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Sigrid Nikutta leitet die BVG seit Oktober 2010.

© Mike Wolff

BVG-Chefin Nikutta im Interview: "Für eine Preiserhöhung ist es zu spät"

BVG-Chefin Sigrid Nikutta will mit dem neuen Senat über mehr Geld für ihr Unternehmen verhandeln. Sie lehnt ein Alkoholverbot in Bussen und Bahnen ab – denkt aber über Versuche mit Sperren nach.

Frau Nikutta, zum Amtsantritt hatten Sie einen „bunten Strauß von Maßnahmen“ angekündigt. Gehören dazu auch Tariferhöhungen im nächsten Jahr?

Preiserhöhungen haben wir derzeit nicht vorgesehen. Für die notwendige Abstimmung innerhalb des Verkehrsverbundes wäre es jetzt auch zu spät, um die Tarife zu Beginn des nächsten Jahres erhöhen zu können. Aber man muss auch jedes Jahr ganz simpel fragen: Wollen wir einen qualitativ hochwertigen Nahverkehr in Berlin? Dann sagen alle Ja. Aber dann muss dieser Verkehr auch vernünftig finanziert werden.

Wer soll hier zahlen: Die Fahrgäste oder auch das Land, das derzeit jährlich 75 Millionen Euro für den Betrieb zuschießt?

Klar ist, dass die BVG chronisch unterfinanziert ist. Das kann nicht der Endzustand sein. Wir verhandeln nach den Wahlen mit dem neuen Senat, wie der Verkehrsvertrag angepasst werden kann.

Und wenn der neue Senat nicht mehr zuschießt, müssen doch die Fahrgäste mehr zahlen?

Am besten wäre es, wenn es uns gelingen würde, die Mehreinnahmen über steigende Fahrgastzahlen zu erreichen. Hier sind wir auf einem guten Weg. Im vergangenen Jahren hatten wir einen Zuwachs von 4,3 Prozent auf 922 Millionen Fahrten, und in diesem Jahr haben wir dieses Niveau bisher stabilisieren können. Unser Ziel ist die Marke von einer Milliarde Fahrten im Jahr zu übersteigen.

Die Sicherheitsdiskussion macht es den potenziellen Umsteigern nicht leichter.

Die Diskussion macht betroffen. Und es ist für Kunden kein Trost, dass die Sicherheit objektiv besser ist als es viele annehmen. Die zum Teil brutalen Einzelbeispiele prägen hier das Empfinden. Das Paket, das wir geschnürt haben, ist der richtige Schritt. Wir arbeiten viel enger mit der Polizei in den Zügen und auf den Bahnhöfen zusammen, haben unseren Sicherheitsbereich personell verstärkt und statten Bahnhöfe mit zusätzliche Kameras aus.

Am Kottbusser Tor zieht sich dieses Vorhaben schon seit Jahren hin.

Am Kottbusser Tor sanieren wir gleichzeitig den gesamten Bahnhof und können die Kameras deshalb nur nach und nach installieren. Im September wird die volle Überwachung beginnen. 20 weitere Stationen erhalten ebenfalls zusätzliche Kameras, sechs davon noch in diesem Jahr.

Welche?

Beginnen werden wir mit den Bahnhöfen Frankfurter Tor auf der U 5, Alt-Tegel und Friedrichstraße auf der U 6, Johannisthaler Chaussee auf der U 7 sowie Gesundbrunnen und Schönleinstraße auf der U 8.

Würden auch Sperren an den Ein- und Ausgängen die U-Bahn sicherer machen?

Nein. Das sagen auch unsere Londoner Kollegen. Jeder Straftäter kann sich ein Ticket kaufen. Interessant könnten Sperren sein, um die Zahl der Schwarzfahrer zu reduzieren. Wir prüfen das derzeit noch. Allerdings wären die Investitionen dramatisch hoch. Vielleicht machen wir an einigen Bahnhöfen mal einen Test.

Bei einigen der schweren Übergriffe waren die Beteiligten betrunken. Ein Alkoholverbot lehnen Sie trotzdem ab. Warum?

Wie sollen wir kontrollieren, was in den Flaschen ist, die die Fahrgäste mit in die Züge bringen? Das geht präventiv gar nicht. Es geht um das Maß und das Verhalten. Ein besonderes Problem sind hier Gruppen. Fahrgäste, die alkoholisiert Mitreisende belästigen, müssen unsere Anlagen verlassen. Da sind wir konsequent. Das funktioniert immer besser, nicht zuletzt weil wir – auch zusammen mit der Polizei – unsere Präsenz verstärkt haben. Außerdem wollen wir Angetrunkene doch nicht zwingen, mit dem Auto zu fahren.

