausforderung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte zuletzt 560 Zivildienststellen in Berlin, konnte bisher aber erst zehn Freiwillige einsetzen. Bei der Caritas hatten sich Anfang dieser Woche fünf Freiwillige gemeldet, zu Zivildienstzeiten gab es 300 Stellen. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) meldet vier Freiwillige im Gegensatz zu 41 Zivildienstleistenden.

Die Basisversorgung sei gesichert, heißt es bei der Caritas, doch für Sonderleistungen wie Vorlesen, Gespräche führen oder Spaziergänge fehlten nun Personal und Zeit. „Viele unserer Klienten verstehen nicht, warum plötzlich kein Zivi mehr kommt“, sagt Cornelia van Lessen vom Blinden- und Sehbehindertenverein. Zivildienstleistende hätten beispielsweise Einkäufe erledigt.

Auch den Kliniken fehlen Freiwillige. Beim Vivantes-Konzern gab es zuletzt rund 250 Zivildienstleistende, im Moment sind es 40 Ehrenamtler, allerdings keine „Bufdis“, sondern Absolventen eines Freiwilligen Sozialen Jahres. Dieser Dienst existiert parallel zum Bundesfreiwilligendienst weiter, steht aber nur jungen Menschen bis 27 Jahren offen.

Mirko Geißler in der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof.
Mirko Geißler in der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof.

© David von Becker

Rüdiger Kunz vom Berliner Landesverband des DRK ist dennoch optimistisch. Der Verband habe ehemalige Zivitätigkeiten bereits langfristig durch Ehrenamtliche und Honorarkräfte aufgefangen. „Jetzt haben wir endlich einen Freiwilligendienst für alle Altersgruppen“, sagt Kunz. Besonders für Arbeitslose, Rentner oder Menschen, die sich beruflich neu orientieren wollen, könne das eine Chance sein, sich selbst weiterzuentwickeln. Ältere könnten ihre Lebenserfahrung weitergeben.

Gabriele Schlimper vom Paritätischen Wohlfahrtsverband spricht von einem „Paradigmenwechsel“ im Sozialwesen. Die meisten Freiwilligen würden sich für beraterische Tätigkeiten interessieren, pflege- und kraftintensive Stellen seien weniger beliebt. Die Einrichtungen müssten sich umstellen: Es müsse nun aktiv um Interessenten geworben werden. Berlin sei bisher bei Zivildienstleistenden beliebt gewesen, es habe immer mehr Bewerber als Stellen gegeben. Beim Freiwilligendienst müssten sich die Träger nun um ein Verhältnis auf Augenhöhe bemühen.

Wirklich bekannt und begehrt ist der Dienst also offenbar noch nicht, das mag auch daran liegen, dass erst seit Mitte Juni dafür geworben wird. Lange waren die Rahmenbedingungen der Finanzierung unklar, erst seit dem 24. Juni wissen die Träger, was ein Platz kostet und welche Kosten der Bund davon übernimmt. „Nicht einmal meine Krankenkasse wusste, wovon ich rede“, sagt Gabriele Petersen. Die 70-jährige Rentnerin aus Halensee war bundesweit die Erste, die die Vereinbarung zum Freiwilligendienst unterschrieben hat. Sie arbeitet nun zwanzig Stunden in einer Senioreneinrichtung in Tempelhof. „Ich starte noch mal richtig durch“, sagt sie. Sie hilft am Empfang, beschäftigt sich aber auch mit Heimbewohnern, die teilweise im gleichen Alter wie sie selbst sind. „Am ersten Tag waren wir zusammen im Garten und haben uns um die Kaninchen gekümmert.“ Sie wünscht sich, „dass andere denken: Na, wenn die das noch kann, dann schaffe ich das auch.“

Wo Freiwillige fehlen, und wo man als Ehrenamtler zupacken kann, erfahren unsere Leser jetzt jeden Donnerstag auf unserer neuen Seite „Wer hilft wem“.

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