Hamburg führt aber trotzdem im September ein Alkoholverbot im Nahverkehr ein. Wie reagieren Sie, wenn die Erfahrungen dort positiv sein werden?

Ich sage nie Nie. Selbstverständlich reagieren wir auf positive Erfahrungen.

Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, wie die BVG Bahnhöfe und Fahrzeuge sauber halten will und was sie gegen den drohenden Personalnotstand bei Fahrern plant.

Fahrgäste erwarten nicht nur sichere, sondern auch saubere Bahnhöfe und Fahrzeuge.

Schmierereien sind leider ein Millionenthema für uns. 2010 mussten wir 6,5 Millionen Euro aufbringen, um Graffiti zu beseitigen; ein Jahr zuvor waren es sogar 7,5 Millionen Euro. Wir arbeiten verstärkt mit Schutzbeschichtungen und haben außerdem unser Reinigungssystem umgestellt. Wir fordern von den Firmen einen vorgegebenen sauberen Zustand auf den Bahnhöfen und kontrollieren, ob dies eingehalten wird.

Das funktioniert?

Leider nicht immer. Ich habe vor kurzem gesehen, wie der frisch renovierte – und denkmalgeschützte – U-Bahnhof Eberswalder Straße schon wieder beschmiert worden ist. Das tut schon richtig weh.

Sind Sie denn viel mit Bahn und Bus unterwegs?

Ja. Ich war erst wieder am vergangenen Wochenende mit einer Gruppe unterwegs und habe erneut festgestellt, wie gut der Nahverkehr auch bei Regen funktioniert hat, während auf vielen Straßen zeitweise nicht mehr viel ging.

Probleme haben aber auch Busfahrer, weil die Extraspuren häufig blockiert sind. Was unternehmen Sie hier dagegen?

Das größte Problem sind zugeparkte Busspuren. Als ich zur BVG gekommen bin, habe ich mich gewundert, dass es hier 21 Busspurbetreuer gibt. Jetzt weiß ich, dass diese viel zu tun haben, um zusammen mit dem Ordnungsamt widerrechtlich parkende Autos abschleppen zu lassen.

Stören auch die Radfahrer?

Busspuren sind ja Mehrzweckspuren. Aber wo immer es geht, sollten Radfahrer andere Wege erhalten. Vor allem bin ich aber dagegen, dass auch noch Elektroautos die Spuren nutzen dürfen.

Jahrelang hatte die BVG zu viele Mitarbeiter. Jetzt droht vor allem ein Mangel an Fahrern einzutreten? Was machen Sie hier?

Das Durchschnittsalter unserer Mitarbeiter liegt bei 47 Jahren. Wir haben eine exakte Abgangsplanung, so heißt das bei uns, bis zum Jahr 2021. Derzeit brauchen wir jährlich 80 bis 120 neue Fahrerinnen und Fahrer. Noch bilden wir mehr aus als wir einstellen können. Nach 2020 steigt der Bedarf.

Wenn Fahrer fehlen, könnten Sie doch die U-Bahnen im Automatikbetrieb fahren lassen. Erste Versuche hat es ja gegeben.

Eine Umstellung unseres Netzes wäre mit so hohen Kosten verbunden, dass ein solches Projekt nicht vorstellbar ist. Und wenn wir Geld hätten, würde ich es nicht für ein Prestigeobjekt ausgeben wollen.

Sie leiten als erste Frau das Unternehmen. Öffnen Sie die BVG auch in anderen Bereichen für Frauen?

Wir sind schon lange überall offen für Frauen, alle Jobs bei uns sind auch für sie geeignet. Der Anteil liegt leider aber erst bei 17,9 Prozent. Ich kann jede Frau nur ermuntern, sich bei uns zu bewerben. Wir sind ein familienfreundliches Unternehmen. Der Mutterschutz gilt bei uns zum Beispiel zehn statt sechs Wochen vor der Geburt.

Sie selbst werden in fünf Wochen zum vierten Mal Mutter. Nervt es Sie die Kritik, Sie seien ein schlechtes Vorbild, weil Sie nur kurze Zeit zu Hause bleiben wollen?

Über solche Reaktionen war ich sehr erstaunt. Sie zeigen, wie sich in einigen Köpfen das Frauen- und Familienbild manifestiert hat. Sicher gibt es kein Patentrezept für eine ideale Mutter. Ich werde hier aber wunderbar von meinem Mann unterstützt. Ich werde mich auch zu Hause jeden Tag mit der Firma beschäftigen. Keine Entscheidung wird wegen der Geburt unseres Kindes verschoben. Und sicher werde ich es öfter mit ins Büro nehmen. Auch ich bin überzeugt: wenn es der Mutter gut geht, geht es auch dem Kind gut.

Das Interview führte Klaus Kurpjuweit.

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